EU-Gipfel in Brüssel Die Suche nach den Steuermilliarden
Etwa eine Billion Euro entgehen den EU-Staaten Jahr für Jahr durch Steuerflucht. Dem wollen die Regierungen nicht länger tatenlos zusehen und besprechen das Thema auf ihrem Gipfeltreffen. Doch Kritiker fürchten, dass es bei bloßen Worten bleiben wird.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Europas Politiker haben sich auf die Suche nach den versickerten Steuermilliarden gemacht. Endlich, meint der SPD-Finanzpolitiker Udo Bullmann: "Eine Billion ist eine Menge Holz, das uns jedes Jahr durch schlechte steuerpolitische Praxis und Steuerhinterziehung fehlt."
Eine Billion Euro - das ist fast doppelt so viel, wie Europas Staaten derzeit jedes Jahr an neuen Schulden aufnehmen müssen. "Die Schuldenkrise könnte also einiges von ihrem Schrecken verlieren", sagt der Grünen-Politiker Sven Giegold. "Über die Steuerfrage könnten wir den Druck zu sparen vermindern und die Möglichkeiten für Investitionen verbessern."
Die Parlamentarier fordern deshalb die EU-Regierungen auf, bis 2020 wenigstens die Hälfte dieser Steuerlücke zu schließen. Das sei auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, meint der SPD-Politiker Bullmann. "Es kann nicht sein, dass das öffentliche Gemeinwesen in der EU lediglich von denen finanziert wird, die nicht weglaufen können oder die zu anständig sind zum Weglaufen."
Informationsaustausch zwischen EU-Staaten erwünscht
An Ideen, wie das erreicht werden kann, fehlt es den Parlamentariern nicht. Da wäre zum ersten der automatische Informationsaustausch zwischen den EU-Staaten. Die Steuerbehörden würden so erfahren, wenn die Bürger Einkünfte in einem anderen EU-Land verheimlichen.
So einen Informationsaustausch gibt es schon, aber er betrifft lediglich die Zinseinnahmen aus normalen Sparverträgen. Der Geltungsbereich soll seit Jahren ausgedehnt werden auf viele andere Arten von Kapitaleinkünften. Die EU-Kommission will sogar bis 2015 einen automatischen Informationsaustausch über alle Einkommen, einschließlich Renten, Versicherungen und Gehälter etabliert haben.
Doch bei all dem stehen immer wieder Luxemburg und Österreich im Weg. Was viele Europaparlamentarier auf die Palme treibt. "Österreich hat Stiftungsvorschriften, die geradezu die Reichen einladen, nach österreichischem Recht Steuerhinterziehung zu betreiben", so Werner Langen von der CDU.
Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber glaubt, dass es der Union so auch an der nötigen Schlagkraft fehlt, um gegen Steueroasen außerhalb der EU vorzugehen: "Wenn Europa nicht mit einer Zunge spricht, weil es zwei Länder oder ein Land gibt, das Sonderregelungen für sich in Anspruch nimmt, werden wir uns schwer tun, mit der Schweiz, Singapur oder anderen Teilen dieser Erde, wo Steueroasen sind, seriös zu verhandeln. Wer ausreiten will, muss den eigenen Stall sauber halten." Aber der Stall, so fürchten die Abgeordneten, dürfte auch auf dem heutigen Gipfel noch nicht ausgemistet werden.
Mehr als nur Lippenbekenntnisse?
Auch sonst werden die Regierungschefs außer Lippenbekenntnissen wenig zu Wege bringen, glaubt Grünen-Politiker Giegold: "Wir sind in einer Periode des Fortschritts, aber leider geht der Fortschritt schon wieder in Richtung Schneckentempo." Das gelte auch für die Unternehmensbesteuerung. Hier würden sich die EU-Staaten mit diversen Lockangeboten gegenseitig die Steuereinnahmen abjagen. "Und oft nutzen das die Unternehmen aus, um dafür zu sorgen, dass ihre Gewinne überhaupt nicht mehr besteuert werden", so Giegold.
"Regelungen, mit denen einzelne Länder versuchen, anderen Ländern die Steuereinnahmen abzugraben oder gar Steuerhinterziehung zu fördern, sind staatlich organisiertes Schmarotzertum", findet der österreichische Abgeordnete Othmar Karas.
Die Liste der Versäumnisse
Das Ziel, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern einzuführen, ist nach wie vor in weiter Ferne. Udo Bullmann setzt die Liste der Versäumnisse fort. Wo bleibt die schon lange vom Parlament und der EU-Kommission geforderte schwarze Liste der Steueroasen, die dann auch Sanktionen ermöglichen würde?
"Die Länder, die nicht willig sind, Steuerdaten auszutauschen, müssen dann auch merken, dass das Steuern-versickern-lassen, kein einträgliches Geschäft mehr ist", so Bullmann. Und den Banken, die in solchen Steueroasen aktiv sind, müsste die Lizenz entzogen werden.