Ukraine-Krieg und die Folgen ++ 180 Russen nach Fluchtversuch einberufen ++
Russland meldet, an der Grenze zu Georgien bereits mehr als 180 wehrpflichtige Männer an der Flucht gehindert zu haben - sie seien direkt einberufen worden. Die USA wollen die Ukraine so lange wie nötig unterstützen. Die Entwicklungen im Liveblog zum Nachlesen.
- Neun NATO-Mitglieder fordern verstärkte Hilfe für die Ukraine
- Duma wird sich mit Ratifizierung für Annexion beschäftigen
- Neun NATO-Mitglieder verurteilen die Annexion
- Deutschland finanziert Haubitzen für Ukraine mit
- Selenskyj meldet vollständige Eroberung Lymans
- Grossi fordert Freilassung von AKW-Chef
- London: Hohe russische Verluste bei Rückzug aus Lyman
Ende des Liveblogs
Damit schließen wir diesen Liveblog. Vielen Dank für Ihr Interesse.
Selenskyj: Erfolge nicht auf Lyman beschränkt
Die aktuellen Erfolge der ukrainischen Truppen sind nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht auf die Stadt Lyman beschränkt. Das teilte der ukrainische Präsident nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters am späten Abend mit - ohne zunächst weitere Details zu nennen. Die Ukraine hatte die strategisch wichtige Stadt Lyman im Osten der Ukraine zuvor vollständig von den russischen Besatzern zurückerobert.
US-Minister Austin: Unterstützung für Ukraine "so lange wie nötig"
Die USA sichern der Ukraine kontinuierliche Unterstützung zu - und das unabhängig vom weiteren Kriegsverlauf. Aktuell entwickelten sich die Kampfhandlungen positiv für die ukrainische Armee, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin dem Nachrichtensender CNN.
Es sei schwer, den weiteren Verlauf vorherzusagen, schränkte er ein. "Aber ich würde sagen, dass egal, in welche Richtung sich das entwickelt, wir den Ukrainer so lange wie nötig Sicherheitsunterstützung gewähren werden", betonte er. Austin ging in dem Interview nicht direkt auf die Frage ein, ob die USA der Ukraine nach der Annexion von vier Regionen durch Russland auch Raketensysteme mit größerer Reichweite liefern sollten.
Die Ukraine will solche Raketen mit einer maximalen Reichweite von rund 300 Kilometern. Als Grund für die bisherige US-Zurückhaltung gilt die Sorge, dass damit auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten. Mit der Annexion betrachtet Moskau aber nun auch die widerrechtlich einverleibten ukrainischen Regionen als sein Territorium.
Austin sagte auf die Frage, es gehe nicht nur darum, welche Waffen man zur Verfügung habe, sondern vor allem darum, wie man sie einsetze und verschiedene Aktivitäten auf dem Schlachtfeld miteinander verbinde. Die ukrainische Armee sei gut darin: "Sie bekommen die richtigen Sachen und setzen sie richtig ein", sagte Austin.
Kretschmer fordert Vorschlag der Bundesregierung zur Gaspreisbremse
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Bundesregierung dazu gedrängt, zügig einen Vorschlag auszuarbeiten wie die Gaspreisbremse nun aussehen soll. Im Bericht aus Berlin sagte er, dass in diesem Punkt andere europäische Länder weiter seien.
Immerhin habe die Bundesregierung ihren Kurs geändert, auch wenn das Monate zu spät gekommen sei. Mit den Entlastungen für die Verbraucher und Unternehmen müsse es nun ganz schnell gehen.
Russland: Mehr als 180 Männer bei Fluchtversuch an Grenze einberufen
Russland hat an der Grenze zum Nachbarland Georgien eigenen Angaben zufolge bereits mehr als 180 wehrpflichtige Männer bei der versuchten Flucht vor dem Einzug ins Militär gestoppt. Ihnen sei direkt am Grenzübergang Werchni Lars ein Einberufungsbescheid übergeben worden, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf das Militärkommissariat der an die Ex-Sowjetrepublik Georgien grenzenden russischen Region Nordossetien.
Die von Kremlchef Wladimir Putin vor rund zehn Tagen angeordnete Teilmobilmachung hat in Russland eine regelrechte Massenflucht ausgelöst. Zehntausende Männer flüchteten nicht nur nach Georgien im Südkaukasus, sondern beispielsweise auch in die zentralasiatischen Ex-Sowjetstaaten Kasachstan und Kirgistan.
