Lebensmittel liegen in einem Einkaufswagen.
analyse

Europäische Zentralbank Das "Biest Inflation" ist tückisch

Stand: 16.10.2024 13:12 Uhr

Die Preise steigen langsamer, eine neue Zinssenkung der Europäischen Zentralbank wird erwartet. Doch geht es so weiter? Bei einem Treffen in Slowenien könnten die Währungshüter die Weichen stellen.

Es findet sich auf vielen Postkarten, ziert zahlreiche Reiseprospekte und sticht mit schlichter Eleganz heraus. Vor der malerischen Kulisse eines Gebirgsausläufers der Julischen Alpen ist es Symbol für den slowenischen Tourismus schlechthin: das Renaissance-Schloss Brdo aus dem 16. Jahrhundert, eingebettet in ein 500 Quadratmeter großes Naturschutzgebiet mit angrenzendem Konferenzzentrum.

Rund 30 Kilometer von der Hauptstadt Ljubljana entfernt ist der ehemalige Landsitz einer der einflussreichsten Familien der Region diese Woche Tagungsort des EZB-Rates. Nach der kommunistischen Machtergreifung 1945 wurde das Schloss konfisziert und diente dem jugoslawischen Minister- und späteren Staatspräsidenten Josip Broz Tito als Sommerresidenz. Heute ist es vor allem für Staatsbesuche erste Adresse.

Das Lager der "EZB-Falken" schrumpft

In dieser hübschen Umgebung findet das diesjährige Auslandstreffen der Europäischen Zentralbank statt. Doch völlig harmonisch dürfte es in der Runde nicht zugehen. Robert Holznagel, Chef der Notenbank im Nachbarland Österreich und Verfechter einer harten Geldpolitik, dürfte jedenfalls ganz schön geschluckt haben, als ausgerechnet einer seiner engsten Verbündeten von der Fahne ging: Bundesbank-Präsident Joachim Nagel ließ wissen, dass er sich eine weitere Zinssenkung diese Woche vorstellen könnte. Bislang gehörte Nagel ebenfalls ins Lager der sogenannten "Falken", das eine zu starke Lockerung der Geldpolitik ablehnt. Die Hardliner argumentieren, die gegenwärtige Inflation sei so widerspenstig, unberechenbar und in Teilen hartnäckig, dass man lieber auf Nummer sicher gehen sollte.

Das ohnehin nicht allzu große Lager der "Falken" im EZB-Rat schrumpft also. Obwohl auch Präsidentin Christine Lagarde auf der vergangenen Pressekonferenz vor rund fünf Wochen einen weiteren Zinsschritt vor Dezember als wenig wahrscheinlich eingeordnet hatte, scheinen die Karten jetzt wieder neu gemischt zu werden. Zahlreiche Stimmen aus dem EZB-Rat und die Mehrheit der Volkswirte gehen fest von einer dritten Leitzinssenkung in diesem Jahr am Donnerstag um 0,25-Prozent-Punkte aus.

Denn die Inflationsrate hat sich überraschend deutlich stärker abgeschwächt, als Anfang des Jahres auch nur zu hoffen war: in der Eurozone liegt sie jetzt bei 1,8 Prozent, in Deutschland nach hiesiger Berechnung bei 1,6 Prozent. Damit ist das von der EZB angepeilte Zwei-Prozent-Ziel sogar unterschritten. Nach dem Lehrbuch öffnet das die Tür für weitere Zinssenkungen.

Kerninflation weiter viel zu hoch

Doch ganz so nach dem Lehrbuch geht es derzeit mit der Inflation nicht. Mag die Gesamtrate erfreulicherweise zurückgehen, so steckt das Problem des "Inflationsbiests" im Detail: die Kerninflation, bei der man die Preise für Energie und Nahrungsmittel herausrechnet, ist mit 2,7 Prozent im Euroraum weiterhin viel zu hoch. Die Teuerung für Dienstleistungen bewegt sich fast gar nicht und notiert weiterhin bei vier Prozent. Die Lohnsteigerungen im Euroraum liegen bei durchschnittlich 4,5 Prozent und dürften die Inflation wieder antreiben. Genug Argumente also für Holznagel, lieber vorsichtig zu sein - auch wenn es Österreich gelungen ist, die lange Zeit überdurchschnittlich hohe Inflation auf den Durchschnitt der Eurozone zu drücken.  

