In Tel Aviv fordern Demonstranten ein Abkommen zur Freilassung der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln.
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Krieg in Nahost ++ Wieder Demonstration für Geisel-Deal ++

Stand: 03.09.2024 21:29 Uhr

Erneut sind in Tel Aviv Menschen auf die Straße gegangen, um einen Deal mit der Hamas zur Freilassung der Geiseln zu fordern. Die Impfkampagne gegen Polio in Gaza läuft laut WHO besser als erwartet. Die Entwicklungen im Liveblog.

Am Abend haben erneut Hunderte Menschen die israelische Regierung aufgefordert, mit der militant-islamistischen Hamas ein Abkommen für eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der verbliebenen Geiseln zu schließen. Die Demonstration im Zentrum von Tel Aviv war die dritte in Folge. Die Proteste waren am Sonntag neu aufgeflammt, nachdem das israelische Militär die Leichen von sechs Geiseln geborgen hatte.

Die Regierung müsse sicherstellen, dass die anderen Geiseln lebendig zurückkämen, sagte Emona Or, deren Bruder Avinatan beim von der Hamas angeführten Terrorangriff am 7. Oktober 2023 verschleppt wurde. Viele der Demonstranten trugen israelische Nationalflaggen oder gelbe Banner, die Solidarität mit den Geiseln symbolisieren sollen. "Beschließt das Abkomme", war auf einem der Transparente zu lesen.

Die US-Regierung sieht noch Hoffnung auf einen Deal zur Freilassung von Geiseln aus den Händen der Terrormiliz Hamas. Eine Einigung sei möglich, "wir glauben, dass wir nahe genug dran sind, dass die Lücken eng genug sind, dass es geschehen könnte", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. US-Präsident Joe Biden sei persönlich eingebunden in die Bemühungen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu will von strategischen Interessen seiner Regierung nicht abrücken und beharrt auf einer Kontrolle des sogenannten Philadelphi-Korridors, einem etwa 14 Kilometer langen Streifen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Kirby sagte dazu, der Vorschlag, der bei den Verhandlungen auf dem Tisch liege, beinhalte den Abzug der israelischen Streitkräfte aus allen dicht besiedelten Gebieten, einschließlich der Gebiete entlang des Korridors. "Und das ist der Vorschlag, dem Israel zugestimmt hat."

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, rief beide Seiten zur Flexibilität bei den Bemühungen um ein Abkommen auf. "Da sind noch immer Dutzende Geiseln im Gazastreifen, die auf ein Abkommen warten, das sie heimkehren lässt", sagte er. "Es ist Zeit, nun dieses Abkommen fertigzustellen." Miller setzte hinzu: "Die Menschen in Israel können nicht länger warten. Die palästinensische Bevölkerung, die ebenfalls unter den entsetzlichen Folgen dieses Krieges leidet, kann nicht länger warten." Um zu einem Abkommen zu gelangen, müssten beide Seiten "Flexibilität" unter Beweis stellen.

Das Forum der Geisel-Angehörigen in Israel hat ein von der Terrormiliz Hamas veröffentlichtes Video verurteilt, in dem eine Geisel gezeigt wird, die am Wochenende tot aufgefunden wurde. Das Forum der Familien der Geiseln und Vermissten, das sich für ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln einsetzt, sprach von einem "schockierenden Psychoterror-Video".

Die am Montag veröffentlichten Aufnahmen zeigen die 24-jährige Eden Yerushalmi, deren Leiche am Wochenende vom israelischen Militär geborgen worden war.  In dem zwei Minuten langen Video drängt Yerushalmi die israelische Regierung, die Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sicherzustellen.

UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk hat eine unabhängige Untersuchung des Todes sechs israelischer Geiseln gefordert, die nach israelischen Angaben hingerichtet wurden. "Wir sind entsetzt über Berichte, wonach bewaffnete palästinensische Gruppen sechs israelische Geiseln standrechtlich hingerichtet haben, was ein Kriegsverbrechen darstellen würde", schrieb Türks Büro im Onlinedienst X. Der Menschenrechtskommissar fordere "unabhängige, unparteiische und transparente Untersuchungen und dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden", hieß es weiter.

