Experte zu Politik der griechischen Regierung "Wahl zwischen Pest und Cholera"
International ist die aktuelle griechische Regierung derzeit wenig angesehen. Dabei hat sie kaum Optionen, meint der Journalist Kouparanis im tagesschau.de-Interview. Dass sie weitere Kürzungen zu Lasten der Bevölkerung nicht akzeptieren will, sei verständlich.
tagesschau.de: Der Ton zwischen griechischer Politik und internationalen Geldgebern wird schärfer. Die Griechen sprechen von "Erniedrigung" und "Sadismus". Was treibt sie zu einer so drastischen Rhetorik?
Panagiotis Kouparanis: Es ist ja nicht nur die griechische Regierung. In Deutschland beispielsweise sind ähnliche Töne zu vernehmen. Man denke nur an den Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der Alexis Tsipras als "freches Bürschchen" bezeichnet, oder an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der von den "Spieltheoretikern" aus Athen sprach. Wir sind in einer sehr kritischen Phase der Verhandlungen angekommen, in der die Gemüter sich erhitzen und - auf beiden Seiten - ein Wort das andere gibt.
tagesschau.de: Macht es sich die griechische Regierung nicht zu einfach, wenn Sie versucht, den schwarzen Peter den anderen zuzuschieben?
Kouparanis: Darum geht es ja gar nicht. Wenn die jetzige griechische Regierung als uneinsichtig, anmaßend und widerspenstig beschrieben wird, wird vergessen, dass sich die Vorgängerregierung genauso verhalten hat. Ab dem Sommer 2014 hatten sich die Positionen zwischen der damaligen Troika und der alten griechischen Regierung ebenfalls verhärtet und man schimpfte sie uneinsichtig. Die aktuelle Regierung ist ja erst fünf Monate im Amt, sie hat das Land nicht in diese Situation hineinmanövriert.
Die Probleme, um die es geht, sind nun mal vertrackt. Jede Kürzung, auf die sich die griechische Regierung einlässt, ist eine Kürzung bei der griechischen Bevölkerung. Sei es bei den Renten oder beim Gesundheitssystem. Es gibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, egal welche Regierung im Amt ist.
"Die griechische Regierung lehnt Reformen gar nicht ab"
tagesschau.de: Das heißt, die Vorwürfe gegen die internationalen Geldgeber sind gerechtfertigt?
Kouparanis: In der Tat betreffen die Forderungen der Geldgeber Kürzungsmaßnahmen, die die griechische Bevölkerung noch stärker belasten würden als bisher. Die Regierung sagt, man müsste die Kürzungen stattdessen dort machen, wo es die Menschen weniger trifft. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber Berichten zufolge hat es ein Angebot von griechischer Seite gegeben, den Wehretat um 200 Millionen Euro zu kürzen. Der IWF soll das nicht akzeptiert haben und stattdessen weiterhin Kürzungen bei den Renten fordern.
In der öffentlichen Diskussion, gerade hier in Deutschland, wird nicht sauber getrennt zwischen Reformen und fiskalischen Kürzungen. Es trifft nicht zu, dass die griechische Regierung ein Reformprogramm ablehnen würde. Was tatsächliche Reformen betrifft, ist man sich mit den Gläubigern weitgehend einig. Sogar bei der Privatisierung von Eisenbahn, Häfen oder Flughäfen, die Syriza in ihrem Wahlprogramm noch abgelehnt hat, ist die Regierung inzwischen eingeschwenkt. Sie wehrt sich allerdings gegen Kürzungen, die sie für nicht verkraftbar hält. Und dafür ist sie auch gewählt worden.
"Tsipras und Varoufakis führen Beliebtheitsskala an"
tagesschau.de: Steht denn die griechische Bevölkerung noch hinter ihrer Regierung?
Kouparanis: Syriza ist gewählt worden, in der Hoffnung, mit dieser Regierung werde es nicht noch schlimmer werden als zuvor. Wenn man sich die Umfragen anschaut, haben sie bei einer Mehrheit der Bevölkerung immer noch Kredit. In sämtlichen Umfragen führt Tsipras die Beliebtheitsskala an, und gleich an zweiter Stelle steht der im Ausland so diskreditierte Varoufakis. Die Bevölkerung steht hinter der Regierung, wenn es darum geht, dass es in den Verhandlungen nicht zu noch schlimmeren Kürzungen kommt. Allerdings ist die übergroße Mehrheit für eine Einigung mit den Geldgebern und gegen einen Austritt aus dem Euro.
tagesschau.de: Setzt die Regierung denn um, wofür sie gewählt wurde?
Kouparanis: Von der jetzigen Regierung konnte in den fünf Monaten ihrer Amtszeit noch nichts konkret umgesetzt werden. Bislang wurde ja nur verhandelt. Man wird diese Regierung erst nach Verhandlungsende daran messen können, ob sie versprochene Reformen auch tatsächlich umsetzt. Genau das hatte die alte Regierung ja versäumt - sie hatte Reformen versprochen, die sie nicht umsetzte, und ist deshalb auch im Ausland in Misskredit geraten.
"Es braucht grundlegende Reformen statt Kürzungen"
tagesschau.de: Welche Reformen müssten jetzt angepackt werden?
Kouparanis: Im Steuersystem wäre es in erster Linie angesagt, dafür zu sorgen, dass Steuern auch eingetrieben werden. Was nutzt eine Mehrwertsteuererhöhung, wenn es keine funktionierenden Mechanismen gibt, die garantieren, dass der Staat die Steuern auch bekommt? Dafür braucht es auch Hilfe aus dem Ausland. Schäuble hat ja vorgeschlagen, es könnten Hunderte deutsche pensionierte Beamte nach Griechenland gehen und dort an einem effektiven System mitarbeiten. Das ist ein vernünftiger Vorschlag.
Zum anderen muss die griechische Justiz reformiert werden. Es kann ja nicht sein, dass es acht oder zehn Jahre dauert, bis ein Verhandlungsverfahren beendet wird. Wer wird in Griechenland investieren, wenn es keine Rechtssicherheit gibt? Auch die Willkür in der öffentlichen Verwaltung muss abgeschafft werden. Es braucht Effektivität und Transparenz. Darüber hinaus müssen Korruption und Klientelpolitik bekämpft werden: Der Staat darf kein Selbstbedienungsladen sein, bei dem Parteimitglieder mit Posten versorgt werden.
tagesschau.de: Wie soll das umgesetzt werden?
Kouparanis: Ich bin der Meinung, die Geldgeber müssen noch nachdrücklicher darauf bestehen, vereinbarte Reformen umzusetzen. Darauf müsste der Fokus in den jetzigen Verhandlungen liegen - und nicht so sehr darauf, ob der Primärüberschuss 0,75 oder ein Prozent beträgt. Denn selbst wenn es jetzt zu einem Schuldenschnitt in Griechenland käme, wenn diese grundlegenden Reformen nicht umgesetzt werden, wäre das Land in ein paar Jahren wieder genau in der gleichen Situation und würde große Schulden anhäufen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de