Die Befürworter weiterer Zinssenkungen schauen hingegen vor allem auf die Konjunktur. Die kommt insbesondere in Deutschland nicht auf die Beine. Niedrigere Zinsen würden Investitionen für Unternehmen günstiger machen.

Ein zentraler Grund für die Wirtschaftsschwäche liegt aber woanders: Verbraucherinnen und Verbraucher halten weiterhin ihr Geld zusammen und geben nicht genug aus. Denn der Schock der hohen Preise nach Corona und die anfängliche Unterschätzung der Inflationsentwicklung sowie die Untätigkeit der EZB ist gerade den Deutschen richtig in die Knochen gefahren. Doch wenn es weniger auf dem Sparbuch gibt, sind sie vielleicht eher bereit, wieder mehr Geld locker zu machen - so die Idee der Befürworter weiterer Zinssenkungen.

In Slowenien boomt der Einzelhandel

Solche Probleme kennt man im Gastland nicht. Denn die Slowenen shoppen gerne. Nirgendwo in der Europäischen Union gibt es pro Einwohner so viele und topmoderne Einkaufszentren wie hier. Auch die Einkaufsfläche pro Einwohner ist dreimal so hoch wie in Deutschland. Gekauft wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Für Slowenien ist dies auch rund 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges immer noch Ausdruck der Abkehr vom Sozialismus und für die Wohltaten des freien Marktes.

Wirtschaftlich geht es dem Land relativ gut. Eine solide Industriebasis, eine starke Zulieferindustrie für Automobile, Schwergüter und Maschinen, niedrige Arbeitskosten und eine gute Infrastruktur lassen das Bruttoinlandsprodukt ständig anziehen. Mit rund 34.000 Dollar pro Kopf ist es mehr als dreimal so hoch wie 1992. Damals wurde das einst zu Jugoslawien gehörende Slowenien als eigenständiger Staat gegründet. Bereinigt um die Kaufkraft ist es das höchste Bruttoinlandsprodukt in ganz Südosteuropa. Die Arbeitslosenquote ist mit knapp vier Prozent beneidenswert gering. Wie wichtig Slowenien für Europas Wirtschaft ist, zeigten die starken Überschwemmungen im vergangenen Jahr. Zahlreiche Lieferketten in ganz Europa waren sofort unterbrochen.

Vertraut mit starker Teuerung

Gerade die Region Kranj - dort wo das Schloss Brdo seine Heimat hat - ist Schnittpunkt wichtiger Handelswege zwischen West und Ost und Nord und Süd. Auch der Tourismus gewinnt immer mehr an Bedeutung: Herrliche Berglandschaften und von der Architektur der Habsburger geprägte Städte und Dörfer erinnern ans Nachbarland Österreich. Doch Slowenien hat auch rund 47 Kilometer Küste - mit schönen Stränden am Golf von Triest, der slowenischen Riviera.  

Angesichts der gut laufenden Wirtschaft und den Folgen von Corona ist auch hier die Inflationsrate kräftig angezogen. Vor zwei Jahren erreichte sie rund 8,8 Prozent und lag damit nur knapp unter dem Durchschnitt der Eurozone. Die Slowenen sind eine starke Teuerung allerdings gewohnt - mit Inflationsraten bis über 30 Prozent Anfang der 1990er-Jahre und zwischen fünf bis neun Prozent um die Jahrtausendwende. Doch gerade in den vergangenen Monaten ist die Preissteigerung deutlich gesunken und lag im September bei nur 0,7 Prozent.

Weitere Senkung im Dezember "nicht automatisch"

Gastgeber Bostjan Vasle, Chef der slowenischen Nationalbank Banka Slovenije, gilt eher als moderate "Taube". Der 55-jährige tritt zwar nicht für eine ultralockere Geldpolitik ein, hat mit den härteren Methoden der "Falken" aber auch nicht viel im Sinn. Im Januar endet seine sechsjährige Amtszeit. Der anerkannte Wirtschaftswissenschaftler mit Stationen im britischen Essex, ungarischen Budapest und italienischen Siena würde aber gerne weitermachen.

In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg vor wenigen Tagen machte Vasle deutlich, dass die erwartete Zinssenkung jetzt die letzte in diesem Jahr sein könnte. Dieser Schritt bedeute "nicht automatisch, dass im Dezember eine weitere Senkung ansteht". Es dürfte also spannend werden in den Diskussionen über den weiteren geldpolitischen Kurs. In Brdo könnten die Weichen für das restliche Jahr gestellt werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. Oktober 2024 um 00:53 Uhr.