Computer Racks in einem Rechenzentrum des Unternehmens Telehouse.
faq

Deutsche Wirtschaft in der Krise Wie digital ist Deutschland?

Stand: 10.08.2023 18:43 Uhr

Viel wird über die Digitalisierung in Deutschland gesprochen - zumeist nichts Gutes. In anderen Ländern sieht das besser aus. Wo steht Deutschland in Sachen Digitalisierung? Ein Überblick.

Von Antonia Mannweiler, ARD-Finanzredaktion

Kaum ein anderes Gerät steht so sinnbildlich für den Stand der Digitalisierung in Deutschland wie das Fax-Gerät. Noch immer schmückt es Büros, Arztpraxen und Signaturen. Mehr als 80 Prozent aller Unternehmen in Deutschland, die mehr als 20 Mitarbeiter haben, nutzen das Gerät laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom noch - im Jahr 2023.

Der nebulöse Begriff Digitalisierung umschließt den 5G-Ausbau ebenso wie das elektronische Gesundheitsrezept und lässt sich nur schwer einfangen. Entsprechend komplex ist die Antwort auf die Frage nach dem Status quo.

Digitalisierung in der deutschen Wirtschaft kommt nur schleppend voran

I. Bafas / L. Appel, BR, tagesschau, 10.08.2023 16:00 Uhr

Wie weit fortgeschritten ist die Digitalisierung?

Glaubt man Umfragen und Rankings, dann steht es nicht besonders gut um die Digitalisierung in Deutschland. Der E-Government Development Index der UN misst den Grad der Digitalisierung in der Verwaltung unter den UN-Mitgliedsstaaten. Im vergangenen Jahr erreichte die Bundesrepublik dabei lediglich den 22. Platz. In der EU wird dies über den DESI-Index gemessen, der für den Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft steht. Und auch hier schaffte es Deutschland im vergangenen Jahr mit dem 13. Platz nur ins Mittelfeld. Das selbsternannte Ziel der Digitalstrategie der Bundesregierung lautet, es bis 2025 in die Top 10 zu schaffen.

Ob sie das schafft, wird aber kritisch hinterfragt. In der Wahrnehmung der Deutschen sinkt das Vertrauen in eine kohärente Digitalstrategie. In einer Befragung der Unternehmensberatung BCG, die in 41 Ländern stattfindet, war die Unzufriedenheit mit den digitalen Behördendiensten nur in zwei Ländern noch größer als in Deutschland: in Österreich und in Japan.

Derzeit sehe es so aus, "als würden auch südeuropäische Länder in der Umsetzung von E-Government-Lösungen schneller voranschreiten als das Land der Dichter, Denker und Verwaltungsbürokraten", schrieb Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zum Stand der Verwaltungsdigitalisierung.

Wie digital ist die öffentliche Verwaltung?

"Ich hatte die skurrile Situation, dass ich einen Bauantrag 2020 gestellt habe, da musste ich noch eine CD mit abgeben", scherzte der der Grünen-Politiker Michael Kellner jüngst. In vielen Verwaltungsämtern mangelt es noch immer an schlanken digitalen Abläufen. Die unzureichende Digitalisierung in der Verwaltung erlebt spätestens, wer einen Termin beim Bürgeramt hat. Dann müssen Anträge und Dokumente noch in Papier ausgefüllt und teils vor Ort abgegeben werden.

Dabei hätte die Verwaltung von Bund und Kommunen laut dem sogenannten Onlinezugangsgesetz (OZG), das im Jahr 2017 verabschiedet wurde, eigentlich schon 2022 vollständig digitalisiert sein sollen. Von den 575 im Gesetz verzeichneten Leistungen wurden aber lediglich 105 fristgerecht umgesetzt. Ein OZG 2.0. wurde im Mai auf den Weg gebracht.

Doch selbst bei der Einführung digitaler Dienstleistungen läuft nicht immer alles rund. So sorgte die Abgabe der Grundsteuererklärung bei vielen Bürgern für Frust. Das hing auch mit dem Steuerprogramm ELSTER zusammen, mit dem die Grundstückseigentümer ihre Daten übermitteln sollten. Bemängelt wurde dabei nicht nur die Unverständlichkeit, mit der die Daten abgefragt wurden, sondern auch das System selbst. So war das Portal tagelang überlastet und nur eingeschränkt erreichbar.