Neun NATO-Mitglieder fordern verstärkte Hilfe für die Ukraine
Die Staats- und Regierungschefs von neun europäischen NATO-Staaten haben sich für einen Beitritt der Ukraine zur Allianz ausgesprochen. In einer gemeinsamen Stellungnahme riefen Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Nordmazedonien, Montenegro, Polen, Rumänien und die Slowakei alle 30 NATO-Mitglieder auf, die militärische Hilfe für die Ukraine zu verstärken.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Freitag einen Antrag auf einen beschleunigten NATO-Beitritt gestellt. Er reagierte damit auf die Annexion vier ukrainischer Gebiete durch Russland. Für den NATO-Beitritt eines Landes müssen alle 30 Mitglieder zustimmen. Eine rasche Aufnahme der Ukraine gilt als unwahrscheinlich.
Die neun NATO-Länder in Mittel- und Osteuropa befürchten, dass Russland sie als nächstes angreifen könnte, wenn der Angriff auf die Ukraine nicht gestoppt wird. In der Stellungnahme der Länder, die heute auf ihren Websites veröffentlicht wurde, hieß es, sie forderten Russlands umgehenden Rückzug aus allen besetzten Gebieten und ermutigten alle Verbündeten, ihre Militärhilfe für die Ukraine deutlich zu erhöhen.
Russisches Militär greift Heimatstadt von Selenskyj an
Das russische Militär hat die Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und andere Ziele mit Drohnen angegriffen. Die Attacke auf Krywyj Rih im Süden der Ukraine zerstörte zwei Stockwerke eines Schulgebäudes, wie der Gouverneur der Region, Walentyn Resnitschenko, mitteilte.
Russland begann in den vergangenen Wochen, sogenannte Kamikaze-Drohnen aus iranischer Produktion für Angriffe auf die Ukraine einzusetzen. In der Südukraine schoss die ukrainische Luftwaffe am Sonntag nach eigenen Angaben in der Nacht fünf Drohnen iranischer Herkunft ab, zwei weitere passierten die Luftabwehr.
Agentur: Duma beschäftigt sich Montag mit Ratifizierung der Annexion
Das russische Parlament wird sich einem Medienbericht zufolge ab Montag mit der Ratifizierung der Verträge und Gesetze für die Annexion von vier ukrainischen Regionen beschäftigen. Die Nachrichtenagentur RIA beruft sich auf den Sprecher des Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin. Unterdessen bestätigt das russische Verfassungsgericht die Zulässigkeit der Verträge für den Anschluss der Regionen. Die Übergangsfrist für die Eingliederung soll bis zum 1. Januar 2026 dauern.
Macron tauscht sich vor Berlin-Besuch mit Selenskyj aus
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich vor einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausgetauscht. Bei dem Telefonat habe Macron die Entschlossenheit Frankreichs bekräftigt, der Ukraine bei der Wiederherstellung ihrer vollen Souveränität und territorialen Integrität zu helfen und mit seinen europäischen Partnern auf neue Sanktionen hinzuarbeiten, teilte der Élyséepalast mit. Macron wird am Montag in Berlin erwartet.
Der französische Präsident habe die Festnahme des Leiters des Atomkraftwerks in Saporischschja durch russische Streitkräfte verurteilt. Beide Präsidenten hätten betont, dass es dringend erforderlich sei, den Austausch des ukrainischen Personals zu ermöglichen, das den Betrieb und die Sicherheit des AKW gewährleistet, hieß es aus Paris.
Italien: Russischer Botschafter einbestellt
Der russische Botschafter in Italien, Sergej Rasow, ist für Montagvormittag ins Außenministerium in Rom einbestellt worden. Wie ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa sagte, sei dieser Vorgang mit den anderen EU-Ländern und dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) abgestimmt.
Man reagiere damit auf die weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine und der Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland.
Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, der Botschafter Sergej Netschajew sei "zeitnah ins Auswärtige Amt einbestellt" worden.