Die Lage in Nahost und die Tötung von sechs israelischen Geiseln soll am Mittwoch den Weltsicherheitsrat in New York beschäftigen. Der israelische Botschafter Danny Danon hatte zuvor in einem Brief Beratungen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen verlangt.

Auch Ratsmitglied Algerien beantragte Diplomaten zufolge, auf die sich die Nachrichtenagentur dpa bezieht, mit Blick auf die Lage in Gaza und dem Westjordanland eine Sitzung. Das Treffen soll am Mittwoch um 21 Uhr deutscher Zeit stattfinden.

Es sei "traurig, dass der Rat dafür elf Monate brauchte", schrieb Danon auf X.

Ein Auto von Journalisten ist laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa im Westjordanland von israelischen Einsatzkräften beschossen worden. Ein Mitarbeiter der Agentur sei in einem Ort westlich der Stadt Dschenin an der Hand getroffen und verletzt worden. Israels Armee teilte mit, diesen Bericht zu prüfen.

Bei einer Razzia der israelischen Armee im Westjordanland ist palästinensischen Angaben zufolge eine Jugendliche ums Leben gekommen. Die 16-Jährige sei durch israelische Schüsse getötet worden, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit. 

Demnach wollten israelische Einsatzkräfte in einem Ort westlich der Stadt Dschenin, die als Hochburg militanter Palästinenser gilt, mehrere Personen festnehmen. Details zu den Umständen des Tods des Mädchens nannte die Behörde nicht. Israels Militär teilte auf Anfrage mit, den Bericht zu prüfen.

Israel hatte vergangene Woche eine Militäraktion im nördlichen Westjordanland begonnen. Die Armee begründete das Vorgehen mit der deutlich gestiegenen Anzahl von Anschlägen auf Israelis. Ziel sei es, gegen die Hamas sowie den Islamischen Dschihad vorzugehen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Bei Kämpfen im Gazastreifen sind erneut zahlreiche Palästinenser getötet worden. In der Stadt Gaza kamen bei einem Angriff auf ein Gelände der Hamas acht Mitglieder der Terrororganisation ums Leben, wie Israels Armee mitteilte. 

Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden innerhalb von 24 Stunden 33 Menschen bei Kämpfen im Gazastreifen getötet und 67 weitere verletzt. Die Behörde unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.

Das angegriffene Gelände der Hamas in der Stadt Gaza befand sich Israels Armee zufolge in der Nähe des Al-Ahli-Krankenhauses. Unter den Getöteten ist den Angaben nach auch ein Kommandeur der Islamistenorganisation, der am Terrorangriff am 7. Oktober auf Israel beteiligt gewesen sein soll. Ahmed Fosi Nasir Mohammad Wadia sei damals per Gleitschirm nach Israel gedrungen und habe ein Massaker an Zivilisten in einem Grenzort befehligt. 

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Die Impfkampagne gegen Polio im Gazastreifen kommt nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO schneller voran als erwartet. Mehr als 161.000 Kinder unter zehn Jahren seien in den ersten beiden Tagen im zentralen Gazastreifen gegen das Virus geimpft wurden, teilte der WHO-Beauftragte für die Palästinensergebiete, Rik Peeperkorn, mit. Anvisiert gewesen seien 150.000 bis zu diesem Zeitpunkt.

"Bis jetzt läuft alles gut", sagt Peeperkorn. "Diese humanitären Pausen haben bisher funktioniert. Wir haben noch zehn Tage vor uns." Insgesamt läuft die Kampagne nun den dritten Tag. Israel hat begrenzten Feuerpausen zugestimmt, um die Massenimpfung gegen Kinderlähmung zu ermöglichen.

