Deutsche in Kabul getötet "Eine gefährliche Entführungs-Mafia"
Die afghanische Polizei ist von Extremisten und Kriminellen infiltriert, es gebe mangelndes Vertrauen in die Politik. Das sind aus Sicht von ARD-Korrespondent Jürgen Webermann zwei wesentliche Probleme, die die Sicherheitslage in dem Land verschärfen.
Wie gefährlich die Lage nach wie vor in Afghanistan ist, das zeigt ein Vorfall in der Hauptstadt Kabul an diesem Wochenende. Bei einem Überfall wurden eine deutsche Entwicklungshelferin und ein afghanischer Wachmann getötet. Die Frau war dort für eine schwedische Hilfsorganisation tätig, und gegen diese Hilfsorganisation erhebt das afghanische Innenministerium jetzt schwere Vorwürfe: Die habe den angebotenen Polizeischutz abgelehnt.
NDR Info: Wie schwer wiegen diese Vorwürfe?
Jürgen Webermann: Ich halte diese Vorwürfe eher für recht scheinheilig. Zum einen: Auch das afghanische Innenministerium weiß, dass die Polizei für solche Situationen in der Regel gar nicht ausgebildet und solchen Situationen in der Regel auch gar nicht gewachsen ist. Zum anderen ist es so, dass auch die Polizei von Extremisten oder auch von Kriminellen infiltriert ist. Deshalb würde man der Polizei in Afghanistan eher nicht trauen. Die meisten ausländischen Hilfsorganisationen sehen das ähnlich. Polizeischutz anzubieten ist das eine. Aber ihn anzunehmen könnte eben auch bedeuten, dass man sich tatsächlich dann erst recht in Gefahr begibt.
NDR Info: Die bewaffneten Männer sollen auch eine Frau aus Finnland entführt haben. Weiß man denn inzwischen mehr über die Hintergründe?
Webermann: Normalerweise gibt es bei einem Sturm auf ein Gästehaus oder einem Anschlag relativ schnell Bekennerschreiben etwa der Taliban oder des sogenannten "Islamischen Staats". Hier ist es noch nicht der Fall. Das könnte dafür sprechen, dass es sich um einen rein kriminellen Hintergrund handelt. Was auch dafür spricht ist, dass die Täter es nicht etwa darauf abgesehen haben, sich mit der Polizei Schusswechsel zu liefern oder auch nicht in selbstmörderischer Absicht unterwegs waren, sondern offenbar versucht haben, still und leise in dieses Gästehaus einzudringen offenbar mit dem Plan, gezielt diese Frauen zu entführen.
Allerdings verschwimmen die Grenzen in Afghanistan auch immer wieder. Wir haben derzeit immer noch den Fall von zwei entführten Professoren der amerikanischen Universität, die inzwischen an die Taliban weiterverkauft worden sein sollen. Denn auch die Extremisten haben natürlich ein Interesse daran, Lösegeld zu erpressen, um den Krieg ihrer Kämpfer zu finanzieren.
NDR Info: Es gibt den Vorwurf, diese Entführungs-Mafia habe Unterstützung bis in hohe afghanische Kreise. Wie reagiert die afghanische Regierung darauf?
Webermann: Das ist natürlich ein extrem sensibles Thema für die afghanische Regierung, die natürlich auch in irgendeiner Weise nicht nur von den ausländischen Hilfsorganisationen, sondern vor allem auch von Hilfsgeldern abhängig ist. Gerade dann, wenn es Ausländer trifft, ist das ein extrem sensibles Thema.
Auf der anderen Seite ist die afghanische Regierung jetzt kein monolithischer Block. So war der Vizepräsident Abdul Raschid Dostum selbst in eine Entführung, einen Kidnapping- und Folterfall verwickelt. Er ist inzwischen außer Landes, erhält angeblich eine medizinische Behandlung in der Türkei. Eigentlich müsste er vor ein Gericht gestellt werden. Aber jeder weiß, dass es nicht passieren wird in Afghanistan. Das heißt, Präsident Aschraf Ghani und seine Leute sind da eher machtlos. Und dieser Fall zeigt auch, dass das Thema Kidnapping und auch Folter bis in die höchsten Politkreise durchaus ein gängiges Thema ist. Das ist eben das Problem - auch wenn man über die Mafia, die Kidnapping-Mafia spricht. Die hat mit Sicherheit gute Kontakte zumindest in die Polizei oder auch in die Armee.
NDR Info: Sie sind ja selbst auch immer wieder in Kabul. Wie gefährlich ist das denn für Sie? Wie sind Ihre Arbeitsbedingungen?
Webermann: Für uns ist das natürlich auch eines der brisantesten Themen. Wir müssen schon zusehen, dass wir immer unsere Wege wechseln, dass wir spontan handeln, nicht vorhersehbar handeln, also niemandem die Chance geben, sich irgendwie darauf einzustellen, wo wir gerade sein könnten. Wir versuchen, so unauffällig wie möglich zu sein. Wir versuchen, so wenig wie möglich draußen auf den Straßen zu sein. Und wenn dann eben so unauffällig wie möglich wieder zu verschwinden. Das ist eine Strategie damit umzugehen. Das war sicherlich auch die Strategie der schwedischen Hilfsorganisation. Auch die Entwicklungshelferin, die Deutsche, war sehr erfahren, was Afghanistan angeht. Sicherheit ist nun mal halt das wichtigste und größte Problem, mit dem auch wir als Ausländer zu tun haben. Es gibt nicht mehr so viele Ausländer in Kabul. Da ist man automatisch auch eine Zielscheibe.
Das Interview führte Liane Koßmann, NDR Info