Klage von Energielieferanten Verfassungsgericht verhandelt über Strompreisbremse
Durfte der Staat die Strompreisbremse unter anderem mit Abgaben von Versorgern finanzieren, die Erneuerbare Energie liefern? Diese Frage soll nun das Bundesverfassungsgericht klären.
Wenn heute in Karlsruhe der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zusammentritt, geht es um ein Gesetz, das vor nicht allzu langer Zeit in aller Munde war: Die "Strompreisbremse". Sie sollte Verbraucher vor zu hohen Stromkosten schützen und sie entlasten. Die Stromkosten waren 2022 als Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine stark angestiegen. Die westlichen Staaten verurteilten die Invasion scharf und verhängten Sanktionen. In der Folge gingen die Gaslieferungen aus Russland zurück. Deutschland hatte bis dahin aber sehr viel russisches Erdgas importiert - Gas, das auch zur Erzeugung von Strom verwendet wurde. Als die Lieferungen ausblieben, stiegen hierzulande die Preise für Gas und so auch für Strom stark an.
Preisbremse deckelte Verbraucherkosten
Dem wollte die Bundesregierung mit der Strompreisbremse entgegenwirken. Der Mechanismus setzte einen Maximalpreis fest, den Verbraucher für einen Teil ihres Stroms zahlen mussten. Doch dadurch entstand eine Lücke: Die Einkaufskosten der Energieversorger für Strom stiegen, während sie durch den Verbraucher-Preisdeckel weniger Geld einnehmen konnten. Diese Finanzlücke schloss laut Strompreisbremsengesetz zu einem Großteil der Staat, mit Steuergeld. Der Bund zahlte dafür bislang über 16 Milliarden Euro aus.
Für einen Teil der Lücke zog der Gesetzgeber aber auch Erzeuger erneuerbaren Stroms heran. Dagegen haben einige von ihnen Verfassungsbeschwerde erhoben. 22 dieser Beschwerden verhandelt heute das Bundesverfassungsgericht. Konkret geht es um sogenannte "Abschöpfungsbeträge", die die Betreiber von Wind-, Solar- und Biomasseenergieanlagen an die Netzbetreiber zahlen mussten. Gezahlt werde musste, wenn die erneuerbaren Anlagen zwischen dem 1. Dezember 2022 bis zum 30. Juni 2023 "Überschusserlöse" abwarfen, also einen Zusatzgewinn bescherten. Insgesamt geht es laut Bundesnetzagentur um rund 200 Millionen Euro, die bei Erzeugern Erneuerbarer Energie abgeschöpft wurden.
Erzeuger erneuerbaren Stroms profitierten
Die Bundesregierung nahm diese in die Pflicht, weil sie von der Krise profitierten. Das hat mit einer Besonderheit des Energiemarktes zu tun. Das rare Gas zählt zwar gerade nicht zu den Erneuerbaren Energien. Der Strompreis wird aber für jeden Strom, egal wodurch er erzeugt wird, durch das sogenannte "Merit-Order-Prinzip" bestimmt. Je nach Strombedarf werden unterschiedlich viele Kraftwerke zugeschaltet. Das Kraftwerk mit dem teuersten Preis, das noch hinzugeschaltet werden muss, bestimmt den Preis für alle. In der Regel waren diese preissetzenden Werke Gaskraftwerke.
Durch das "Merit-Order-Prinzip" wurde aber auch der erneuerbare Strom zu diesen hohen Preisen verkauft. Diese hatten aber gar keine Mehrkosten in der Produktion - Wind und Sonne blieben in der Krise gleich teuer. Die Folge: erneuerbare Energien bescherten manchen Erzeugern plötzlich erhebliche Gewinne. Der Gesetzgeber griff ein und beschloss mit dem Strompreisbremsegesetze eine teilweise Umverteilung. Von dieser waren zusätzlich beispielsweise auch die Betreiber von Atom- und Braunkohlekraftwerken betroffen.
Kläger sehen Allgemeinheit in der Pflicht
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), den das Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren um Stellungnahme gebeten hatte, kritisiert die Gewinnabschöpfung per Gesetz. Das Gesetz habe etwa die steigenden Beschaffungskosten für Altholz und Hackschnitzel nicht berücksichtigt. Es seien nicht die tatsächlichen Zufallsgewinne, sondern der Gesamtumsatz des Unternehmens als Berechnungsgrundlage genommen worden. "Die Erneuerbaren-Verbände hatten damals dafür plädiert, statt fiktiver Gewinne reale Gewinne über eine Steuer abzuschöpfen", sagt BEE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm.
Die Unternehmen, die die Beschwerde eingereicht haben, wenden sich nicht grundsätzlich dagegen, dass Stromkunden entlastet wurden. Sie sehen allerdings nicht sich selbst in der Pflicht. Stattdessen fordern sie, dass diese Entlastung komplett durch Steuermittel finanziert werde. Es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die die Unternehmen keine besondere Verantwortung treffe. Daher sei die Belastung verfassungswidrig.
Verfassungsgericht beschäftigt sich mit Strommarkt
Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wird der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts sich nicht nur mit rechtlichen Fragen, sondern auch intensiv mit dem Energiemarkt als Ganzem beschäftigen. Dabei werden die Parteien zur Strompreisbildung, der Entwicklung der Stromkosten sowie der Erlöse im Jahr 2022 vortragen müssen. Auch die Frage, ob die Beträge am Ende tatsächlich die Stromkosten der Verbraucher gesenkt haben, wird Thema sein.
Aus Sicht des Senats ist für die mögliche Verfassungswidrigkeit mitentscheidend, ob die gesetzliche Regelung mit den finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar sind. Heißt: ob das Ziel, die Verbraucher zu entlasten, verfassungsrechtlich geschützt ist und die Belastung der Anlagenbetreiber auch hinsichtlich dieses Ziels angemessen ist. Für die Richter muss auch sichergestellt sein, dass alle Anlagenbetreiber in gleicher Weise belastet werden.
Sollte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippen, müsste wohl der Bundeshaushalt für die Finanzlücke aufkommen. Die rund 500 Millionen Euro Überschussabschöpfung müssten an die Stromerzeuger zurückgezahlt werden. "Das wäre ein sehr großer Verwaltungsaufwand", sagt Christian Ertel, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. Für die Verbraucher dürften aber nachträglich keine Mehrkosten entstehen, so die Einschätzung des Experten.
Strompreisbremse außer Kraft
Die Strom- und Gaspreisbremsen gelten heute nicht mehr. Sie sind insgesamt zum 31. Dezember 2023 ausgelaufen. Darauf hatte sich die Bundesregierung in ihrem Vorschlag für den Haushalt 2024 verständigt. Hintergrund ist, dass die aktuell am Markt angebotenen Preise für Strom und Gas in der Regel ohnehin unter dem Preisniveau liegen, das durch die Energiepreisbremsen garantiert wurde.