Umbruch in der Arbeitswelt Wie die Vier-Tage-Woche funktionieren kann
Die Wirtschaft stagniert, es fehlt vielerorts an Personal. Gewerkschaften werben für die Vier-Tage-Woche. Das kann funktionieren, braucht aber viel Wille und Organisationsgeschick.
Andreas Schollmeier blickt in ungläubige Gesichter: "Die Mitarbeiter haben sich angeguckt und gedacht: 'Das kann er doch jetzt nicht ernst meinen'." Schollmeier meinte es aber ernst, das mit der Vier-Tage-Woche in seiner Steuerkanzlei am Niederrhein. Er ist ein großer Fan dieses neuen Arbeitszeitmodells. Dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einverstanden sind mit der Umstellung, war ihm wichtig. Das OK der Belegschaft kam schnell. Nun wird seit etwa zwei Jahren in seinem Unternehmen nur noch vier Tage gearbeitet.
"Wir haben zuerst von 40 auf 36 Stunden reduziert, und dann von 36 auf 32 Stunden ein Jahr später. Und das immer bei gleich bleibendem Gehalt", sagt Schollmeier. Weniger Tage arbeiten, ohne weniger zu verdienen, dafür mehr Zeit für Familie und Erholung: Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen das als Ausweg aus dem Alltagsstress.
Unternehmen und Ökonomen sind skeptisch
Einige Unternehmen, zum Beispiel Siemens, sehen das anders. Die dortige Personalchefin findet, eine Diskussion über kürzere Arbeitszeiten könne man sich volkswirtschaftlich nicht leisten. Das liege an der schnell alternden Gesellschaft und den fehlenden Fachkräften.
Auch Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hält die flächendeckende Vier-Tage-Woche für unrealistisch: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in dem Maße, in dem wir weniger arbeiten, auch weniger haben."
Wenn weniger Güter, weniger Dienstleistungen da seien, könne man auch weniger konsumieren und umverteilen zum Beispiel für soziale Zwecke. "Wir steuern auf eine Wohlstandseinbuße zu, die in eine Zeit fällt, in der wir demografisch bedingt ohnehin schon Schwierigkeiten haben, den Arbeitskräftebedarf zu decken", sagt Schäfer.
Bei Siemens etwa ist die Vier-Tage-Woche heute schon möglich. Laut der Personalchefin beobachtet man aber keinen Trend dahin. Das Angebot werde nur von den wenigsten Arbeitnehmern in Anspruch genommen. Bei Siemens gibt es aber auch keinen vollen Lohnausgleich.
Eine Frage der Organisation
Anders als in Schollmeiers Steuerkanzlei. Das Modell funktioniere, sagt er. Dafür habe sich aber einiges ändern müssen. Die erste Arbeitszeitverkürzung habe man gar nicht bemerkt, das wurde durch Motivation wettgemacht. "Die Mitarbeiter haben gesagt: 'Wenn ich freitags frei haben kann, wenn ich bis Donnerstagabend mit meiner Arbeit fertig bin, dann gebe ich Vollgas'", erzählt Schollmeier.
Der nächste Schritt sei viel anstrengender gewesen: "Da mussten wir die Prozesse deutlich verschlanken. Wir haben viel digitalisiert, automatisiert." Und auch das Zeitmanagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei ein Thema gewesen. Es sei eine Frage der Organisation, so Schollmeier. "Nicht jeder kommt um 10 Uhr und nicht jeder geht um 18 Uhr. Dadurch verteilt sich die Arbeit entsprechend."
Die Struktur hat sich grundlegend verändert. Und man habe sich aber auch Unterstützung und Knowhow von außen geholt, einen Schlafforscher zum Beispiel. Der habe geholfen, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden mit dem neuen Arbeitszeitmodell zu vereinen.
Pilotprojekte sammeln Wissen
In vielen Branchen in Deutschland - etwa der Pflege, in Kindergärten oder im Handwerk - fehlen heute schon Arbeitskräfte. Eine Umstellung sei in vielen Bereichen nicht machbar, sagt IW-Forscher Schäfer: "Die Vier-Tage-Woche ist sicherlich kein Modell für alle. Es gibt viele Bereiche, viele Unternehmen, viele Branchen, wo die Produktivitätszuwächse, die ich bräuchte, um diese Arbeitszeitverkürzung zu kompensieren, gar nicht möglich sind."
Wie und ob es doch gehen kann, testen aktuell etwa 45 Unternehmen aus verschiedenen Branchen in Deutschland im Rahmen eines großen Pilotprojektes. Wissenschaftlich begleitet wird es von der Universität Münster. In anderen Staaten wie Großbritannien, Spanien oder Island sind bereits ähnliche Experimente gelaufen.
Weniger Krankenstand und eine höhere Produktivität prognostizieren die, die für eine kürzere Arbeitszeit sind. Hohe Kosten erwarten die Gegner, weil es wegen des Fachkräftemangels kein neues Personal gebe, um die fehlende Arbeitszeit auszugleichen.
Vier-Tage-Woche heizt den Wettbewerb an
Auch Vier-Tage-Fan Schollmeier ist sich bewusst, dass das Modell nicht für jeden Betrieb funktioniert. Unternehmen aber sollten sich damit beschäftigen, denn wenn andere auf die Vier-Tage-Woche umstellten, erhöhe das auch den Wettbewerb um Fachkräfte.
Seine Fachkräfte haben jetzt mehr Zeit für die Pflege der Eltern, für Sport oder ein Ehrenamt. Die Vier-Tage-Woche kann also für manche ein Game-Changer sein - dafür muss sich im Betrieb aber auch einiges verändern.