Händler an der New York Stock Exchange.
marktbericht

Schwächere Wirtschaftsdaten Neue Zinshoffnungen an der Wall Street

Stand: 01.07.2024 22:20 Uhr

Seit Monaten spekulieren die Anleger an der Wall Street auf eine Zinswende. Schwächere Wirtschaftsdaten haben diese Hoffnungen nun wieder geschürt. Die Anleger wagten sich etwas vor.

Mit vorsichtigem Optimismus haben die US-Anleger die neue Woche und das neue Halbjahr an der Wall Street begonnen. Während der Dow Jones-Index, der Leitindex der Standardwerte, anfängliche Gewinne wieder abgab und nur moderat höher um 0,13 Prozent auf 39.169 Punkte zulegte, schlugen sich die besonders zinssensitiven, hochbewerteten Technologieaktien und Indizes besser.

An der Technologiebörse Nasdaq legte der Composite-Index um 0,83, der Auswahlindex Nasdaq 100 um 0,66 Prozent zu. Der marktbreite S&P-500-Index gewann wie der Dow Jones nur moderat um 0,27 Prozent auf 5.475 Zähler.

"Der Markt scheint die zweite Jahreshälfte mit mehr Rücken- als Gegenwind zu beginnen", sagte Art Hogan, Stratege bei B Riley Wealth. "Wir scheinen uns langsam einem Punkt zu nähern, an dem die Fed sich wohl genug fühlt, die Zinsen zu senken, und das wird wahrscheinlich im September passieren."

Schwächere Wirtschaftsdaten schürten schon zuletzt die Hoffnung, dass die Notenbank die Zinswende alsbald einleiten könnte. Es ist ein Thema, das wie kein anderes seit Monaten die Börse beschäftigt und jede neue Konjunkturzahl zur Spannungsnummer werden lässt. So auch heute wieder.

Denn die US-Industrie hat ihre Talfahrt im Juni überraschend beschleunigt. Der Einkaufsmanagerindex für den Wirtschaftszweig sank auf 48,5 Punkte von 48,7 Zählern im Mai, wie aus der heute veröffentlichten Firmenumfrage des Institute for Supply Management (ISM) hervorging. Der Industriesektor kämpft mit Gegenwind durch die maue Weltwirtschaft und die Hochzinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve.

Zugleich sanken die Preise auf ein Sechsmonatstief, was als ermutigendes Zeichen für den Kampf der Fed gegen die Inflation gewertet wurde. Vor Wochenschluss hatte bereits die sich abschwächende Inflation die Zinserwartungen der Anleger bestätigt.

Börsianer rechneten zudem mit Hinweisen auf einen schwächeren Arbeitsmarkt am Freitag. Befragte Ökonomen gehen etwa davon aus, dass sich der Stellenaufbau außerhalb der Landwirtschaft im Juni verlangsamt hat.

Unter den Einzelwerten standen Boeing im Fokus, die Aktie stieg 2,54 Prozent. Der US-Flugzeugbauer will seinen angeschlagenen Zulieferer Spirit AeroSystems in einem rund 4,7 Milliarden Dollar schweren Aktiendeal übernehmen. Der Gesamtwert der Transaktion beläuft sich auf etwa 8,3 Milliarden Dollar, einschließlich der zuletzt gemeldeten Nettoverschuldung von Spirit. Boeing will mit der Übernahme Qualitätsprobleme mit seinem Kassenschlager Boeing 737 MAX in den Griff bekommen.

Der europäische Flugzeugbauer Airbus, der ebenfalls Kunde von Spirit ist, übernimmt unterdessen große Teile von vier Werken in den USA, Nordirland, Frankreich und Marokko. Weil die Fabriken rote Zahlen schreiben, zahlt Airbus nicht nur einen symbolischen Dollar dafür, sondern erhält auch noch 559 Millionen Dollar Entschädigung. An der Frankfurter Börse kam das gut an, auch Airbus-Papiere gewannen 2,6 Prozent und gehörten im DAX zu den größten Gewinnern.

Wie schon zuvor in Europa waren Bankaktien nach den französischen Wahlergebnissen vom Sonntag besonders gefragt. Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) ging in der ersten Runde zwar wie erwartet als Sieger hervor. Analysten wiesen jedoch darauf hin, dass ihre Partei weniger Stimmen erhielt als in einigen Umfragen zunächst vorhergesagt.

Die Aktien von JP Morgan Chase kletterten zwischen zeitlich auf ein Allzeithoch von 207,09 Dollar und schlossen am Ende bei 205,45 Dollar um 1,58 Prozent höher. Der S&P 500-Bankenindex stieg auf den höchsten Stand seit über einem Monat.