Moskau: Ukrainische Munitionsdepots zerstört
Die russische Armee hat nach eigenen Angaben sieben ukrainische Munitionsdepots in den Regionen Charkiw, Saporischschja, Mykolaiw und Donezk zerstört. Das teilt der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau mit. Zudem sei die Radaranlage einer S-300-Flugabwehrstellung vernichtet worden.
Lambrecht weist Lauterbachs Kriegs-Einschätzung zurück
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ihrem Kabinetts- und Parteikollegen Karl Lauterbach in Bezug auf die deutsche Rolle im Ukraine-Krieg widersprochen. "Es ist ganz klar - sowohl für die deutsche Bundesregierung als auch für die gesamte NATO: Wir werden keine Kriegspartei", sagte Lambrecht im Bericht aus Berlin. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte zuvor auf Twitter geschrieben: "Wir sind im Krieg mit Putin".
Lambrecht betonte hingegen, das Prinzip, nicht Kriegspartei zu werden, "hat uns von Anfang an geleitet. Und daran hat sich auch nichts geändert."
Deutschland finanziert Haubitzenlieferung mit
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hat die Lieferung von 16 Radhaubitzen aus slowakischer Produktion in die Ukraine angekündigt. "Wir werden uns noch in vielfältiger Weise engagieren, wie bisher mit Partnern zusammen", sagte die SPD-Politikerin im Bericht aus Berlin.
Die Waffensystem werden demnach mit Dänemark und Norwegen finanziert und in der Slowakei produziert. Die "Zuzana 2" sollen nach ARD-Informationen im kommenden Jahr geliefert werden.
Russland: Nord-Stream-Pipelines könnten repariert werden
Der russische Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak nennt es einem Medienbericht zufolge möglich, die beschädigten Nord-Stream-Pipelines zu reparieren. Zwar habe es derartige Vorfälle noch nie gegeben, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Tass. "Natürlich gibt es technische Möglichkeiten, die Infrastruktur wiederherzustellen. Aber das braucht Zeit und die entsprechenden Mittel." Er sei sich sicher, dass "entsprechende Möglichkeiten gefunden werden".
Russland schränkt Zugriff auf Soundcloud ein
Russland hat den Zugang zum Musikdienste-Anbieter Soundcloud wegen angeblicher falscher Informationen über den Krieg in der Ukraine eingeschränkt. Das sei auf Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft erfolgt, teilte die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor der Nachrichtenagentur Interfax mit. Demnach sollen dort Angaben über Angriffe Russlands auf die Zivilbevölkerung des Nachbarlandes und zivile Opfer durch russische Soldaten veröffentlicht worden sein. Die Behörde habe den Anbieter zuvor zweimal aufgefordert, diese Angaben zur militärischen Spezialoperation - wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine in Russland bezeichnet wird - zu löschen. Das sei nicht erfolgt.
Unklar war zunächst, wie stark die Einschränkungen bei dem Musikanbieter waren. Aus der Ukraine gibt es immer wieder Berichte, dass russische Truppen auch die Zivilbevölkerung angreifen. Am Freitag und Samstag meldete Kiew etwa, dass Autokonvois angegriffen wurden. Die Berichte aus den Kriegsgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Papst fordert Waffenruhe von Putin und Selenskyj
Papst Franziskus fordert eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine. An die Präsidenten beider Länder gerichtet erklärt er, sie müssten einen Weg aus der Krise finden. Es sei "absurd", dass die Welt mit einer atomaren Bedrohung konfrontiert sei. An den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet sagt Franziskus, dieser solle die "Spirale der Gewalt und des Todes" aus "Liebe für sein eigenes Volk" beenden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj solle wiederum jedem "ernsthaften Friedensvorschlag" offen gegenüberstehen.
Russisches Gericht: Annexion ukrainischer Gebiete ist rechtens
Russlands Verfassungsgericht sieht in der Annexion von vier ukrainischen Gebieten keinen Verstoß gegen russische Gesetze. Die Aufnahme der Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja in die Russische Föderation stehe im Einklang mit der Verfassung, teilte das Gericht in St. Petersburg der Staatsagentur Tass zufolge mit.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Freitag die ukrainischen Gebiete annektiert. International wird dieser völkerrechtswidrige Schritt nicht anerkannt. Nach der Unterzeichnung prüfte das Verfassungsgericht diese Dokumente. Sie müssen nun noch vom Parlament und dem Föderationsrat besiegelt werden.
