Finanzkrise in Griechenland Hilflos im Schuldendilemma

Stand: 26.05.2015 18:47 Uhr

Griechenland steht mit dem Rücken zur Wand. In wenigen Tagen muss Athen Schulden beim IWF begleichen - hat aber dafür nicht die nötigen Millionen. Kommt es nicht rasch zu einer Einigung mit EU, EZB und IWF, ist die Staatspleite wohl unvermeidbar.

Von Jörn Unsöld, tagesschau.de

Manche Medien sprechen bereits vom "letzten Akt" im griechischen Schuldendrama - mit ungewissem Ausgang. Und das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen läuft am 30. Juni das zweite Hilfspaket der internationalen Geldgeber aus, die Frist war erst im Februar nach langem Hickhack zwischen Brüssel, Berlin und Athen verlängert worden. Zum anderen muss Griechenland in den kommenden drei Monaten IWF und EZB mehrere Milliarden Euro zurückzahlen.

Um eine Staatspleite doch noch abwenden zu können, ist Griechenland auf die letzte Tranche aus dem Ende Juni auslaufenden Hilfsprogramm in Höhe von 7,2 Milliarden Euro angewiesen.

Dieses Geld ist weiter blockiert. Denn Bedingung der internationalen Geldgeber ist nach wie vor, dass die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras konkrete Vorschläge auf den Tisch legt, wie sie den Staatshaushalt in den Griff bekommen will. Arbeitsmarkt, Rentenreform, Mehrwertsteuererhöhungen und Privatisierung - das sind seit Monaten die Themen, über die erbittert gestritten wird.

Seit Monaten zähe Verhandlungen

Die Verhandlungen mit den sogenannten Institutionen, also IWF, EZB und EU-Kommission, ziehen sich hin. Und die Chancen auf einen Kompromiss schwinden, die Positionen sind noch zu weit voneinander entfernt. Die einzigen Zugeständnisse, die Athen bisher gemacht hat, sind vage. Sie beziehen sich etwa auf eine stärkere Bekämpfung von Steuerhinterziehung oder auf das Versprechen, die Ausgabe von Haushaltsgeldern besser zu kontrollieren.

Doch selbst wenn sich Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis mit den Euro-Partnern auf härtere Einschnitte verständigen würden - innenpolitisch seien ihnen die Hände gebunden, gibt der Brüsseler ARD-Korrespondent Martin Bohne im Gespräch mit tagesschau.de zu bedenken - und verweist auf die Rolle der Linkspartei Syriza.

Deren Zerrissenheit belegt ein Fall vom Wochenende: Auf einer Parteisitzung in Athen brach sich der Zorn des linken Flügels Bahn, der eine scharfe Resolution durchsetzen wollte. Darin sollte die Regierung dazu verpflichtet werden, die nächste IWF-Rate nicht zurückzuzahlen.

Nur mit Mühe und mit einem Versprechen konnte Tsipras die Revolte abwenden: "Wir werden den absurden Forderungen nicht nachgeben, die Mehrwertsteuer zu erhöhen oder Renten zu senken", sagte er. 95 Mitglieder des Zentralkomitees stimmten schließlich gegen den Antrag des linken Flügels, 75 dafür.

Innenminister: Kein Geld für den IWF da

Ein weiterer Fall sorgte über Pfingsten für Unruhe - und der hängt ebenfalls mit den jetzt fälligen Rückzahlungen zusammen. Die im kommenden Monat benötigten Summen für den Internationalen Währungsfonds werde die Regierung nicht aufbringen können, sagte Innenminister Nikos Voutsis in einem Interview. Dieses Geld werde nicht überwiesen, weil es nicht vorhanden sei.

Zwar ruderte Tsipras' Regierungssprecher hinterher zurück, doch die Sorgen des Innenministers sind berechtigt. Denn insgesamt werden im Juni Überweisungen an den IWF von insgesamt 1,5 Milliarden Euro fällig, die erste Rate in Höhe von 298 Millionen Euro bereits am 5. Juni.