"Der Markt beginnt zu verstehen, dass eine rechtsgerichtete Mehrheit weniger wahrscheinlich und weniger gefährlich ist", sagte Ben Gutteridge, Portfoliomanager bei Invesco. "Diese Entwicklung könnte für die Märkte weiterhin eine Quelle kurzfristiger Erleichterung sein." Allerdings bleibe die Unsicherheit bis zur entscheidenden zweiten Runde der Wahlen am kommenden Sonntag.

Zu den größten Impulsgebern für den Tech-Index Nasdaq gehörten einmal mehr Apple, Microsoft und Amazon. Chip-Hersteller Nvidia notierte dagegen erneut etwas leichter. Apple gewann am Ende 2,91 Prozent auf 216,75 Dollar und notierte damit nur wenig unter dem Mitte Juni erreichten Rekordhoch von 220 Dollar. Auch den Anteilen von Amazon fehlte mit plus 2,04 Prozent nicht mehr viel zu einem Höchststand.

Die Aktien des Autoherstellers Tesla stiegen deutlich um 6,05 Prozent auf 209,86 Dollar. Sie erreichen im Verlauf ein Fünf-Monats-Hoch. Grund dafür ist eine Mitteilung der Bank Wells Fargo, wonach die Tesla-Anteilsscheine auf die "Tactical Ideas"-Liste gesetzt wurden. Tesla will am Dienstag seine Auslieferungszahlen für das zweite Quartal bekanntgeben. Im ersten Halbjahr war die Tesla-Aktie um rund 20 Prozent gefallen.

Der Euro hat sich im späten US-Devisenhandel noch leicht bewegt. Er pendelte zuletzt um 1,0740 Dollar und damit etwas oberhalb des späten europäischen Handels. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs auf 1,0745 (Freitag: 1,0705) Dollar festgesetzt.

Zuvor hatte der Euro einen Großteil seiner Gewinne nach der ersten Runde der Frankreich-Wahl wieder eingebüßt. Im frühen europäischen Handel war er noch auf den höchsten Stand seit Mitte Juni geklettert. Allerdings bleibt die Lage bis zur zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen noch unklar, sodass am Devisenmarkt zuletzt wieder etwas Ernüchterung einkehrte.

Der DAX ist mit leichten Gewinnen in die neue Wochen und die zweite Jahreshälfte gestartet. Anfänglich höhere Kurse konnte der Index zwar nicht behaupten, er bleibt aber weiter über der wichtigen technischen Unterstützungsmarke von 18.000 Punkten.

Das Tageshoch lag im frühen Geschäft bei 18.460 Punkten, das Tief bei 18.236 Zählern. Am Ende ging der deutsche Leitindex bei 18.290 Zählern um 0,3 Prozent moderat höher aus dem Handel. Der MDAX der mittelgroßen Werte legte ähnlich um 0,27 Prozent zu auf 25.244 Zähler. Am Freitag hatte der DAX bei lustlosem Handelsverlauf 0,1 Prozent auf 18.235 Punkte zugelegt.

Themen des Tages waren sowohl die Bewertung der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen vom Sonntag, aber auch neue Inflationszahlen aus Deutschland. Hinzu kamen institutionelle Käufe zum Quartalsbeginn, was nicht unüblich ist.

"Frisches Geld fließt zum Monatsanfang in den Markt und sorgt für einen dynamischen Start ins zweite Börsenhalbjahr. Das erste kann sich mit einem Plus von neun Prozent sehen lassen, auch wenn der Markt gerade in den vergangenen drei Monaten nicht wirklich mehr vom Fleck gekommen ist. Doch das Fundament um die 18.000er-Marke ist damit noch ein bisschen stabiler geworden", bemerkte Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets.

Das ist eine wichtige technische Unterstützungsmarke, die in der Vorwoche noch erfolgreich getestet worden war. HSBC-Experte Jörg Scherer verweist darauf, dass der technische Aufwärtstrend im DAX weiter absolut intakt sei.

Bei der im Vorfeld mit Spannung erwarteten ersten Runde der französischen Parlamentswahlen war wie erwartet der Rechtsblock als Sieger hervorgegangen. Der Erstrundensieg von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) ist aber bei hoher Wahlbeteiligung weniger deutlich ausgefallen als befürchtet. Präsident Emmanuel Macron und das linke Lager werden nun versuchen, einen RN-Sieg mit einer gemeinsamen Front bei den Stichwahlen am 7. Juli zu verhindern.

Genau dies ist die Hoffnung der Börse, allerdings bleibt das Risiko hoch. "Die Börse setzt aktuell darauf, dass es am kommenden Sonntag nicht zu einem radikalen Politikwechsel in Frankreich mit all seinen Konsequenzen für Europa und den Euro kommen wird", begründete Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von Robomarkets die Markterholung.

Die Hoffnung der Anleger war besonders an den Bankaktien abzulesen, die zulegten. Die größte französische Bank BNP Paribas stieg um rund 3,6 Prozent, im DAX gewannen Deutsche Bank und Commerzbank rund drei Prozent.