Selenskyj gibt vollständige Eroberung von Lyman bekannt
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die vollständige Eroberung der Stadt Lyman in der von Russland annektierten Region Donezk bekannt gegeben. Seit 12.30 Uhr (11.30 MESZ) sei die Stadt "vollständig" von russischer Militärpräsenz befreit, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. "Dank an unser Militär!"
Die strategisch wichtige Stadt Lyman war seit dem Frühjahr von Moskaus Truppen besetzt. Am Samstag hatte die ukrainische Armee die Stadt umzingelt und angeblich viele russische Soldaten eingekesselt; später gab das russische Verteidigungsministerium den Rückzug aus der Stadt bekannt. Es ist unklar, wie viele russische und ukrainische Soldaten bei den Kämpfen getötet oder verwundet wurden.
Lauterbach: "Wir sind im Krieg mit Putin"
Als erster Bundesminister hat Gesundheitsressortchef Karl Lauterbach davon gesprochen, dass sich Deutschland mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "im Krieg" befinde. Der SPD-Politiker benutzte die Formulierung am Samstagabend auf Twitter in einer Reaktion auf den Vorschlag, einzelne NATO-Staaten sollten Russland garantieren, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen werde, um so den Boden für Verhandlungen zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen das Land zu bereiten. "Mal ehrlich: Was sollen denn jetzt Kniefälle vor Putin bringen?", fragte Lauterbach daraufhin auf Twitter. "Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten. Es muss weiter konsequent der Sieg in Form der Befreiung der Ukraine verfolgt werden. Ob das Putins Psyche verkraftet, ist egal."
Der völkerrechtliche Begriff Krieg im klassischen Sinne ist nach Darlegung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags gekennzeichnet durch: einen bewaffneten Kampf zwischen Staaten oder Staatengruppen und eine Kriegserklärung oder ein Ultimatum. Es wird darauf hingewiesen, dass manche Völkerrechtler auf das letztere Merkmal verzichten und Krieg als Gewaltmaßnahme unter Abbruch der diplomatischen Beziehungen definieren.
Der Vorschlag eines Vetos gegen einen NATO-Beitritt als Zugeständnis an Russland war von dem Buchautoren Richard David Precht unterbreitet worden.
Drohnenflüge über Bundeswehr-Truppenübungsplatz
An einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr hat es in der Nacht zum Samstag verdächtige Drohnenflüge gegeben. Es sei "wiederholt zu Drohnenüberflügen mehrerer Drohnen über der Bundeswehrliegenschaft sowie dem angrenzenden Truppenübungsplatz Wildflecken" in Bayern gekommen, teilte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums der Nachrichtenagentur AFP mit. Die Polizei sei "unmittelbar informiert" worden und habe Ermittlungen aufgenommen. "Eine Gefährdung der Bevölkerung bestand zu keiner Zeit", betonte die Sprecherin. Zuvor hatte das Nachrichtenportal "Business Insider" berichtet, dass offenbar versucht worden sei, in Wildflecken mit den Drohnen zu spionieren.
Auf dem Gelände bilde die Bundeswehr ukrainische Soldaten an gepanzerten Fahrzeugen des Typs Dingo aus. Berlin hat Kiew die Lieferung solcher Fahrzeuge zugesagt. Zu den möglichen Urhebern der Drohnen-Aktion in Wildflecken äußerte sich das Verteidigungsministerium nicht.
Der "Spiegel" hatte bereits Ende August berichtet, deutsche Sicherheitsbehörden hätten Hinweise darauf, dass russische Geheimdienste die Ausbildung von ukrainischen Soldaten an westlichen Waffensystemen in Deutschland ausspähten. Kurz nach dem Beginn der Lehrgänge an zwei Bundeswehrstandorten habe der Militärische Abschirmdienst (MAD) verdächtige Fahrzeuge bemerkt, aus denen heraus vermutlich die Zufahrten zu den Kasernen beobachtet worden seien, berichtete das Magazin damals. Die Übungsplätze seien nach MAD-Erkenntnissen auch mehrmals mit Kleindrohnen überflogen worden, um die Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten zu beobachten, hieß es in dem Bericht weiter.
