Serie zur Euro-Krise, Teil 4 "Unzureichend, contraproduktiv, unsolidarisch"
Die staatlichen Maßnahmen gegen die Euro-Krise sind unzureichend und unsolidarisch, meint der Sozialethiker Hengsbach. Die Spardiktate, die schwächeren EU-Mitgliedern auferlegt werden, beschleunigten die finanzielle Umverteilung zugunsten des privaten Sektors und der Wohlhabenden.
Ein Gastbeitrag von Friedhelm Hengsbach
Die Ursache der metastasierenden Finanzkrise wird meist auf persönliches Fehlverhalten der Wertpapierhändler, der Bankmanager oder jetzt der Regierungen des Euroraums, besonders der "Defizitsünder" und ganz besonders der Griechen, zurückgeführt. Die Kirchen erklären in ihren Stellungnahmen die Krise durch einen Mangel an Verantwortung oder gar durch die Verantwortungslosigkeit der Finanzeliten.
Paradoxerweise stellen nun diese Eliten, die für die Finanzkrise in der ersten Runde verantwortlich gemacht werden, jene Regierungen an den Pranger, die sich verschuldet haben, um die Banken zu retten. Der Mikroblick der Diagnose und der normativen Bewertung sind ein Fehlschluss, erst recht wenn er von einer moralisierenden Sprache begleitet ist. Strukturkrisen sollten auf ihre systemischen Ursachen analysiert und durch eine angemessene politische Regulation bewältigt werden.
Die Realwirtschaft versprach den Banken zu geringe Renditen
Dass die Finanzinstitute, die nach der ersten Runde der Finanzkrise mit extrem hoher Liquidität ausgestattet wurden, nach rentablen Anlagemöglichkeiten suchen werden, war zu erwarten. Die Realwirtschaft konnte sie ihnen nicht bieten. Also haben sich spekulative Finanzjongleure die Schwankungen der Devisenkurse sowie der Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise ausgesucht, um sie zu verstärken und zum eigenen Vorteil auszunutzen. Eine besonders profitable Chance sahen sie in den Renditedifferenzen der Staatsanleihen peripherer Länder des europäischen Währungsraums.
Einheitliches Zinsniveau trotz regionaler Unterschiede
Die Konstruktionsfehler des Europäischen Währungsraums haben dazu eingeladen, den Konflikt zwischen der Macht des privaten Kapitals und der Macht des Staates zuzuspitzen und die Überlegenheit der "Stimme der Märkte" zu testen. Das Europäische Währungssystem verfügt bloß über zwei Stellgrößen:
Erstens ist das Mandat der Zentralbank darauf beschränkt, die Stabilität des Güterpreisniveaus in den Blick zu nehmen, ohne dass sie die Entwicklung der Vermögenspreise aufmerksam verfolgt und die wirtschaftspolitischen Ziele des Wachstums und der Beschäftigung berücksichtigt. Das dafür eingesetzte Instrument ist ein nominell einheitliches Zinsniveau, das bei unterschiedlichen Wachstums-, Beschäftigungs- und Verteilungsoptionen der Länder zu unterschiedlichen Realzinsen führt. Damit sind regionale Ungleichgewichte, also Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite der Länder innerhalb des einen Währungsraums vorprogrammiert.
Die zweite Stellgröße ist die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte mit Hilfe willkürlich festgelegter Kennziffern. Wie bei der Asienkrise 1997 richten sich spekulative Attacken gegen das schwächste Glied der Kette, um von da aus die robust situierten Länder in die gleiche Schieflage hineinzutreiben.
Spardiktate sind den schwächeren Mitgliedern nicht zumutbar
Die politischen Maßnahmen der Eurostaaten sind unzureichend, contraproduktiv und unsolidarisch. Die konfrontative Haltung gegenüber Großbritannien schwächt den Euroraum selbst. Die empfundene Dominanz der Deutschen ist mit der rechtlichen Gleichstellung der Eurostaaten nicht vereinbar. Schuldenbremsen und Spardiktate, die aus einer Position der Stärke definiert werden, sind den schwächeren Mitgliedern nicht zumutbar. Die angekündigte Stabilitäts- bzw. Fiskalunion bleibt auf die monetäre Sphäre von Gläubiger- und Schuldnerbeziehungen fixiert. Die Knebelung öffentlicher Haushalte und öffentlicher Güter beschleunigt eine reale Umverteilung: vom öffentlichen in den privaten Sektor und von den einfachen Leuten zu den Wohlhabenden.
Die Architektur eines funktionierenden Währungsraums gerät immer mehr aus dem Blick, der dem Bretton-Woods-Regime nachgebildet ist. Darin kooperieren arbeitsteilig eine Zentralbank, welche die Geldversorgung gewährleistet, und ein Währungsfonds, der die Ungleichgewichte zwischen den Staaten abfedert. Die Deutschen propagieren zwar eine scharfe Trennung zwischen Geld- und Finanzpolitik, dulden aber deren fließende Grenzen, entlang derer die Zentralbank Liquidität ins Bankensystem pumpt und die Geschäftsbanken den Ankauf riskanter Staatsanleihen übernehmen.
Die politischen Entscheidungsträger weigern sich, öffentliche Schulden zu erlassen und zugleich private, vor dem Platzen der Blase aufgeblähte Vermögen zu beschneiden. Staatliche Verschuldung und private Vermögen, Schuldner und Gläubiger entsprechen einander. Folglich lässt sich ohne öffentlichen Schuldenschnitt und privaten Forderungsverzicht der Konflikt zwischen privater Kapitalmacht und demokratischer Souveränität nicht fair regeln.