Grund für die Verluste der Banken zuvor waren Sorgen von Anlegern, dass bei einem Sieg der Rechten zunehmend mehr Länder nationale Interessen über europäische stellen, was negative Folgen für die Wirtschaft in der EU hätte. Diese Befürchtungen waren angeheizt worden, als Frankreichs Staatspräsident Macron nach dem deutlichen Sieg von Le Pens RN bei der Europawahl überraschend Neuwahlen für die Nationalversammlung angekündigt hatte.

Die Inflation in Deutschland ist derweil wieder auf dem Rückmarsch, nachdem sie im Mai überraschend etwas angezogen hatte. Waren und Dienstleistungen verteuerten sich im Juni nun nur noch um 2,2 Prozent, nach 2,4 Prozent im Mai. Dies teilte das Statistische Bundesamt heute mit. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Experten hatten lediglich mit einem Rückgang auf 2,3 Prozent gerechnet.

Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilte, beträgt die Inflationsrate ohne Nahrungsmittel und Energie, oft auch als Kerninflation bezeichnet, im Juni voraussichtlich 2,9 Prozent. "Die Inflationsrate dürfte ihren Rückgang langsam fortsetzen und im August erstmals seit März 2021 unter die Zwei-Prozent-Marke sinken", prognostiziert ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Update Wirtschaft vom 01.07.2024

Stefan Wolff, HR, Update Wirtschaft, 01.07.2024 09:00 Uhr

Experten stören sich allerdings auch an der immer noch zu hohen Kernteuerung. "In den kommenden Monaten könnte die Gesamt-Teuerungsrate zwar zeitweise auf 2 Prozent fallen, aber die Kernteuerungsrate dürfte sich nahe ihrem aktuellen Niveau und damit deutlich über dem EZB-Ziel stabilisieren", kommentierte Ralph Solveen von der Commerzbank.

"Mit Blick auf die Zukunft dürfte die Inflation weiterhin auf einem etwas zu hohen Niveau verharren, da die günstigen Basiseffekte im Energiebereich auslaufen, während gleichzeitig die Löhne steigen. Angesichts der jüngsten neuen Lohnforderungen ist eine Abschwächung des deutschen Lohnwachstums in der zweiten Jahreshälfte kaum zu erwarten", meint Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Bank.

Bester DAX-Wert war Zalando, die Aktie legte nach einem positiven Analystenkommentar um über vier Prozent zu. Deutsche Bank Research hat das Kursziel für Zalando vor den Quartalszahlen von 32 auf 34 Euro angehoben und die Einstufung auf "Buy" belassen. Umsatz und operatives Ergebnis (Ebit) des Online-Modehändlers dürften sich im Vergleich zum ersten Jahresviertel verbessert haben, schrieb Analyst Adam Cochrane in einer Studie.

Sartorius-Vorzüge standen hingegen am DAX-Ende. Deutsche Bank Research hat die Einstufung vor Quartalszahlen auf "Hold" mit einem Kursziel von 280 Euro belassen. Die Kennziffern dürften den Indikationen vom Kapitalmarkttag des Diagnostikspezialisten entsprechen, schrieb Analyst Falko Friedrichs in einer heute vorliegenden Studie. Gleichwohl dürfte der Göttinger Laborausrüster und Pharmazulieferer den Jahresausblick erneut senken. Insbesondere der Ausblick war beim jüngsten Kapitalmarkttag gar nicht gut angekommen, die Aktie schwächelte aber schon vorher.

Die Aktien von Rheinmetall sind derweil auf den höchsten Stand des Tages geklettert. Zuletzt gewannen sie 1,6 Prozent auf 483,40 Euro. Der Rüstungskonzern und Autozulieferer hatte am frühen Nachmittag einen Großauftrag der Bundeswehr im Gesamtvolumen von 3,5 Milliarden Euro bekanntgegeben.

Die Münchner IT-Firma Cancom will in den nächsten drei Wochen eigene Aktien für bis zu 115,5 Millionen Euro zurückkaufen. Cancom bietet im Zuge des Aktienrückkaufs 33 Euro für bis zu 3,5 Millionen Aktien. Die Annahmefrist läuft von Donnerstag an bis zum 24. Juli. Der Rückkauf hat ein Volumen von zehn Prozent des Grundkapitals.

Die EU-Kommission hat weitere Vorwürfe gegen den US-Digitalkonzern Meta erhoben. Mit seinem Bezahlmodell auf den Plattformen Facebook und Instagram verstoße das Unternehmen gegen europäisches Wettbewerbsrecht, teilte die Kommission in einer vorläufigen Stellungnahme mit. Brüssel geht davon aus, dass Meta seine Nutzenden zur Freigabe persönlicher Daten zwingt und so große Datenmengen erhebt, die dem Konzern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 01. Juli 2024 um 09:00 Uhr.