Die weiteren Summen werden wenige Tage später fällig. Auch im Juli muss Athen seine Schulden beim IWF begleichen - dann geht es um 447 Millionen Euro (siehe Tabelle).

Griechenlands ausstehende Zahlungen in nächster Zukunft*
Datum Betrag und Institution
5. Juni 298 Millionen Euro an IWF
12. Juni 335,2 Millionen Euro an IWF
16. Juni 558,8 Millionen Euro an IWF
19. Juni 335,2 Millionen Euro an IWF
13. Juli 447 Millionen Euro an IWF
Juli 3,5 Milliarden Euro an EZB
August 3,2 Milliarden Euro an EZB
August 165 Millionen Euro an IWF

* Daten von Nachrichtenagentur Reuters zusammengestellt

Auf Notreserven zurückgegriffen

Erst im Mai musste Griechenland  dem IWF 750 Millionen Euro zurückzahlen - und bediente sich dabei eines Kniffs. Athen griff dafür unter anderem auf eine Notfallreserve der griechischen Zentralbank zurück, die für alle IWF-Mitglieder verpflichtend ist. Unklar ist, wann - und mit welchen Mitteln - die Regierung dieses Geld wieder zurückzahlt.

Auch die EZB als wichtigster Gläubiger Griechenlands hält in diesem Sommer die Hand auf. Im Juli werden Zinsen und Tilgung für Staatsanleihen fällig, die im EZB-Bestand sind. Die Summe beläuft sich auf rund 3,5 Milliarden Euro. Weitere 3,2 Milliarden Euro muss Griechenland im August der EZB überweisen. Hinzu kommen in jenem Monat Zinsen, die dem IWF zustehen, in Höhe von rund 165 Millionen Euro.

Nach Angaben der griechischen Schuldenagentur muss Athen außerdem noch im Laufe dieses Jahres Darlehen privater Gläubiger, der Europäischen Investitionsbank und der griechischen Zentralbank sowie anderer Bonds bedienen - insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro.

  

Auch laufende Ausgaben kaum noch zu zahlen

Jenseits der Rückzahlungen muss der griechische Staat auch die laufenden Kosten - für Verwaltung, Löhne und Gehälter - stemmen. Beides, komplette Schuldenbegleichung und pünktliche Auszahlung der Gehälter, kann Athen nach Ansicht von Experten nicht schaffen. Selbst wenn Athen die Schuldenzahlung einstellen würde, hätte es massive Probleme - ohne Hilfe von außen - Löhne und Gehälter zu zahlen, so ARD-Korrespondent Bohne. Im April wiesen die Steuereinnahmen einen Rückstand in Höhe von 850 Millionen Euro auf.

Finanzminister Varoufakis hatte zuletzt einen möglichen Aufschub der Zahlungen ins Spiel gebracht. Doch was das angeht, geben sich die Geldgeber - noch - hart. Die EZB besteht auf völlige Rückzahlung. Verzichtete sie auf das Geld, käme das einer direkten Staatsfinanzierung durch die Zentralbank gleich, was ihr verboten ist. Auch beim IWF kann Griechenland auf wenig Nachsicht hoffen. Erst im April hatte die Regierung Tsipras dies vergeblich versucht und sich bei IWF-Chefin Lagarde eine Abfuhr geholt.

"Grexit" rückt näher

Angesichts der noch immer nicht freigegebenen Tranche von 7,2 Milliarden Euro und der zeitgleichen Fristen, die alten Schulden zurückzuzahlen, steckt Griechenland in der Sackgasse. Sollte sich bei den Verhandlungen zwischen EU, IWF und EZB einerseits und der Tsipras-Regierung andererseits nicht doch noch eine der beiden Seiten bewegen, ist der Staatsbankrott mit anschließendem "Grexit" wohl bald nicht mehr theoretisches Konstrukt, sondern Realität.