Institut: Putin hat Lyman-Rückzug selbst angeordnet
Militärexperten vom Institute for the Study of War sehen in dem Rückzug russischer Truppen aus der strategisch wichtigen Stadt Lyman in der Ostukraine "mit ziemlicher Sicherheit" eine bewusste Entscheidung von Russlands Präsident Wladimir Putin. Nicht die Militärkommandos hätten entschieden, dass die Frontlinien nahe der Städte Kupjansk oder Lyman nicht verstärkt werden, sondern der Präsident selbst, hieß es in einer ersten Analyse. Es deute darauf hin, dass sich Putin vielmehr um die Sicherung strategischer Gebiete in den Regionen Cherson und Saporischschja kümmern wolle. Lyman liegt in der Region Donezk.
Ukrainische und russische Quellen wiesen übereinstimmend darauf hin, dass die russischen Streitkräfte ihre Stellungen in den Regionen Cherson und Saporischschja weiter verstärkten, schrieben die Experten des Institute for the Study of War weiter. Sie berichteten zudem von einem «gescheiterten Bodenangriff» russischer Truppen auf den Ort Kosatscha Lopan im nördlichen Gebiet von Charkiw. Ukrainische Soldaten hätten den Angriff laut Generalstab nahe der russischen Grenze abgewehrt. Solche Angriffe deuteten darauf hin, dass Putin wahrscheinlich weiter das Ziel verfolge, die Kontrolle über Gebiete jenseits der von ihm rechtswidrig annektierten Regionen zurückzugewinnen - anstatt Soldaten gegen die ukrainische Offensive im Donbass einzusetzen.
Hardt: Mehr Hilfe für Kiew Eroberung von Lyman
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), fordert nach dem russischen Rückzug aus der ukrainischen Stadt Lyman mehr deutsches Engagement für Kiew. "Deutschland sollte die Rückeroberung von Lyman zum Anlass nehmen, noch mehr zu tun", sagte Hardt der Nachrichtenagentur AFP. "Die Ukraine will mehr Ausrüstung aus Deutschland und muss sie auch bekommen."
Der "Sieg von Lyman" werde bedauerlicherweise zwar nicht das Ende des Krieges sein, sagte Hardt. "Der Erfolg der ukrainischen Truppen zeigt aber, wie dieser Krieg auf absehbare Zeit beendet werden kann. Dafür braucht die Ukraine jetzt Schützen- und Kampfpanzer." Solches Militärgerät will die Bundesregierung bislang nicht an Kiew liefern. Die bessere Ausrüstung könne dem Land im Gegensatz zu einer Nato-Mitgliedschaft "sofort" helfen, fügte der CDU-Politiker hinzu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte als Reaktion auf die Unterzeichnung der Abkommen in Moskau zur Annexion von vier ukrainischen Regionen einen Antrag zur zügigen Aufnahme seines Landes in die Nato bekannt gegeben. Strategie der Nato ist es jedoch, in dem Konflikt mit Russland nicht Kriegspartei zu werden.
London: Hohe russische Verluste bei Rückzug aus Lyman
Beim Rückzug aus der strategisch wichtigen ostukrainischen Stadt Lyman haben die Russen nach Einschätzung britischer Geheimdienste hohe Verluste erlitten. Die Stadt im östlichen Gebiet Donezk sei zuvor mutmaßlich von unterbesetzten russischen Einheiten sowie Reservisten verteidigt worden, hieß es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Beim Rückzug über die einzige Straße aus der Stadt, die noch unter russischer Kontrolle sei, seien wohl viele Soldaten gefallen.
Russland hatte am Samstag - einen Tag nach der völkerrechtswidrigen Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete - in einer herben Niederlage gegen die ukrainische Armee die Stadt Lyman aufgegeben. Die Streitkräfte sind nach Angaben des russischen Militärs wegen der Gefahr einer Einkesselung abgezogen worden. Zuvor hatten ukrainische Behörden von rund 5000 eingekesselten russischen Soldaten gesprochen. Über die Anzahl der Gefallenen und Gefangenen gab es jedoch bislang keine konkreten Angaben.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Der Rückzug habe in russischen Regierungskreisen eine Welle an öffentlicher Kritik an der Militärführung ausgelöst, hieß es von den Briten. Weitere Niederlagen in den Regionen der annektierten Gebiete dürften dies weiter verstärken und den Druck auf hochrangige Kommandeure erhöhen.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.