Wie arbeiten Bund, Länder und Kommunen zusammen?

Während einige Bundesländer beim Thema Digitalisierung vorangehen, hinken andere weit zurück. So steht Hamburg deutschlandweit am besten da, Sachen-Anhalt am unteren Ende. Als Problem bei der Einführung von schnelleren und effizienteren Verwaltungslösungen wird daher auch der mangelnde Austausch zwischen Kommunen und Ländern gesehen.

Dafür wurde eigentlich das "Einer-für-Alle"-Prinzip entwickelt, bei dem die digitalen Vorreiter in Bund und Kommunen Leistungen für die Nachzügler zur Verfügung stellen sollten. "Doch fehlende Digital-Kapazitäten in technischer oder personeller Hinsicht, falsche Prioritäten oder schlichtes Desinteresse in den Kommunen wirken weiterhin als Hemmschuh", schrieb Röhl vom IW dazu.

Zudem seien entwickelte Lösungen oft an spezifische Bedingungen sowie die Hard- und Software der jeweiligen Kommune angepasst und ließen sich nicht eins-zu-eins von anderen Gemeinden übernehmen, schon gar nicht in anderen Bundesländern. Die Neukonzeption einheitlicher Lösungen und Standards "für alle" wurde "im Dickicht föderaler und kommunaler Selbstbestimmung jedoch versäumt".

Welche Rolle spielt mangelnde Kommunikation?

Es mangelt aber nicht nur an der Einführung digitaler Prozesse, sondern auch an dem Wissen, dass solche überhaupt existieren. So gibt es zwar bereits seit 2019 die "Bund-ID" - ein digitales Nutzerkonto, mit dem etwa Anträge online gestellt werden können. Gewusst oder genutzt hat das in Deutschland aber bisher kaum jemand. In die Höhe sind die Nutzerzahlen zuletzt lediglich geschossen, weil Studierende für die Energiepauschale eine Bund-ID benötigten. So lagen die Nutzerzahlen von Anfang des Jahres noch bei knapp 250.000 und schnellten danach auf über zwei Millionen.

Ähnlich wie bei der Bund-ID gibt es bereits elektronische Rezepte, nur werden diese kaum genutzt. Nun soll das E-Rezept Anfang 2024 auf breiter Front verpflichtend eingeführt werden, bis Anfang 2025 soll es dann auch die E-Patientenakte für alle geben.

Wie steht es um die digitale Infrastruktur?

Um Zugang zum Internet zu erhalten, braucht es eine flächendeckende digitale Infrastruktur, das sich aus dem kabelbasiertes Festnetz und Mobilfunknetz zusammensetzt. Während in Städten und Ballungszentren gute Netze vorhanden sind, mangelt es im ländlichen Raum noch immer an guter Netzabedeckung oder schnellem Internet. Markus Kreher vom Wirtschaftsprüferunternehmen KPMG sagte dazu, dass sich aus rein wirtschaftlicher Sicht Investitionen auf dem Land vielfach nicht lohnen. "Aber der Staat hat ja auch Verpflichtungen im Rahmen der Daseinsfürsorge, und dazu muss auch die digitale Versorgung zählen." Dafür sollten Planungsvorhaben schlanker werden und Genehmigungsverfahren einfacher und schneller zum Ziel führen. 

Dabei kommt der Ausbau des Mobilfunkstandards der fünften Generation - 5G - voran. So teilte Telefónica (O2) Ende Juli mit, dass das eigene 5G-Netz rund 90 Prozent aller deutschen Haushalte erreiche. Die Telekom hatte bei der 5G-Abdeckung zuletzt bei 95 Prozent gelegen und Vodafone bei 81 Prozent.

Um die Digitalisierung voranzutreiben, geht es aber auch um viel Geld. Gegenüber der tagesschau betont der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder, wie wichtig Investitionen für die Digitalisierung seien. "Die Unternehmen in Deutschland müssen Tempo machen. In den USA werden in zwei Jahren bereits jährlich zwei Billionen Euro pro Jahr in Digitalisierung investiert. Wir sind in Deutschland bei 200 Milliarden Euro pro Jahr."

