Eine Frau arbeitet in einer Textilfabrik in Dhaka.
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Nachteile für deutsche Firmen? EU-Lieferkettengesetz spaltet deutsche Wirtschaft

Stand: 08.02.2024 18:05 Uhr

Die FDP ist gegen das EU-Lieferkettengesetz - und gibt vor, damit im Sinne der deutschen Wirtschaft zu handeln. Dabei ist die durchaus gespalten.

Von Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion

Christoph Werner, Chef der Drogeriekette dm, wählt klare Worte. "Der Weg, den wir da einschlagen, ist ein Holzweg", sagte er dem Magazin "Capital" zum geplanten EU-Lieferkettengesetz. Der Plan sei eine "übergriffige Art, Politik zu betreiben".

Das Anliegen an sich sei aber richtig. Nach Angaben von Werner ist dm dafür "gerüstet". dm selbst gilt seit Jahren als Vorbild bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit und Wahrung von Menschenrechten.

Hört man sich unter den Firmen in Deutschland um, wird klar: Am geplanten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) - so nennt sich das neue EU-Lieferkettengesetz offiziell - scheiden sich die Geister.

Christian Feld, ARD Brüssel, zur verschobenen Abstimmung des EU-Lieferkettengesetz

tagesschau, 09.02.2024 14:00 Uhr

Einige Unternehmen fordern die Umsetzung der EU-Regelung. Denn sie sehen sich jetzt, durch die deutsche Regelung, im Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern.

Andere Unternehmen haben international bereits mit der deutschen Gesetzgebung, die seit gut einem Jahr gilt, so negative Erfahrungen gemacht, dass sie noch größere Nachteile durch das EU-Recht fürchten und erleichtert sind, dass es nicht wie geplant umgesetzt wird.

Aldi Süd, Bayer, Mars pro EU-Lieferkettengesetz

Zu Wochenbeginn signalisierten 18 Unternehmen und Initiativen ihre Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz. Zu den Unternehmen zählen die Supermarktkette Aldi Süd, der Chemie- und Pharmakonzern Bayer, der Lebensmittelkonzern Mars, der Textildiscounter KiK oder die Kaffeekette Tchibo.

Sie orientieren sich nach eigenen Angaben bereits an UN- oder OECD-Standards bei Umweltschutz und Menschenrechten und meinen: "Die Vorgaben der CSDDD sind aus unserer Sicht angemessen und umsetzbar."

Die Konzerne sehen eine Verbesserung des Wettbewerbs: "Insbesondere für deutsche Unternehmen, die das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einhalten, bedeutet eine europaweite Regelung, dass Wettbewerbsvorteile auf Kosten von Mensch und Umwelt endlich unterbunden werden", hieß es von den Unternehmen. Sie wollen die Umsetzung.

In Deutschland gilt nämlich bereits seit dem vergangenen Jahr das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern müssen Umweltstandards und Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette beachten.

Studie: Deutsche Unternehmen würden von EU-Regel profitieren

Die Folge: Gut zwei Drittel der großen Unternehmen erfüllen schon heute im Wesentlichen die Anforderungen der deutschen Gesetzgebung. Das ergab eine Studie der Unternehmensberatung wmp consult im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, die auf einer Auswertung von Fallstudien, Unternehmensberichten und Interviews basiert.

Dementsprechend würden diese Unternehmen laut der Studie "davon profitieren, dass gleiche Spielregeln in ganz Europa gelten". Die EU-Regeln gingen zwar teilweise über die deutsche Regelung hinaus, beinhalten aber auch im Vergleich zum deutschen Gesetz Entlastungen für Unternehmen.

Laut DIHK Kaskadeneffekte und Rückzug

Dieser positiven Sichtweise widerspricht die Deutsche Industrie- und Handelskammer, DIHK, in Teilen. Durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz komme es schon jetzt teilweise bereits zu einem Kaskadeneffekt: Große Unternehmen würden die an sie gerichteten Anforderungen an ihre kleinen und mittleren Lieferanten weitergeben.

Das hatte eine Umfrage der DIHK unter rund 2.400 auslandsaktiven Betrieben bereits im Sommer ergeben. "Kleine und mittlere Unternehmen haben aber oft nicht die finanziellen und personellen Ressourcen, um diese Anforderungen zu tragen", hieß es von der DIHK.

Die Folgen würden sich bereits bemerkbar machen: Knapp ein Viertel (23 Prozent) der betroffenen großen Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gab laut DIHK an, sich aus Risikoländern zurückzuziehen oder dies zu planen. "Dies ist gerade vor dem Hintergrund der angestrebten Diversifizierung von Lieferketten und Handelsbeziehungen ein schlechtes Signal", warnte die DIHK.

"Zwar ist die Achtung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt ein Anliegen, das Politik und Wirtschaft eint. Die Folgen für den Standort Europa sind aber bisher nicht ausreichend berücksichtigt", so der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Nachhaltigkeit sollte aber nicht auf Kosten der Diversifizierung der Lieferketten erreicht werden, die gerade in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten unabdingbar sei.

"Folgen für Europa nicht ausreichend berücksichtigt"

Jetzt mahnte die DIHK gegenüber tagesschau.de nochmals an, Sorgfalt vor Eile walten zu lassen: Für die Akzeptanz des grundsätzlich wichtigen Themas in der Wirtschaft sei der aktuelle Zeitdruck nicht förderlich, so die DIHK. Im Gegenteil: "Für Deutschland gilt das ganz besonders, da die Erfahrungen mit unserer nationalen Regelung teilweise auch bei in der Sache eigentlich positiv zugewandten Akteuren sehr negativ sind."

Viele Unternehmen fürchten also Verschlimmerungen. Hört man sich in verschiedenen Branchen um, so sind die Akteure grundsätzlich der EU-Regelung aufgeschlossen: Die Grundidee, den Binnenmarkt zu harmonisieren, sei nicht schlecht, heißt es. Es dürfe aber keine Belastung über das deutsche Gesetz hinaus geben. Die EU könne aus dem deutschen Gesetz lernen.

Es gibt vor allem substantielle Bedenken: Der EU-Text sei noch nicht gut genug, berichten Unternehmen und Verbände und fordern mehr Rechtssicherheit. Viele von ihnen weisen vor allem auf die Möglichkeit hin, dass gegen sie geklagt werden kann: Natürlich müssten Verstöße geahndet werden, heißt es aus der Industrie. Aber die Rechtsbegriffe müssten klar definiert sein, damit Unternehmen nicht willkürlich erpresst oder an den Pranger gestellt würden.

Und so herrscht in der deutschen Wirtschaft in vielen Teilen erst einmal regelrecht Erleichterung über die geplante Enthaltung Deutschlands zum EU-Gesetz.

Alternativ-Vorschläge

Alternativen zum bisherigen Gesetzentwurf gibt es: dm-Chef Werner plädiert für Handelsabkommen und Siegel, die die Einhaltung von Standards nachweisen.

Franz Staberhofer, Leiter des Logistikums an der FH Oberösterreich, hatte schon im Herbst eine Listen-Regelung vorgeschlagen: Sie müsse "rechtlich verbindlich die Unternehmen entlasten".

Produzierende Unternehmen müssten somit nicht mehr einzeln dasselbe Prozedere durchlaufen. "Damit würde man das Ziel des Lieferkettengesetzes wieder in den Mittelpunkt stellen: die Nachhaltigkeit."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 01. Februar 2024 um 15:00 Uhr.