Migrationsforscher befürchtet "historischen Fluchtwinter"
Der Migrationsforscher Gerald Knaus rechnet wegen des Ukraine-Krieges mit einem massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen in den kommenden Monaten. "Wir stehen vor einem historischen Fluchtwinter, sollte die Lage in der Ukraine sich weiter zuspitzen und im Winter die Versorgung mit Wärme und Strom nicht funktionieren, weil der russische Angriffskrieg etwa Kraftwerke zerstört oder Massenvernichtungswaffen einsetzt", sagte Knaus den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Darauf wäre die EU jetzt nicht vorbereitet."
Noch immer seien die Schutzsuchenden aus der Ukraine sehr ungleich in Europa verteilt, kritisierte der Soziologe: "Länder wie Tschechien und Polen tragen die Hauptlast, Staaten wie Frankreich haben einen Bruchteil der Kriegsflüchtlinge aufgenommen." Hier brauche es mehr europäische Solidarität. Sie sei nicht nur zwischen den Staaten nötig, auch Großstädte und Gemeinden müssten ein Netzwerk aufbauen, in dem die Aufnahme der Geflüchteten auch in Frankreich oder Italien gelinge. "Private Helfer haben vorgemacht, wie es geht: mit Transparenz, Informationspolitik und Solidarität", sagte der Vorsitzende der Denkfabrik European Stability Initiative. "Nur so ist diese historische Aufnahmeleistung von Flüchtlingen aus der Ukraine über den Winter zu stemmen."
Grossi fordert Freilassung von AKW-Chef
Der Leiter der UN-Atomenergieagentur IAEA, Rafael Grossi, hat die Freilassung des Generaldirektors des von Russland besetzten ukrainischen Kernkraftwerks Saporischschja gefordert. Er erklärte, seine Festnahme stelle eine Bedrohung für die Sicherheit dar.
Das für das Kraftwerk zuständige Staatsunternehmen hatte am Samstag erklärt, eine russische Patrouille habe Ihor Muraschow am Freitag festgenommen. Russland bestätigte die Festnahme. "Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, drückte die Hoffnung aus, dass Herr Muraschow sicher und schnell zu seiner Familie zurückkehren und seine wichtigen Funktionen in der Anlage wieder aufnehmen kann", twitterte die Agentur am späten Samstagabend.
Die IAEA habe mit den zuständigen Behörden Kontakt aufgenommen, um die vorübergehende Inhaftierung von Herrn Muraschow zu klären, die laut IAEA "erhebliche Auswirkungen" auf ihn und die Standards der nuklearen Sicherheit und Sicherung habe.
Es wird erwartet, dass Grossi nächste Woche in Moskau und Kiew Gespräche über die Einrichtung einer Schutzzone um die Anlage in Saporischschja führen wird, teilte die Überwachungsbehörde am Samstag mit.
Odessa: Zweiter Luftalarm für Lambrecht
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist am frühen Morgen von einem neuerlichen Luftalarm in der ukrainischen Hafenstadt Odessa geweckt worden. Mit anderen Mitgliedern ihrer Delegation musste die SPD-Politikerin um kurz vor 1.00 Uhr Schutz im Bunker ihres Hotels suchen. Nach etwa 20 Minuten wurde Entwarnung gegeben und die Ministerin konnte auf ihr Zimmer zurückkehren. Lambrecht sagte der Nachrichtenagentur dpa, sie sei im Schlaf von dem Alarm überrascht worden.
Ukrainisches Video soll Kontrolle der Armee über Lyman zeigen
Ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenkskyj hat ein Video gepostet, das die Übernahme der Kontrolle über die Stadt Lyman zeigen soll. "Liebe Ukrainer - heute haben die Streitkräfte der Ukraine Lyman zurückerobert und die Kontrolle übernomen", sagt ein ukrainischer Soldat in dem Video, das Kyrylo Timoschenko, stellvertretender Leiter des Präsidialamts, bereitstellte.
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, man habe die Truppen aus dem Ort Lyman in Donezk abgezogen, um einer Einkesselung zu entgehen. Ein Sprecher der ukrainischen Armee hatte zuvor gesagt, der strategisch wichtige Ort sei eingekreist. Eine unabhängige Klärung der widersprüchlichen Angaben war nicht möglich.