Was machen andere Länder besser?

In anderen Ländern ist man Deutschland bei der Digitalisierung weit voraus. Zu den digitalen Musterstaaten gehören Estland und Dänemark. So ist der digitale Personalausweis in Estland bereits seit mehr als 20 Jahren Pflicht. Seit 2005 kann in dem Land sogar elektronisch gewählt werden. In diesem Jahr wurden erstmals mehr als die Hälfte aller Stimmen mittels des E-Votings abgegeben - ein neuer Höchststand.

Die Dänen führen diverse Rankings zum Thema Digitalisierung an. Elektronische Patientenakten und digitale IDs gibt es dort schon lange. Das Land setzt auf die Pflicht: So können viele Anträge nur noch online erstellt werden. Wer davon ausgenommen werden will, kann dies aber beantragen.

Fehlt es an Fachkräften?

Um die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben, sind gut ausgebildete Fachkräfte unerlässlich. Es sind laut einer IW-Studie, die im Dezember vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, nicht nur Informatiker und Hochqualifizierte, die für den digitalen Umbau wichtig sind. Auch in Bereichen wie der Elektronik seien gut ausgebildete Fachkräfte unerlässlich, um Deutschland zu digitalisieren. Doch gerade in Ausbildungsberufen wie "Elektroniker/in für Betriebstechnik" werde die Fachkräftelücke in den kommenden Jahren bis 2026 enorm wachsen, so die Forschenden des IW. Schätzungsweise 8000 Fachkräfte könnten in diesem Bereich bis 2026 fehlen.

Und dass, obwohl es in den Jahren von 2018 bis 2021 gerade in Digitalisierungsberufen einen "Beschäftigungszuwachs" gegeben habe, der "deutlich höher als im Durchschnitt aller Berufe" war, heißt es. Ein Trend, der sich fortsetzen dürfte: Bis 2026 könnte die Zahl der Arbeitnehmer in Digitalisierungsberufen "um weitere 11,2 Prozent auf fast drei Millionen steigen". In der Summe wird das laut den Forschern des IW aber nicht reichen, um den Fachkräftemangel in den Digitalisierungsberufen zu beheben. "Im Jahr 2026 könnten knapp 106.000 qualifizierte Arbeitskräfte in Digitalisierungsberufen fehlen", so ihr abschließendes Urteil. 

Welche politischen Maßnahmen werden getroffen?

Im Mai wurde das zweite Onlinezugangsgesetz, das OZG 2.0., für die digtiale Verwaltung auf den Weg gebracht. "Spätestens 2024 werden dadurch zum Beispiel die Kfz- oder Führerschein-Anmeldung, die Ummeldung, die Eheschließung, eine Baugenehmigung und das Elterngeld deutschlandweit digital beantragt werden können", kündigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Mai an. Dabei stieß das Gesetz auch auf Kritik. So monierte Bitkom-Präsident Achim Berg: "Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein OZG 2.0, sondern allenfalls ein OZG 1.1."

Der Koalitionsvertrag sieht eigentlich einen "umfassenden digitalen Aufbruch" vor. An der Umsetzung hapert es jedoch an einer gewissen Kohärenz fürs Digitale: So ist im Großen und Ganzen zwar das Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr unter Volker Wissing (FDP) für die Digitalstrategie verantwortlich. Da es sich aber laut Bundesregierung um ein Querschnittsthema handelt, werden die vielen Aufgaben der Digitalisierung an diverse Ressorts verteilt. Allein für das Thema digitale Identitäten sind gleich fünf Ministerien unter Federführung des Innenministeriums beteiligt.

Für mangelnde Kohärenz spricht auch der Haushaltsplan für die Digitalisierung der Behörden, der Anfang des Monats für eine Kontroverse sorgte. Statt der bisher 377 Millionen Euro sah der Haushaltsentwurf für 2024 lediglich 3,3 Millionen Euro vor, wie die "FAZ" berichtete. Nach Protesten aus der Wirtschaft stockte das Innenministerium die Förderung schließlich doch noch um rund 300 Millionen Euro auf.

Mit Informationen von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. August 2023 um 16:00 Uhr.