Europäische Zentralbank Lagardes cleverer Schachzug
Jeden Stein in der EZB wolle sie umdrehen, kündigte die neue Notenbank-Chefin Lagarde an. Das ist aus mehreren Gründen ein geschickter Schachzug. Doch was heißt das für die Geldpolitik?
Es weht ein neuer Wind in der Europäischen Zentralbank - ziemlich heftig sogar. Kein bösartiger Sturm. Kein zerstörerischer Tornado. Aber doch eine kräftige Brise. Sie dürfte so manches aufwirbeln.
Auslöser ist die neue Chefin: Christine Lagarde kündigte nach ihrer ersten Ratssitzung im Dezember an, alles auf den Prüfstand zu stellen. Jeder Stein in der EZB werde umgedreht, um zu überprüfen, ob man mit der gegenwärtigen Strategie auf dem richtigen Weg sei, so die neue Präsidentin. Sie ist seit November im Amt.
Überprüfung der Geldpolitik seit langem gefordert
Von Lagarde ist das ein äußerst geschickter Schachzug. Offiziell kann niemand etwas dagegen haben. Denn die letzte Überprüfung liegt schon rund 17 Jahre zurück.
Kritiker im EZB-Rat, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft sind froh, denn sie sehen die zahlreichen negativen Nebenwirkungen der Geldpolitik seit Jahren mit Sorge - von den Null-Zinsen über die Immobilienblase bis zur angespannten Lage bei Versicherungen und Pensionskassen. Die Überprüfung der Geldpolitik fordern sie seit langem.
Für die Newcomer im Haus bieten sich dadurch neue Chancen: So könnte der seit Juni amtierende neue Chefvolkswirt Philip Lane aus dem Schatten seines Vorgängers Peter Praet treten. Praet ist zusammen mit Ex-Präsident Mario Draghi maßgeblich verantwortlich für die gegenwärtige Geldpolitik der EZB.
Das gilt auch für Fabio Panetta. Der Italiener, bislang stellvertretender Präsident der italienischen Notenbank, hat zum Jahreswechsel den Franzosen Benoît Cœuré im Direktorium abgelöst. Auch er war prägend für die Ausrichtung der gegenwärtigen Geldpolitik. Neu im Direktorium ist auch die Deutsche Isabel Schnabel. Sie ist für die zurückgetretene Sabine Lautenschläger in das Gremium eingezogen.
Lagarde gewinnt mit Überprüfung Zeit
Ein cleverer Schachzug ist die Überprüfung auch für Lagarde selbst. Denn durch das Verfahren gewinnt sie Zeit. Zeit, um sich in die Materie der Europäischen Zentralbank mit allen ihren komplizierten Wendungen und Feinheiten genau einzuarbeiten.
Denn anders als ihre Vorgänger hat Lagarde keine Notenbank-Erfahrung. Die gelernte Juristin war zwar einst Finanzministerin Frankreichs und sehr erfolgreiche Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Doch die Notenbankwelt ist ihr fremd.
Nun hat die Französin also ein Jahr lang Zeit, um sich in die Arbeit und Statuten der EZB akribisch einzuarbeiten, wie es ihre Art ist. Das ist natürlich umso leichter, da eh alle Aspekte der Geldpolitik und des Managements der EZB im Zuge der Überprüfung auf den Tisch kommen.
Weiterhin keine Zinsen für Erspartes
In den nächsten Monaten wird geldpolitisch also nicht viel passieren. Sollte es keine dramatischen Verwerfungen und Turbulenzen geben, wird die EZB weiterhin ihre lockere Geldpolitik fortsetzen. Sie wird also monatlich für 20 Milliarden Euro Anleihen kaufen und den Hauptleitzins bei null Prozent belassen. Auch wird sie die Strafzinsen für Banken kaum ändern.
Die Folge: Auch in diesem Jahr wird es keine Zinsen für Erspartes geben. Im schlimmsten Fall müssen Kunden für ihr Konto noch tiefer in die Tasche greifen. Denn immer mehr Banken und Sparkassen in Deutschland geben die Negativzinsen weiter, die sie bei der EZB für geparktes Geld zahlen müssen.
Eine Umfrage des Verbraucherportals biallo unter 1300 Banken und Sparkassen in Deutschland ergab, dass mittlerweile 190 Geldhäuser Negativzinsen kassieren, davon knapp 90 im Privatkundenbereich. Vor einem halben Jahr waren es nur 30.
Den Begriff "Strafzinsen" oder "Negativzinsen" hören die Kunden dabei selten. Die Kreditinstitute sprechen lieber von "Verwahrgeld" oder verstecken die Kosten in steigenden Gebühren. Der Erfindungsreichtum kennt dabei keine Grenzen: Manche Institute wollen jetzt sogar Gebühren, wenn man Geld auf das eigene Konto einzahlt.
Keine Rechtfertigung mehr für lockere Geldpolitik
Für Sparer wird es also erneut ein tristes Jahr, für Häusle-Bauer bleiben die Finanzierungskosten hingegen sehr niedrig. Aktionäre können sich auf tendenziell steigende Kurse freuen. Dennoch deutet sich an, dass die Zinswende schneller kommen könnte, als bislang gedacht.
Sollte die EZB in ihrer Überprüfung ihr Inflationsziel senken - von derzeit knapp zwei Prozent auf vermutlich 1,5 Prozent - könnte sie schon im nächsten Jahr Luft bekommen, um auch die lockere Geldpolitik zu ändern. Denn derzeit erholt sich die Konjunktur in der Eurozone etwas, die Inflation zieht leicht an.
Auch der Handelskonflikt zwischen den USA und China, hauptverantwortlich für die weltweite Wirtschaftsschwäche, könnte Anfang nächsten Jahres gelöst sein. Denn dann ist der Wahlkampf in den USA vorbei. Dies würde Konjunktur und Inflation weiter antreiben.
Damit erhöhen sich die Chancen der EZB, ihr dann neues Inflationsziel zu erreichen. Damit gäbe es aber keine Rechtfertigung mehr, an der lockeren Geldpolitik festzuhalten. Dies wiederum könnte den Weg für eine Zinswende frei machen.
Noch wird dieses Szenario an den Finanzmärkten kaum gesehen. Auch deshalb nicht, weil es bedeuten würde, dass sich die Party am Aktienmarkt dem Ende nähert. Der Frühjahrsputz in der EZB könnte genau das auslösen. Vieles spricht dafür, dass der frische Wind in der EZB etwas in Bewegung bringt.