Julio Segador, ARD Tel Aviv, tagesschau, 03.09.2024 14:24 Uhr

Nach gut einmonatiger Pause wegen des Kriegs in Nahost nimmt die Lufthansa ihre Flüge in die israelische Metropole Tel Aviv am Donnerstag wieder auf. Die deutsche Fluggesellschaft begründete die Wiederaufnahme der Flüge mit der "aktuellen Situation", ohne Details zu nennen. Die Lufthansa-Flüge in die libanesische Hauptstadt Beirut bleiben hingegen "unverändert bis einschließlich 30. September ausgesetzt". Die jordanische Hauptstadt Amman wird bereits seit dem 27. August wieder angeflogen.

Die israelische Armee hat im Gazastreifen und im Westjordanland weitere Einsätze ausgeführt. Wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete, sprengten israelische Soldaten in der Stadt Gaza mehrere Häuser. Kampfflugzeuge griffen demnach zudem in der Nacht im Osten des Palästinensergebiets ein Gebäude an.

Die von der Hamas kontrollierte Zivilschutzbehörde teilte mit, Israel habe einen tödlichen Angriff auf ein Zelt in Chan Yunis im Süden des Palästinensergebietes ausgeführt. In dem Zelt seien Flüchtlinge aus anderen Regionen des Gazastreifens untergebracht gewesen. Zudem habe die israelische Luftwaffe das Zentrum des Gazastreifens bombardiert.

Im Westjordanland griff die israelische Luftwaffe nach eigenen Angaben am späten Montagabend eine "bewaffnete terroristische Zelle" in Tulkarem an.

Der britische Verteidigungsminister John Healey hat die Suspendierung von einigen Lizenzen für Waffenexporte nach Israel verteidigt. Die Entscheidung werde "keine wesentlichen Auswirkungen auf die Sicherheit Israels" haben, sagte Healey dem Sender Times Radio. Großbritannien habe die Pflicht, Gesetze zu befolgen. Das ändere aber nichts an der "unerschütterlichen Verpflichtung", Israels Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen.

Großbritannien liefert keine Waffen direkt an Israel, aber hat britischen Rüstungsunternehmen etwa 350 Lizenzen für den Export erteilt. Außenminister David Lammy teilte am Montag mit, dass die Regierung nun 30 dieser Genehmigungen suspendiert. Betroffen sind unter anderem Teile für Jets und Drohnen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu bemüht sich aus Sicht von US-Präsident Joe Biden nicht ausreichend um eine Vereinbarung über eine Waffenruhe mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen und die Freilassung israelischer Geiseln aus der Gewalt der Extremisten.

Biden sprach zwei Tage nach dem Fund der Leichen von sechs von der Hamas getöteten Geiseln mit Reportern. Unter den Toten war auch ein israelisch-amerikanischer Doppelstaatler. Nach den Leichenfunden kam es in Israel zu umfassenden Protesten. Die Frage, ob Netanyahu genug tue, verneinte Biden, als er zu einem Gespräch mit Beratern eilte, die an den Gesprächen über ein Waffenruhe-Abkommen beteiligt sind. Man sei einer Einigung aber sehr nahe. Die "Hoffnung währt ewig", erklärte Biden.

Zwei Wochen nach dem Angriff der proiranischen Huthi-Miliz auf einen Öltanker hat nach Angaben der US-Armee ein Einsatz zur Rettung des seit Tagen brennenden, vor der Küste des Jemen vor Anker liegenden Schiffs begonnen. Im Süden des Roten Meers seien "Bergungsarbeiten" für das havarierte Schiff im Gange, das "noch immer brennt und somit die Gefahr einer großen Umweltkatastrophe mit sich bringt", erklärte das für den Nahen Osten zuständige US-Zentralkommando Centcom.

Zuvor hatte bereits die EU-Mission Aspides - die nach dem Angriff die 25-köpfige Besatzung des Schiffs in Sicherheit gebracht hatte - erklärt, sie werde die Schlepper, die das Schiff bergen sollen, schützen und deren "Bemühungen unterstützen, eine Umweltkatastrophe zu verhindern". Aspides zufolge waren bislang keine "sichtbaren Anzeichen für eine Ölpest" erkennbar. Die Huthi-Miliz verübt im Golf von Aden und im Roten Meer seit Monaten immer wieder Attacken gegen Handelsschiffe.