Hintergrund zum G-20-Gipfel So sollen die Finanzmärkte gebändigt werden
Die strengere Regulierung der Finanzmärkte ist ein Hauptthema beim Treffen der G 20 in Kanada. Diskutiert werden eine Bankenabgabe, eine Finanz-Transaktionssteuer und eine schärfe Kontrolle von Hedgefonds.
Von Klaus Müßigbrodt, tagesschau.de
Viele Beobachter sprechen von der "letzten Chance": In Toronto wollen die G-20-Mitglieder einen neuen Anlauf nehmen, um die Finanzmärkte an die Kette zu legen. Verschiedene Maßnahmen werden diskutiert - die Positionen liegen dabei zum Teil weit auseinander.
Einführung einer Bankenabgabe
Die EU will beim G-20-Gipfel mit Nachdruck eine Bankenabgabe fordern, um die Finanzinstitute an den Kosten der Krise zu beteiligen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben dazu eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Die Bundesregierung verspricht sich Einnahmen von 1,2 Milliarden Euro jährlich. Das Geld soll in einen Fonds fließen, auf den man in einer neuen Krise zugreifen will. Auch die USA sind dazu entschlossen, die Banken zur Kasse zu bitten. Widerstand kommt allerdings aus Kanada. Das Gastgeberland empfiehlt sich selbst als Vorbild für eine straffe Regulierung des Bankensektors. Die Banken unterliegen strengen Anforderungen an das Eigenkapital, die Regeln sind darauf ausgerichtet, Spekulationsblasen zu verhindern. Kanadas Banken kamen relativ unbeschädigt durch die Finanzkrise, die Regierung will sie nicht mit einer Abgabe belasten. Eine ähnliche Haltung vertritt Australien.
Besteuerung von Finanzmarkt-Geschäften
Deutschland und Frankreich fordern neben einer Bankenabgabe auch, die Finanzmärkte mit einer neuen Steuer zu belasten. In einem gemeinsamen Brief von Anfang der Woche sprechen sie von einer globalen Finanzmarktsteuer. In Deutschland gehen die Überlegungen dabei in Richtung einer Finanztransaktionssteuer, also einer Art Umsatzsteuer auf Bankgeschäfte. Die EU-Kommission unterstützt diesen Vorschlag. Widerstand kommt aus Großbritannien, mit dem großen Finanzplatz London und einem starken Bankensektor, und aus den USA. Auch Kanada, China, Brasilien und Indien sind dagegen. Sie sehen nicht ein, warum ihre Banken mit einer Abgabe für eine Krise belegt werden sollen, die in anderen Ländern verursacht wurde. Die Einführung einer solchen Finanztransaktionssteuer soll in Kanada nur sondiert werden.
Eine neue Steuer könnte dazu beitragen, Spekulationsgeschäfte einzudämmen und die Finanzkonzerne an den Kosten der Krise zu beteiligen. Ein Vorschlag ist die Finanztransaktionssteuer. Sie wäre bei jedem Kauf oder Verkauf von Aktien, Devisen, Derivaten, festverzinslichen Wertpapieren und anderen wichtigen Finanzprodukten zu bezahlen. Ein niedriger Steuersatz soll dazu führen, dass langfristige Investitionen kaum darunter leiden. Zugleich sollen aber Gewinne von Spekulanten sinken.
Der Gegenvorschlag des Internationalen Währungsfonds ist die Finanzaktivitätssteuer. Sie soll auf Gewinne von Banken und anderen Finanzkonzernen erhoben werden. Auch Gehälter und Bonuszahlungen will der IWF einbeziehen. Vorrangig geht es dabei darum, Banken und Fonds an staatlichen Kosten bei der Bewältigung der Finanzkrise zu beteiligen.
Eigenkapitalvorschriften für Banken
In ihrem Brief fordern Merkel und Sarkozy neue Eigenkapitalvorschriften für Banken. Eine Bank muss für jeden Kredit, den sie vergibt, Eigenkapital vorhalten - als Sicherheit für den Fall, dass der Schuldner seinen Kredit nicht zurückzahlen kann. Bislang gibt es allerdings Ausnahmen. Zum Beispiel müssen die Banken für Kredite, die als sicher gelten, weniger zurücklegen. Außerdem können die Institute Risiken auslagern, indem sie sich beispielsweise an Hedgefonds beteiligen oder sogenannte Zweckgesellschaften gründen, für die kaum Eigenkapital vorgehalten werden muss.
