Volksabstimmungen zu EU-Fragen Das Volk sagt meistens nein
Schäuble, Steinbrück, Döring: Die Idee einer Volksabstimmung über die künftigen EU-Verträge findet parteiübergreifend Befürworter. Sollte das Volk direkt über die Kompetenzverlagerungen nach Brüssel entscheiden? Staatsrechts-Experte Ulrich Battis erläutert im ARD-Interview die Chancen und Gefahren.
ARD: Wie sinnvoll wäre ein Volksentscheid speziell zum Thema Europa und zur Frage der Kompetenzabtretung an Brüssel?
Battis: Dass das durchaus sinnvoll sein kann, sieht man in vielen europäischen Mitgliedsstaaten der EU - ob das nun Irland ist, ob das die Niederlande sind oder Frankreich. Deshalb kann man nicht sagen, es sei sinnlos. Aber es ist riskant. In Irland ist die erste Abstimmung daneben gegangen, die zweite nicht. Auch in den Niederlanden ist die Abstimmung über die europäische Verfassung daneben gegangen und in Frankreich ebenso.
ARD: Wo liegen die Gefahren beim Thema Volksentscheid und Europa?
Battis: Die Gefahr besteht darin - jetzt aus der Sicht der Regierenden - dass bei Volksabstimmungen sehr häufig eine negative Mehrheit zustande kommt. So war es ja auch etwa in der Schweiz beim Thema Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum, also einem minderschweren Fall als bei der EU. Auch das ist schief gegangen, obwohl die Regierung das wollte, die Wirtschaft das wollte und auch die Mehrheit der Bevölkerung das wollte. Aber es war nicht genug. Bei direkter Demokratie ist die Gefahr groß, dass es negative Mehrheiten gibt.
ARD: Ist eine Volksabstimmung zu einem so komplexen Sachverhalt den Bürgern überhaupt vermittelbar?
Battis: Da bin ich weniger skeptisch. Sie sehen an den Volksentscheiden in den anderen Ländern, dass es offensichtlich geht. Das liegt nicht daran, dass die Leute nicht verstanden haben, worum es geht - sondern die wollen einfach nicht. Vielleicht gerade, weil sie es so gut verstanden haben. Grundsätzlichen Fragen wie eben Erweiterung der Rechte für die EU oder gar eine neue Verfassung, alles das kann man sehr gut so regeln. Skeptisch bin ich, wenn es zu sehr administrative Detailfragen sind. Auch die meisten Abgeordneten überblicken nicht, was im ESM im Einzelnen steht. Das müssen sie auch nicht. Dafür gibt es Fachleute in jeder Fraktion, und die werden sich dann schon verständigen.
ARD: Ist das Verlagern der Haushaltshoheit nach Brüssel vom Grundgesetz abgedeckt?
Battis: In dieser Pauschalität kann man die Frage nicht gut beantworten. Es kommt auf den Grad der Übertragung an. Grundsätzlich ist es so, dass das Haushaltsrecht, das Budgetrecht das Hauptgut ist. Als Königsrecht des Parlaments muss es in Berlin bleiben und darf nicht - zumindest ohne Verfassungsänderung - nach Brüssel abwandern. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Serie von Entscheidungen ja jetzt immer wieder betont und zum Teil auch den Parlamentariern ins Stammbuch geschrieben.
ARD: Gibt es die Verfassung her, im Fall des Fiskalpakts ein Referendum abzuhalten?
Battis: Im Moment nicht. Im Moment müsste zunächst einmal das Grundgesetz dahingehend geändert werden, dass zusätzlich zu Artikel 146 und zur Neugliederung, Artikel 29, ein neuer Artikel geschaffen würde, in dem drinstünde: In Fragen von der Übertragung von Befugnissen an die EU bedarf es einer Volksabstimmung. Das wäre ein neuer Artikel.
ARD: Wann sieht die Verfassung ein Referendum in Deutschland vor und wo sind die Unterschiede zu anderen europäischen Ländern wie Irland oder Frankreich?
Battis: Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, aber auch im Unterschied zu den Landesverfassungen in Deutschland, sieht das Grundgesetz nur in zwei Fällen einen Volksentscheid vor. Einmal in Fällen der Neugliederung des Bundesgebietes und dann eben im Falle der Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung. Und in anderen Ländern, beispielsweise in Irland, den Niederlanden und Frankreich, sind das grundlegende politische Fragen, wie eben die europäische Einigung. Und in der Schweiz können sie im Grunde genommen über alles abstimmen.
Das Interview führte Norbert Carius, ARD-Hauptstadtstudio