Kolumne Euroschau Monsieur Euro hinterlässt einen Scherbenhaufen
Der Präsident der Europäischen Zentralbank verabschiedet sich. Trichet blickt auf viele Erfolge seiner Amtszeit zurück. Doch die Entscheidungen in der Euro-Krise hatten fatale Folgen: Die EZB verkam zur Bad Bank, verspielte Vertrauen und verlor an Unabhängigkeit.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Es heißt Abschied nehmen. Abschied von einem Mann, der uns als vertrautes Gesicht Sinnbild für die europäische Gemeinschaftswährung war: Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, war Monsieur Euro. An diesem Donnerstag veranstaltet er seine letzte Pressekonferenz, dieses Mal in Berlin. Noch einmal wird es ein Blitzlichtgewitter geben, wenn er mit seinem Finger auf den Journalisten zeigt, der die nächste Frage stellen soll. Noch einmal wird er sagen, dass der EZB-Rat die Verhältnisse mit Wachsamkeit beobachtet. Noch einmal wird er den Regierungen mehr Haushaltsdisziplin ins Stammbuch schreiben. Dann wird es ruhiger um den 68-Jährigen. Ende des Monats endet seine achtjährige Amtszeit.
Bessere Bilanz als in D-Mark-Zeiten
Eigentlich hätte Trichet allen Grund, mit Stolz auf seine Zeit zurückzublicken. Bis auf die vergangenen Monate war es eine erfolgreiche Amtszeit: Trichet und dem EZB-Rat war es gelungen, die Inflation in Schach zu halten. Damit wurde das zentrale Ziel erreicht. Gerne verweist der Franzose darauf, dass die Bilanz besser sei als in D-Mark-Zeiten. Wohl wahr!
Intern gelang es Trichet, sein Haus ohne große Turbulenzen durch die Jahre zu manövrieren. Die Stimmung in der EZB stieg deutlich über das Niveau, das sein Vorgänger aufzubauen in der Lage war. Trichet verband auf außergewöhnliche Weise volkswirtschaftliche Härte und professionellen Charme mit einer hoch angesehenen Persönlichkeit.
Der Franzose schien aus dem Holz zu sein, aus dem einst der Euro geschnitzt war. Ihm gelang es, die Währung international stabil und respektabel zu machen. Es ist noch nicht lange her, da wurde sogar über eine Ablösung des amerikanischen Dollar als Leitwährung diskutiert.
Trichet in der Schuldenkrise ohne glückliche Hand
Eigentlich eine positive Bilanz - wären da nicht die vergangenen Monate. Sie haben der EZB und dem Ansehen Trichets einen schweren Schlag versetzt. Denn in der Schuldenkrise hatte der Franzose häufig keine glückliche Hand. Nicht immer konnte er sich gegen politischen Druck durchsetzen. Und auch im EZB-Rat fuhr er manche Niederlage ein. Im Rat haben mittlerweile die klammen Euro-Staaten klar das Sagen.
Der größte Fehler war die Entscheidung der EZB, Anleihen verschuldeter Euro-Staaten zu kaufen. Und das auch noch nach politischem Druck. Mit diesem Beschluss - gegen die Statuten der Bank - schadete der Rat seinem Ansehen und dem der Bank auf Dauer.
EZB zur Bad Bank verkommen
Die Zentralbank verlor Unabhängigkeit. Sie verkam zu einer Bad Bank. Zwar versuchte Trichet gegenzusteuern, indem das Programm zeitweise auf Eis gelegt wurde. Doch im Frühjahr dann die dramatische Kehrtwende: Der Kauf von Staatsanleihen wurde wieder aufgenommen - und zwar in ganz großem Stil. Spätestens jetzt hatten Trichet und die Bank Vertrauen verspielt.
Immer mehr Bürger trauen der Institution nicht mehr. Sie haben Angst um die Stabilität ihres Geldes. Gut die Hälfte der Deutschen will die D-Mark zurück. Und es werden immer mehr. In Großbritannien und den USA rechnen die Finanzmärkte mittlerweile fest mit dem Untergang der Eurozone.
Auch sein Personal hatte Trichet am Ende nicht mehr unter Kontrolle: Der deutsche Chefvolkswirt Jürgen Stark warf demonstrativ die Brocken hin. Er war von Anfang an ein harter Kritiker des Anleihe-Kaufprogramms.
Ramponiertes Image, weniger Unabhängigkeit
Zum Ende seiner Amtszeit hinterlässt Trichet also einen beachtlichen Scherbenhaufen: Ramponiertes Image, weniger politische Unabhängigkeit, geringere Akzeptanz der Gemeinschaftswährung. Und: Immer größer wird die Gefahr, dass die Eurozone zerbricht. Dem überzeugten Europäer, der fest an die Einheit des Kontinents glaubt, muss das Herz bluten. Dass er das Schiff auf diesem Kurs verlässt, ist bitter für einen erfahrenen Lotsen. Ende Oktober übergibt Jean-Claude Trichet das Ruder an Mario Draghi. Dann wird ausgerechnet ein Mann Präsident der EZB, gegen dessen Heimatland Italien die Anleger bereits jetzt Stellung beziehen.
Der alte Monsieur Euro geht mit gemischten Gefühlen und auch mit Enttäuschung. Und der neue Signore Euro weiß nicht, wie lange es diesen Titel überhaupt noch gibt. Harte Zeiten in der Eurozone, traurige Zeiten für Freunde des Euro.
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.