Kolumne Euroschau Unsinn mit verheerenden Folgen
Tut sie es oder tut sie es - noch - nicht? Senkt die EZB bei ihrer Sitzung in Bratislava den Leitzins auf ein historisches Tief? Ein solcher Schritt wäre arrogant und unsinnig. Und er würde die Bürger endgültig die Zeche der Finanzkrise zahlen lassen.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Prächtige Bauten, schmucke Plätze und ein weltoffenes Flair direkt an der Donau - so präsentiert sich Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei. Schon so manchem sind hier am Fluss die besten Ideen gekommen. Vor wenigen Wochen feierte das osteuropäische Land den 20. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Die Trennung von der heutigen Tschechischen Republik Anfang 1993 war friedlich. Damals traute man der nach Osten gewandten Slowakei nicht viel zu. Heute ist das kleine Land ein Beispiel, dass die Europäische Union und der Euro Positives bewirken. Diese Woche ist Bratislava Gastgeber des Rates der Europäischen Zentralbank. Denn seit 2009 zahlt man auch hier mit der Gemeinschaftswährung.
EZB-Präsident Mario Draghi dürfte erleichtert sein. Endlich reist er im Zuge der zweimal jährlich angesetzten Auslandssitzungen in ein Euro-Land, das nicht von der Krise zerrissen ist. Im vergangenen Frühjahr bei der Sitzung in Barcelona steuerte die spanische Bankenkrise auf ihren Höhepunkt zu. Im vergangenen Herbst riss man sich im slowenischen Ljubljana mit Ach und Krach am Riemen, um Hilfen aus dem europäischen Rettungsschirm gerade noch abzuwenden.
In der Slowakei brummt die Wirtschaft
Ganz anders die Situation in der Slowakei. Auf dem Weg zur Pressekonferenz in der Philharmonie von Bratislava braucht Draghi dieses Mal keine Demonstranten zu fürchten. Die Eurokrise berührt das Land nur am Rand. Die Wirtschaft brummt. Dank ihrer starken Automobil- und Maschinenbau-Industrie und niedriger Lohnkosten verbuchte die Slowakei im vergangenen Jahr ein Wachstum von 2,7 Prozent.
Allerdings hat das Land auch eine schwere Rosskur hinter sich. Anfang des Jahrhunderts mussten die Slowaken schmerzhafte Einschnitte verkraften. Die Alterssicherung wurde auf den Kopf gestellt. Auch eine sogenannte Flat-Tax wurde eingeführt - ein einheitlicher Steuersatz für alle. Damit war das Land Versuchskaninchen orthodox-liberaler Wirtschaftsideen. Sie verlangten der Bevölkerung einiges ab, brachten aber auch wirtschaftliche Erfolge mit sich. Viele Slowaken nahmen dies ohne Murren hin. Daher können sie es nicht nachvollziehen, dass andere Länder in der Eurozone nicht ähnlich handeln. Warum sollte der Arbeiter in Bratislava oder Košice den Gürtel enger schnallen, während die Bevölkerung in Griechenland die Hand aufhält und Hilfen von den Partnern fordert?
Diese Haltung vieler Slowaken war auch der Hintergrund des politischen Dramas vom Herbst 2011. Damals weigerte sich Bratislava, den Vertrag für den Europäischen Rettungsschirm EFSF zu ratifizieren. Das Veto löste europaweit Irritationen aus und führte schließlich zum Sturz der bürgerlichen Koalition unter der damaligen Regierungschefin Iveta Radičová. Gleichwohl unterzeichnete die Slowakei nach einigen Zugeständnissen. Dennoch ist man stolz, Widerstand gezeigt zu haben.
Der Druck ist enorm
Entsprechend selbstbewusst tritt auch Jozef Makúch auf, der Präsident der slowakischen Nationalbank. Er und seine 16 Kollegen im EZB-Rat müssen in dieser Sitzung entscheiden, ob die Leitzinsen erneut gesenkt werden. Der Druck ist enorm. Obwohl das billige Geld die Märkte überflutet und schon manchen ertränkt hat, reicht es Banken und Finanzpolitikern immer noch nicht. Nachdem sie die EZB sturmreif geschossen haben, wollen sie jetzt alles. Die Zinsen sollen möglichst stark, am liebsten bald auf Null gesenkt werden. Dann zahlt der Bürger endgültig die Zeche der Finanzkrise, weil es überhaupt keine Zinsen mehr auf Spareinlagen gibt. Die Branche kann ungeniert das große Rad drehen.
Was für eine Arroganz! Und was für ein Unsinn! Als ob die EZB nicht schon genug unkonventionelle Maßnahmen im Zuge der Eurokrise ergriffen hätte. Einige von ihnen sind am Rande der Legalität. Hinzu kommt, dass eine Zinssenkung real-wirtschaftlich überhaupt nichts bringt und langfristig große Gefahren in sich birgt. Theoretisch sollen sinkende Zinsen die Konjunktur ankurbeln. Sie sollen Unternehmer zu mehr Investitionen bewegen, weil ihre Kredite billiger werden. Angesichts einer desolaten Wirtschaftslage und Arbeitslosenquoten von mehr als 25 Prozent in vielen südeuropäischen Ländern wird aber kaum jemand auch nur einen Cent investieren - egal wie niedrig die Zinsen sind.
Es knirscht in der Eurozone
Eine Zinspolitik entlang der Null-Zins-Linie hat verheerende Folgen. Das zeigt das Beispiel Japan. Seit fast zwanzig Jahren kommt das Land nicht auf die Beine. Auch die USA verbuchen mit ihrer quasi-Null-Zinspolitik keine durchschlagenden Erfolge.
Die Zinsdebatte zeigt einmal mehr, wie sehr es in der Eurozone knirscht. In einigen Ländern wäre keine Zins-Senkung, sondern eine Zins-Erhöhung angeraten. Hier läuft die Konjunktur trotz einiger Probleme so gut, dass eine Anhebung durchaus angemessen wäre. Das gilt etwa für Deutschland, da hat die Bundeskanzlerin ganz Recht. Im Kern zeigt sich damit wieder einmal, dass ein Währungsgebiet mit unterschiedlichen Volkswirtschaften nicht reibungslos funktionieren kann.
Die Währungshüter stehen somit erneut vor einer Zerreißprobe. Das Ringen um den künftigen Leitzins-Kurs wird harte Diskussionen auslösen. Vielleicht helfen ihnen in Bratislava der Blick auf die schöne Donau und die heitere Gelassenheit der Slowaken, einen weisen Entschluss zu treffen. Europas Bürgerinnen und Bürgern wäre es zu wünschen.
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft