Zementwerk Brevik in Norwegen

Klimaschutz Norwegen will das CO2-Problem unterirdisch lösen

Stand: 09.09.2024 06:34 Uhr

Auch in Deutschland soll Kohlendioxid künftig unterirdisch gespeichert werden. Das könnte allerdings noch Jahre dauern. Norwegen ist mit dieser Technologie deutlich weiter.

Von Johannes Jolmes, NDR

Was uns Projektleiter Anders Petersen aus Norwegen zeigt, hätte auch in Deutschland stehen können: eine Fabrik in Brevik, im Süden Norwegens, die Zement produziert. Das klingt erstmal wenig spektakulär. Aber dieser silberfarbene Turm, der 100 Meter in den Himmel ragt, kann den Klimaschutz in der Zementindustrie revolutionieren.

Denn diese Anlage soll helfen, Kohlendioxid (CO2) einzufangen und zu speichern. Die CO2-Speicherung wird CCS (Carbon Capture and Storage) genannt. In der Anlage in Brevik werden die Abgase in speziellen Behältern zunächst abgekühlt, dann wird eine Chemikalie hinzugegeben, und das Gemisch wird wieder erhitzt, um das CO2 abzuspalten. Unter hohem Druck wird es dann verflüssigt.

Norwegen als Vorreiter bei CCS

Johannes Jolmes, NDR, Plusminus, 28.08.2024 21:45 Uhr

CCS-Forschung in Norwegen seit 20 Jahren

Über eine 700 Meter lange Leitung wird das verflüssigte CO2 zu sechs Tanks transportiert, dort wird es zwischengelagert und dann per Schiff an die Westküste Norwegens gebracht. Mit der Pipeline geht es über 100 Kilometer raus aufs Meer, wo das CO2 dann in mehr als 2.000 Meter Tiefe verpresst wird und dort für immer lagern soll.

"Hier unten bauen wir einen Tunnel für unsere Pipeline, der geht auf 270 Meter runter, dann geht das Rohr weiter auf den Meeresgrund Richtung Norden und dann Richtung Westen, hinaus in die Nordsee", erzählt Sverre Overå, Projektleiter bei dem zuständigen Unternehmen Northern Lights. Noch ist die Anlage zum Einfangen des CO2 nicht ganz fertig, Ende des Jahres soll es losgehen.

"Hier in Brevik haben sie vor 20 Jahren darüber nachgedacht, wie man das CO2 aus der Zementproduktion einfangen kann und dass man das erforschen muss", sagt Projektleiter Petersen gegenüber Plusminus.

Norwegen möchte mit anderen Ländern kooperieren

Denn auf der einen Seite seien CO2-Emissionen bei der Zementproduktion nicht zu verhindern. Auf der anderen Seite sei man auf Zement angewiesen. "Wenn wir dekarbonisieren wollen, dann gibt es einerseits den Weg, komplett auf Zement zu verzichten, was unwahrscheinlich ist, da wir es zum Bau von Häusern und Brücken benötigen. Oder andererseits machen wir CCS und finden einen Weg, das CO2 zu speichern", so Petersen.

Norwegen ist vielen anderen Ländern damit einen Schritt voraus. Diesen Vorteil möchte das Land nutzen. Über eine Milliarde Euro habe das Land über die Jahre in CCS investiert, das soll sich nun auszahlen. In einigen Jahren wolle das Land CCS auch europäischen Partnern anbieten, zum Beispiel mit einer Pipeline von Europa nach Norwegen.

"Wir hoffen, so eine Pipeline wird dann auch dauerhaft den Transport und die spätere Verpressung günstiger machen. Wir sind ein Vorreiter und können zeigen, CCS ist eine sichere Technik", sagte Norwegens Energieminister, Terje Aasland.

Wirtschaftsminister Habeck war gegen CCS

In Deutschland ist man noch lange nicht so weit. CCS ist in Deutschland seit Langem wegen Sicherheitsbedenken umstritten und wurde faktisch verboten. Auch der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte sich 2009 noch stark gegen die Technologie, die zu dem Zeitpunkt in Schleswig-Holstein erforscht werden sollte. Er sagte in einem Interview am 9. September 2009, dass er sich "als Kreistagsfraktionsvorsitzender sehr dagegen engagiert" habe.

Der damalige Proteststurm vertrieb den Geologie-Professor Andreas Dahmke. Seine CO2-Experimente waren in Schleswig-Holstein nicht erwünscht. CCS war politisch tot - und deswegen investierte auch die Industrie nicht in die Technik. Forschungsgelder gab es ebenfalls nicht.

"2005 wussten wir vom Weltklimarat, wir brauchen CCS. 2008 waren wir in Deutschland relativ gut wissenschaftlich aufgestellt", sagte der Geologe Dahmke. Zu diesem Zeitpunkt sei es gut möglich gewesen, um Experimente zu machen und genügend Erfahrung für die Zukunft zu sammeln. "Und jetzt haben wir fast 2025, also 20 Jahre später. Wir haben keine große Erfahrung, wir haben keine technischen Erfahrungen", so Dahmke.

Umweltverbände warnen vor CO2-Speicherung

Auch heute noch warnen zahlreiche Umweltverbände wie der BUND und Greenpeace vor der CO2-Speicherung. Sie sehen unterschätzte Risiken: Die Erdbebengefahr könne steigen oder das Trinkwasser gefährdet sein. Klimaschützer fürchten zudem, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien und sauberer Technologien gebremst werden könnte, wenn das Klimagas im großen Stil unter der Erde gelagert werden darf.

"Ich versteh es einfach nicht, warum Menschen glauben, CCS sei zu gefährlich. Einer unserer Partner hat längst gezeigt, dass es eben nicht gefährlich ist. Und die machen diese Speicherung seit den 90er-Jahren", entgegnete Projektleiter Petersen aus Norwegen.

Politische Wende in Deutschland

In Deutschland erfolgte in diesem Jahr die politische Kehrtwende: Die Bundesregierung hat die umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid in Deutschland gebilligt. Das Kabinett stimmte im Mai für ein entsprechendes CO2-Speichergesetz. Allerdings müssen Bundestag und Bundesrat noch zustimmen.

Wirtschaftsminister Habeck will CCS möglich machen, um besonders für die Zement-, Stahl- oder Chemieindustrie den Weg in eine klimafreundlichere Produktion zu erleichtern. Danach ist eine CO2-Speicherung vor allem in der Nordsee geplant. Doch das könnte noch Jahre dauern. Ein direkter Nachbau der Anlage in Norwegen für andere Werke, etwa in Deutschland, ist technisch schwierig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 09. September 2024 um 09:40 Uhr.