Deutschland und Frankreich fordern nun, das Eigenkapital von Banken und ihre Liquidität müsse vergrößert werden, damit das Finanzsystem Erschütterungen besser widerstehen könne. Die neuen Regeln für Eigenkapital und Liquidität der Banken sollten schrittweise bis Ende 2012 eingeführt werden. Dabei sollten angemessene Übergangsregelungen gefunden werden. Viele Länder sind dafür, wollen aber keine bestimmten Quoten festlegen. Die Banken klagen, dass ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe unter neuen Vorschriften leiden wird. Wie aus deutschen Regierungskreisen zu hören ist, scheint eine Einigung der Gipfelteilnehmer in dieser Frage durchaus möglich.
Verbot bestimmter Finanzprodukte
Eine weitere deutsch-französische Initiative ist ein Verbot riskanter Spekulationsgeschäfte wie zum Beispiel sogenannter ungedeckter Leerverkäufe. Dabei können Anleger auf sinkende Kurse von Wertpapieren spekulieren, ohne diese überhaupt zu besitzen. Das Bundeskabinett hat bereits Anfang Juni beschlossen, alle ungedeckten Leerverkäufe auf Aktien und Staatsanleihen verbietet. Außerdem will die Bundesregierung Versicherungen auf Kreditausfälle von Euro-Staaten verbieten, wenn sie nicht der Absicherung konkreter Papiere dienen. Im Herbst will die EU Regelungen für Leerverkäufe und den Handel mit Derivaten beschließen. Deutschlands Alleingang beim Verbot ungedeckter Leerverkäufe verärgerte die USA und sorgte auch innerhalb der EU für Irritationen. Kritiker bemängeln, angesichts der globalen Vernetzung der Märkte bringe eine nationale Lösung nichts. Dann, so das Argument, werde eben nicht in Frankfurt oder Paris gegen eine Bank oder gegen einen Staat gewettet, sondern in London oder New York.
Bei Leerverkäufen oder "short sellings" verkaufen Händler Aktien, die sie nur ausgeliehen haben. Wenn der Kurs des Papiers unter den eigenen Verkaufspreis gefallen ist, kaufen sie die Aktien zurück und verdienen an der Differenz abzüglich einer Leihgebühr.
Ungedeckte Leerverkäufe sind eine verschärfte Form der "short sellings". Anders als bei einem normalen Leerverkauf sind bei dieser englisch "naked short selling" genannten Spekulationsform die verkauften Wertpapiere noch nicht einmal geliehen. Damit kann theoretisch ein Vielfaches der aktuell verfügbaren Papiere verkauft werden, was starke Kursverwerfungen nach sich ziehen kann. Der Short Seller hat bei dieser Form dann in der Regel mehrere Tage Zeit, sich die Papiere, die er bereits verkauft hat, nachträglich zu beschaffen.
Kontrolle von Hedgefonds
Hedgefonds unterliegen kaum Kontrollen, obwohl gerade sie besonders riskante Geschäfte machen. Ihr Firmensitz ist oft eine Briefkastenfirma in einem Steuerparadies. Keiner weiß so genau, was diese Fonds treiben. Kein Gesetz zwingt sie, Eigenkapital vorzuhalten. In den Bilanzen der beteiligten Banken müssen sie nicht auftauchen. Die G 20 ist sich weitgehend einig, dass sich große Hedgefonds einer strikteren Kontrolle unterwerfen müssen. Über die Details wird aber nach wie vor gestritten. So will die EU auch Beteiligungsgesellschaften sowie Fondsmanager aus Nicht-EU-Staaten an die kurze Leine nehmen.
Hedgefonds gelten als die risikoreichste Form unter den Fonds. Ihnen steht die gesamte Trickkiste der Finanzmärkte zur Verfügung. Die Fonds sind in der Lage, auch mit fallenden Kursen Geld zu verdienen und setzen auf eine absolute Rendite unabhängig vom Marktumfeld.
Das englische Wort "to hedge" bedeutet auf deutsch "absichern". Mit Hedgefonds können sich Anleger absichern, indem sie auf positive oder negative Entwicklungen spekulieren. Der erste Hedgefonds wurde 1949 von dem Australier Alfred Winslow Jones in den USA gegründet. Er verkaufte Aktien, die er sich nur ausgeliehen hatte, und versuchte, sich damit gegen Kursschwankungen abzusichern. 2009 verwalteten die weltweit etwa 9000 Fonds mehr als 1,2 Billionen Euro.
