
Neues Forschungsprojekt Literatur als Türöffner der Neuen Rechten
Lesekreise, Rezensionen und eine eigene Buchmesse: Die Neue Rechte hat die Literatur für sich entdeckt, um ihre Ideologien in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Das zeigt auch ein neues Forschungsprojekt
Heute beginnt die Leipziger Buchmesse - dieses Mal bauen dort kaum einschlägige rechte Verlage ihre Stände auf. Mittlerweile hat die Neue Rechte ganz unterschiedliche Wege gefunden, Literatur für sich zu nutzen: mit Lesekreisen, Buchrezensionen und eigener Buchmesse im Herbst.
Wie genau die Neue Rechte literarische Werke nutzt, um Ideologien in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, wurde jetzt unter anderem im Forschungsprojekt "Neurechte Literaturpolitik" untersucht. Geleitet wird das Projekt von Thorsten Hoffmann, Professor für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart.
Literaturklassiker werden bewusst umgedeutet
Laut Hoffmann würden Literaturklassiker von der Neuen Rechten bewusst umgedeutet. Als Beispiel nennt er das Werk "Fahrenheit 451", in dem der Besitz von Büchern verboten ist. "Das sind die Lieblingstexte der Neuen Rechten. Sie versuchen anhand dieser Texte zu behaupten, dass wir uns gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland in einer Diktatur befänden, gegen die man nur mithilfe der Neuen Rechten aufbegehren kann, um die Freiheit des Wortes durchzusetzen", so Hoffmann.
Ziel sei es, das Narrativ zu verbreiten, die Neue Rechte würde genauso verboten und man dürfe nicht frei reden, wie die Menschen, die in "Fahreinheit 451" Bücher besitzen oder lesen, so Hoffmann weiter.
Der Leipziger Wissenschaftler Hans-Joachim Schott, der den Arbeitskreis Politische Ästhetiken leitet, sagt: "Der Roman bietet viele Ansatzpunkte, gerade weil er nicht rechts ist." Dass der Roman nicht rechts sei, sage auch die Neue Rechte selbst, so Schott. Vielmehr sei er Kunst und somit autonom, und damit könne sie sich auch auf ihn beziehen, "wie es Konservative oder Liberale tun". So könne die Neue Rechte die eigenen Positionen, mit denen aus der Mitte der Gesellschaft verzahnen.
Eigene Literatursendung auf YouTube
Auf YouTube hat die Neue Rechte sogar eine eigene Literatursendung. Der Titel: "Aufgeblättert. Zugeschlagen - Neue Rechte lesen." In dem Format sitzen drei Personen bei einem Glas Wein vor einer Bücherwand und plaudern nett über Lyrik und Prosa wie zum Beispiel über die zeitgenössischen Bücher von Lutz Seiler oder Iris Wolff. Die Gesichter des Lesezirkels: Ellen Kositza und Susanne Dagen.
Ellen Kositza betreibt mit ihrem Mann, dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek, den Verlag Antaios. Susanne Dagen ist Buchhändlerin, ihr gehört das BuchHaus Loschwitz in Dresden und sie ist Teil der Dresdner AfD-Fraktion. Thorsten Hoffmann schreibt ihr eine Scharnierfunktion zwischen der "Neuen Rechten" und Literatur zu.
"Durch ihr Buchhaus Loschwitz, was auch als Veranstaltungsort dient, konnte Dagen gute Verbindungen in den Literaturbetrieb aufbauen. Auch zu Schriftstellern und Schriftstellerinnen in den neuen Bundesländern." Damit habe sie für die Neue Rechte eine enorme Bedeutung, erklärt Hoffmann. "Weil diese Verbindungen jetzt massiv genutzt werden, um Leute für diese Agenda, die bei Susanne Dagen mittlerweile eindeutig neurechts ist, zu gewinnen."
Literaturbesprechungen als Türöffner
Für den Literaturprofessor Hoffmann ist die Intention hinter Formaten wie dem YouTube-Kanal von Dagen und Kositza klar: "Die Neue Rechte versucht seit einigen Jahren, als ein Player im Literaturbetrieb ernst genommen zu werden." Und das funktioniere, indem man unter anderem literarische Romane rezensiert:
"Es geht darum, mithilfe dieser Texte auch von Menschen, die gar nicht nach neurechten Medien suchen, wahrgenommen zu werden. Weil diese Menschen zum Beispiel nach Bücherrezensionen auf YouTube suchen und dann auf neurechte Medien stoßen, ohne das im ersten Moment zu merken”, so Hoffmann.
Auch Hans-Joachim Schott sieht darin eine Gefahr. Neue Rechte würden Literatur als Zugriffsstrategie nutzen, um Zugang zum gesellschaftlichen Diskurs zu bekommen. "Man möchte zumindest auf oberflächlicher Ebene ähnlich argumentieren wie Konservative oder Liberale, um dann zu zeigen: 'Wir sind ja gar nicht extremistisch.' Die Strategie dahinter ist eine Selbstverharmlosung. Die funktioniert bei Literatur besonders gut, weil diese als autonom und nicht politisch gilt", erklärt Schott.
Schulze: "Ich habe Vertrauen in die Bücher"
Der bekannte ostdeutsche Schriftsteller Ingo Schulze setzt auf die Literatur und die Texte selbst: "Ich habe Vertrauen in die Bücher. Wenn es ein gutes Buch ist, dann kann man es nicht nach rechts verbiegen. Ich habe da Zutrauen in die Bücher und auch in den Großteil der Kritiker und Leser."
Schulze kennt Susanne Dagen schon sehr lange und früher hat er auch in ihrer Buchhandlung gelesen. Heute tut er das nicht mehr, aus zwei Gründen: Zum einen ist in der YouTube-Sendung auch der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner schon zu Gast gewesen und das unter falschem Namen. Zum anderen sieht er die Zusammenarbeit mit dem Verlag von Götz Kubitschek sehr kritisch. Mit jemandem wie Kubitschek der den Vorbürgerkrieg propagiert oder Bücher über “den großen Austausch” veröffentlicht, möchte er nichts zu tun haben. "Da ist für mich eine Grenzline überschritten", so der Literat. Weiter sagt Schulze: "Ich glaube, es tut Literatur nicht gut, wenn man sie gleich in rechts, links oder Mitte unterteilt." Er redet aber immer noch mit Dagen - zuletzt in einem Streitgespräch in der Sächsischen Zeitung.
Rechte Buchmesse in Halle
Im Herbst plant Dagen eine eigene Buchmesse in Halle (Saale). Unter dem Namen "Seitenwechsel" soll die Messe ausgerechnet am 9. November stattfinden - dem Gedenktag an die Reichspogromnacht. Für den Literaturprofessor Hoffmann nimmt diese Messe "neue Dimensionen" an.
Denn erstmals ist sie nicht als Rechts gekennzeichnet, sondern soll sich bewusst an "alle Lesenden" richten. Hoffmann erklärt: "Das ist die Strategie, die Susanne Dagen als Normalisierung bezeichnet. Sie möchte zu einer Normalisierung des neurechten Denkens beitragen." Dafür sei es wichtig, sich nicht mehr klar als rechts zu bekennen.