ver.di-Chef über Tarifangebot "Bittere Enttäuschung für Klinik-Personal"
Ver.di-Chef Werneke verhandelt diese Woche erneut über einen neuen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Was er vom Angebot der Arbeitgeber hält und wie er die Chance einer Einigung sieht, sagt er im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Die kommunalen Arbeitgeber haben ein Tarifangebot vorgelegt, das sie fast fünf Milliarden Euro kosten würde. Ist das nicht ganz schön großzügig in Zeiten klammer Kassen, massiver Steuerausfälle und hoher Schulden?
Frank Werneke: An dem Angebot ist leider gar nichts großzügig. Es ist insbesondere für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Pflege, in den Krankenhäusern eine bittere Enttäuschung. Was auch zu wirklich negativen Reaktionen führt. Wir reden im öffentlichen Dienst über 2,3 Millionen betroffene Menschen, und alles, was dort gemacht wird, führt nun mal in der Summe zu relativ großen Beträgen. Diese fünf Milliarden würden sich außerdem über drei Jahre strecken.
tagesschau.de: Das Angebot sieht auch Zulagen vor speziell für Gesundheitsberufe, etwa für die Intensivpflege, die Arbeit in Gesundheitsämtern.
Werneke: Für die allermeisten Beschäftigten in der Pflege bedeutet es 50 Euro mehr, in der Intensivpflege geht es um bestenfalls 100 Euro mehr. Zum Teil wird das mit bestehenden Zahlungen verrechnet, dann ist es ein Nullsummenspiel. Angesichts der seit langem bekannten Unterbezahlung der Beschäftigten in der Pflege und des Personalmangels ist dieses Angebot eine herbe Enttäuschung.
"Realistische Forderungen gestellt"
tagesschau.de: Sie fordern 4,8 Prozent mehr Geld. Ziemlich üppig mitten in einer schweren Rezession, oder?
Werneke: Wir haben realistische Forderungen gestellt. Zum Beispiel fordern wir im Gesundheitswesen eine Pflegezulage von 300 Euro. Pflegezulagen in erheblicher Größenordnung sind zum Beispiel in Universitätskliniken durchaus üblich. Wir wollen in dieser besonderen Zeit vor allem die unteren und mittleren Einkommen stärken. Deshalb ist unsere Forderung nach einem Mindestbetrag von 150 Euro im Monat ganz wesentlich.
tagesschau.de: Vor der dritten Verhandlungsrunde Ende dieser Woche haben die Arbeitgeber Optimismus verbreitet. Eine Einigung sei möglich, man wolle in zwei Tagen durchkommen. Wird das klappen?
Werneke: Dass wir alle miteinander zu einem Abschluss kommen wollen, verbindet uns. Ob das in zwei Tagen gelingt oder länger dauern wird, wird man sehen. Aber damit es tatsächlich an diesem Wochenende zu einem Ergebnis kommt, muss sich bei den Arbeitgebern noch sehr viel bewegen.
tagesschau.de: Für einen Kompromiss müssen sich beide Seiten bewegen. Wie kompromissbereit sind Sie?
Werneke: Wir sind immer kompromissbereit. Allerdings ist das erste Angebot der Arbeitgeber weit weg von einem möglichen Abschluss. Zumal sich darin eine Reihe von Verschlechterungen verstecken. So wollen die Arbeitgeber für die Beschäftigten im Rettungsdienst die Arbeitszeit auf bis zu 24 Stunden erweitern. Mit Fürsorge hat das wenig zu tun.
Geteilte Reaktionen aus der Bevölkerung
tagesschau.de: Die Warnstreiks treffen auch Klinken. Ist das nicht problematisch angesichts steigender Infektionszahlen?