Die USA sehen darin eine Diskriminierung ihrer amerikanischen Fonds. Widerstand gegen allzu strenge Regelungen kommt auch aus Großbritannien, das sich um sein Finanzzentrum London sorgt. Ein Kompromiss innerhalb der G 20 könnte so aussehen, dass der Handel mit risikoreichen Finanzderivaten nicht mehr zwischen Anbietern - etwa Banken - und Kunden wie Hedgefonds direkt stattfinden darf, sondern über die Börse abgewickelt werden muss. Das soll die Transparenz erhöhen.
Rating-Agenturen
Uneinig sind sich die Europäer auch bei der Kontrolle von Rating-Agenturen. Diese bewerten die Kreditwürdigkeit von großen Schuldnern wie Staaten und Unternehmen. Die Agenturen werden für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht - nicht zuletzt, weil sie die Lehman-Bank noch kurz vor deren Untergang mit der Note A+ bewertet hatten. Deutschland und Frankreich dringen auf eine bessere Kontrolle der Rating-Agenturen, weil deren Einstufungen erhebliche Auswirkungen haben können, wie der Fall Griechenlands zeigt. Auch hier treten die Briten auf die Bremse. Die EU- Kommission hat vorgeschlagen, Rating-Agenturen künftig besser zu überwachen. Dazu solle eine zentrale europäische Börsenaufsicht in Paris geschaffen werden. In den USA gibt es ähnliche Überlegungen.
Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen, Banken und Staaten. Dabei fließen veröffentlichte Zahlen, Brancheneinschätzungen und Beurteilungen des Managements. Die einflussreichsten Ratingagenturen sind Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch.
Je schlechter sie die Bonität eines Marktteilnehmers beurteilen, umso teurer und schwieriger wird es für diesen, sich Geld zu besorgen. Am Rating orientieren sich nicht nur Banken, sondern zum Beispiel auch institutionelle Investoren.
Für ihre Einstufungen verwenden die Agenturen Buchstabencodes. Die Skala beginnt beispielsweise bei Standard & Poor's und Fitch mit der Bestnote AAA. Es folgen AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC, C. Die meisten Stufen können mit Plus- und Minuszeichen noch feiner unterteilt werden. Ab BB+ beginnt der spekulative Bereich, der auch "Ramsch" genannt wird. D bedeutet, dass ein Ausfall des Schuldners eingetreten ist.
Kritiker bemängeln, es bleibe oft unklar, welcher Anteil der Ratings Mathematik und welcher Meinung ist. In der Finanzkrise wurden Ratingagenturen kritisiert: Weil sie Ramschpapiere als sichere Geldanlage anpriesen, wurde ihnen eine Mitschuld an der Krise gegeben.
Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken
Ein Thema, das vor allem US-Präsident Obama am Herzen liegt: Die US-Regierung will die Größe der Geldinstitute beschränken, durch eine strikte Trennung zwischen Privatkundengeschäft und Investment-Banking. In Folge der Weltwirtschaftskrise nach 1929 mussten sich die Banken in den USA jahrzehntelang entscheiden: Entweder sie verstanden sich als Geschäftsbanken, die Kundeneinlagen verwalten oder Kredite vergeben, oder sie konzentrierten als Investmentbanken ganz auf das Wertpapiergeschäft.
Die Wall Street am "Schwarzen Freitag" 1929. Die damals beschlossene Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken wird wieder neu diskutiert.
Diese Trennung wurde 1999 aufgehoben, um die Branche von Wachstums-Fesseln zu befreien. Jetzt wird unter dem Eindruck der Finanzkrise in den USA wieder eine Aufspaltung diskutiert: in Institute, die auf eigene Rechnung spekulative Geschäfte betreiben können, und in Banken, die das klassische Geschäft betreiben - also Kundeneinlagen verwalten und Kredite vergeben. Diese Banken dürften dann keine hochspekulativen Geschäfte mehr abwickeln. Obama will damit erreichen, dass der amerikanische Steuerzahler nie wieder für die Fehler von Spekulanten einstehen und eine Großbank retten muss.