Interview

Angriff auf die Gemeinschaftswährung "Spekulanten versuchen das System zu sprengen"

Stand: 11.05.2010 06:44 Uhr

Das Hilfspaket wird wirken, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Hickel. Es schaffe Spielraum, um die größte Not in Griechenland, Portugal oder Spanien aufzufangen. Im Interview mit tagesschau.de erklärt der Experte, wie der 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm helfen soll.

tagesschau.de: Was passiert momentan mit dem Euro?

Rudolf Hickel: Der Euro steht derzeit Zeit massiv unter Druck, weil die Spekulanten das gesamte System zu sprengen versuchen. Es geht nicht mehr nur um einen begrenzten Krisenfall, wie beispielsweise Griechenland. Die Spekulanten versuchen inzwischen mit viel Macht das gesamte Eurosystem aufzuspalten und am Ende aufzulösen. Vor allem die schwächeren Länder auf der Südachse sollen abgespaltet werden, auch weil sie dabei Gewinne machen können. Die europäische Gemeinschaftswährung ist in einer tiefen Systemkrise. Die Finanzmärkte wissen: Wenn es den Euro nicht mehr gibt, gibt es wieder nationale Währungen als Futter für weitere Spekulationen.

tagesschau.de: Woraus besteht das Hilfspaket eigentlich?

Hickel: Einerseits stehen 750 Milliarden Euro in einer Zweckgesellschaft in Garantien und Krediten bereit, andererseits sollen die Europäische Zentralbank, beziehungsweise die nationalen Zentralbanken mit Maßnahmen das Paket unterstützen. In welchem Ausmaß der Rettungsschirm in Anspruch genommen wird, lässt sich zurzeit nicht sagen.

Das Entscheidende ist jetzt die Ankündigung, dass der Zusammenbruch der Staatsfinanzierung per Anleihen nicht zugelassen wird. Es geht um die Wiederherstellung von Vertrauen als die wichtigste Währung. Dabei ist das unkonventionelle Engagement der Europäischen Zentralbank von strategischer Bedeutung. Sie gibt den Banken auch für die Hereinnahme von Ramschanleihen Liquidität.

Zur Person
Rudolf Hickel leitet das Institut Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen. Der Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt sich unter anderem mit der Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte. Er tritt für einen starken Staat ein und ist vehementer Kritiker des Neoliberalismus in der Wirtschaftspolitik.

tagesschau.de: Wo kommt das Geld her?

Hickel: Zuerst sind es gewissermaßen virtuelle Gelder, die nicht ausgeben werden, sondern nur potenziell zur Verfügung gestellt werden. Sie werden ausgegeben, wenn Kredite vergeben werden. Wenn die Kredite später nicht eingelöst werden können, dann müssen die Steuerzahler, als ultima ratio einspringen.

tagesschau.de: Wie soll das Rettungspaket die Krise bewältigen?

Hickel: Die Problemländer wie zum Beispiel Griechenland, Portugal oder Spanien sind durch das Rettungspaket für einige Zeit nicht mehr auf die Kapitalmärkte angewiesen. Sie werden praktisch  gegen die dort agierenden Finanzspekulanten abgeschottet.

Wenn jetzt eine griechische Staatsanleihe fällig wird und Griechenland diese auszahlen muss, beispielsweise an die Commerzbank in Deutschland, dann müsste normalerweise an den Kapitalmärkten ein neuer Kredit zur Anschlussfinanzierung aufgenommen werden. Sonst würde das Geld in der Haushaltskasse fehlen. Nun bekommen die Griechen das Geld über das Rettungspaket.

Was mich etwas optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass die Summen, die da bewegt werden, gigantischen Ausmaßes sind. Sie schaffen Spielraum, um die schlimmsten Nöte der bedrohten Länder aufzufangen. Das Volumen des Pakets ist so groß gewählt, dass man damit im Grunde genommen, jetzt eine Attacke auf Griechenland, Portugal und Spanien gleichzeitig abwehren könnte.

Das Euro-Rettungsmodell zielt auf den Kauf von Zeit. Es ist richtig den Finanzmärkten zu signalisieren, dass sie mit den jetzt nötigen Umfinanzierungen nichts mehr zu tun haben.

tagesschau.de: Was sind die Ursachen der Krise?

Hickel: Die Spekulanten beziehen ihre Munition aus der Fehlkonstruktion Euroland. Die schwere Systemkrise ist die Folge von Geburtsfehlern bei der ursprünglichen Gründung des Eurolandes. Damals wurde geglaubt, es reicht aus, ausschließlich monetäre Konvergenzkriterien festzulegen, die alle Länder einhalten sollten. Außerdem ist damals kein Krisenmechanismus vorgesehen worden, nach dem Motto, so was wird schon nicht eintreten. In Artikel 120 des Maastrichter Vertrags ist dagegen sogar gesagt worden, dass das Euroland keine Haftungsgemeinschaft ist, dass kein Land für die Schulden eines anderen eintritt. Dieses Prinzip ist mit dem Hilfspaket zu Recht aufgekündigt worden. Jetzt gilt Artikel 122: Beistand bei außergewöhnlichen Ereignissen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. 

tagesschau.de: Was muss jetzt passieren?

Hickel: Das Wichtigste ist, dass die Notmaßnahmen zum Ausdruck bringen: Die Politik lässt das Sprengen des Eurolandes nicht zu. Auch die Europäische Zentralbank ist im Boot. Das Paket wird wirken. Aber man darf jetzt nicht stehen bleiben, sondern muss, so wie es auch in Brüssel diskutiert wurde, jetzt auch entsprechende dauerhafte Krisenmechanismen aufbauen und Regulierungen durchsetzen.

tagesschau.de: Wie geht es weiter?

Hickel: Das Vertrauen in den Euro kommt erst wieder zurück, wenn auch mittelfristig Konsequenzen gezogen werden. In der jetzigen Krise hat es sich als Falle erwiesen, dass die Finanzmärkte darauf spekulieren konnten, dass sich die reichen Länder wie Deutschland und die ärmeren wie Griechenland so unterschiedlich entwickeln.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt Deutschland?

Hickel: Die übermächtige Exportsituation der deutschen Wirtschaft hat die anderen Euroländer belastet. Dort führt diese zur Verdrängung von Produktion. Wir brauchen jetzt endlich eine Diskussion darüber, wie die deutsche Exportaggressivität, die das Euroland sprengt, abgebaut werden kann. Ein wichtiger Beitrag wäre es etwa, sich stärker auf die Entwicklung der Binnenwirtschaft zu konzentrieren.

Das Interview führte Georg Thomas für tagesschau.de