Werneke: Die Politik hat bei den Beschäftigten in den Krankenhäusern hohe Erwartungen geweckt. Wir erinnern uns an den Applaus und die vielen warmen Worte von Politikerinnen und Politiker aller Couleur. Die Arbeitsbelastung im Gesundheitswesen ist eklatant, und es fehlt Personal, auch weil zu schlecht bezahlt wird. Deshalb stehen die Kliniken jetzt mit im Vordergrund dieser Tarifauseinandersetzung. Und deshalb ist es auch notwendig, dass wir in den Kliniken Arbeitskampfmaßnahmen durchführen. Dabei geht das Patientenwohl aber nie unter, die Akutversorgung ist immer sichergestellt. Eingeschränkt sind aufschiebbare Operationen, die an Streiktagen nicht stattfinden.
tagesschau.de: Aber sie machen sich schon unbeliebt in der Bevölkerung, wenn sie zum Beispiel für noch vollere Busse und Bahnen sorgen.
Werneke: Es kommt auch sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung. Natürlich gibt es Kritik von Bürgerinnen und Bürgern, weil Streiks im öffentlichen Dienst unbequem sind. Das lässt sich leider nicht vorkommen vermeiden. Wir sind mit Umsicht und Vorsicht unterwegs und streiken sehr dosiert mit langen Ankündigungsfristen. Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst finden jetzt statt, nicht weil wir es wollen, sondern weil wir die öffentlichen Arbeitgeber einer Verschiebung auf das kommende Frühjahr nicht zugestimmt haben.
tagesschau.de: Der Verhandlungsführer der Kommunen, Lüneburgs Bürgermeister Ulrich Mädge, hat vorgerechnet, wie klein der Spielraum der Städte und Gemeinden ist. Die Finanzen verbesserten sich erst ab 2024 wieder, und man könne nicht gleichzeig investieren in Bildung, Klimaschutz und Tarifsteigerungen.
Werneke: Herr Mädge blendet allerdings die aktuelle Steuerschätzung aus. Danach werden die Kommunen bereits Ende 2021 wieder das Einnahmenniveau der Zeit vor Corona haben. Und für dieses Jahr werden die Gewerbesteuereinnahmen durch den Bund ausgeglichen. Hinzu kommen dauerhaft wirkende Entlastungen von jährlich 3,5 Milliarden Euro. Wir verkennen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung natürlich nicht, das spiegelt sich auch in unseren Forderungen wider. Deshalb ist uns gerade jetzt der Mindestbetrag besonders wichtig.
"Hartleibiger und zugeknöpfter"
tagesschau.de: Die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst sind in den letzten zehn Jahren etwa so stark gestiegen wie im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Aber die Beschäftigten dort haben Jobsicherheit, die es anderswo nicht gibt, zum Beispiel bei der Lufthansa.
Werneke: Kein einziger Arbeitsplatz bei der Lufthansa wird dadurch gerettet, dass wir auf eine Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst verzichten, ganz im Gegenteil. Ohne eine insgesamt positive Lohnentwicklung wird die Kaufkraft in Deutschland geschwächt, und ohne eine Stärkung von Kaufkraft kommen auch der Tourismus, der Flugverkehr und viele andere Branchen nicht wieder auf die Beine. Zudem manche Einkommen im öffentlichen Dienst, etwa im Nahverkehr oder in der Abfallwirtschaft, es den Beschäftigten praktisch unmöglich machen, davon in den Großstädten zu leben und die Mieten zu bezahlen. Darauf müssen wir in dieser Tarifrunde Antworten finden.
tagesschau.de: Eine Tarifrunde in der Pandemie - was ist der größte Unterschied zu normalen Zeiten?
Werneke: Eine Besonderheit ist, dass die Arbeitgeber noch hartleibiger und zugeknöpfter sind als ohne Corona. Corona wird zudem gerne als Argument dafür genutzt, Dinge zu fordern, die man schon immer mal am Verhandlungstisch durchsetzen wollte. So versuchen die öffentlichen Arbeitgeber in dieser Tarifrunde, die Eingruppierungen zu verschlechtern.
Das Gespräch führte Philipp Jaklin, tagesschau.de.