Fachkräftemangel Wie das Handwerk um Personal kämpft
Das Handwerk schlägt Alarm, weil die Azubi-Zahlen stark sinken. Eine Viertelmillion Fachkräfte fehlten laut Zentralverband in den Betrieben. Das führt auch zu einem Überbietungswettbewerb der Firmen im Kampf um Personal.
Markus Henseler ist Arbeitgeber mit Leidenschaft. Er ist Geschäftsführer eines Elektrobetriebs in Bornheim mit 20 Angestellten. Er habe diesen Job gewählt, weil es ihm Spaß mache, Menschen mit Arbeit zu versorgen. Doch der Spaß ist ihm seit einiger Zeit vergangen. Denn es gibt immer weniger Interessenten, die einen Handwerksjob machen möchten. Henseler spricht von einer "Vollkatastrophe". "Es kommt einfach nichts mehr rein", beklagt er sich. Aktuell hat er einen Auszubildenden, früher waren es zwei oder drei.
Handwerksverbände berichten von einem deutlichen Rückgang der Zahl Auszubildender. "Während im Jahr 2005 noch 163.000 junge Menschen eine Ausbildung im Handwerk begonnen haben, waren es im Jahr 2020 nur noch 130.000", so Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW. "Im gleichen Zeitraum ist die Studienanfängerquote um mehr als 50 Prozent angestiegen: Etwa sechs von zehn Personen beginnen heute ein Studium. Die fehlen uns natürlich in der dualen Ausbildung." Besonders betroffen seien die Bau- und Ausbaugewerke, die Bereiche Sanitär-Heizung-Klima, Elektro und Lebensmittelgewerke, wie etwa Metzger oder Bäcker.
Kaum Wertschätzung für Handwerksberufe
Ehlert macht einerseits den demografischen Wandel für die Probleme verantwortlich. Andererseits habe die Bildungspolitik den Fokus viel zu lange einseitig auf die Akademisierung gelegt. Und zuletzt hänge es mit mangelndem Wissen vieler Jugendlicher über die Vielfalt und Perspektiven einer Ausbildung im Handwerk zusammen.
"In der Gesellschaft brauchen wir insgesamt wieder mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung", so Ehlert. "Wenn der Sohn eines Anwalts Tischlermeister wird, ist das kein Abstieg. Wenn eine junge Frau sagt, ich will Bäckerin werden, mit oder ohne Abitur, ist das kein Abstieg. Denn Zufriedenheit und beruflicher Erfolg gehen eben nicht nur als Bachelor und Master, sondern auch als Geselle und Meisterin."
Wettkampf zwischen Betrieben
Der Fachkräftemangel sorgt in der Praxis für viel Stress in den Betrieben. Henseler berichtet von Jobjägern, die immer wieder auf Baustellen auftauchten und versuchten Mitarbeiter abzuwerben. Arbeitgeber würden versuchen, sich gegenseitig zu überbieten, um an Angestellte zu kommen. Inzwischen zahlen die meisten weit über Tarif.
"Zum 1. Januar hatten wir bei uns eine Gehaltserhöhung, die letzte davor liegt gerade mal neun Monate zurück. Ein Geselle, der aus der Lehre kommt verdient 15,24 Euro pro Stunde. Wir legen zehn bis 15 Prozent oben drauf", so Henseler. Mit attraktiven Angeboten versuche man eben besser zu sein als der Fachbetrieb nebenan. Wer nicht krank wird, bekommt einen Bonus, wer besonders gut arbeitet ebenso. Es habe ein regelrechter Wettkampf zwischen den Betrieben begonnen.
Nachwuchs-Suche per TikTok
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht im Fachkräftemangel sogar ein Problem für die Gesellschaft, da er generell die Zukunftsfähigkeit bedrohe. "Nur mit genügend qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern kann Klimaschutz, die Energie- und Mobilitätswende, der Infrastrukturausbau gelingen und umgesetzt und die tägliche Versorgung sichergestellt werden. Dazu kommt der drohende Wegfall von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, wenn der Nachwuchs für die im Handwerk anstehenden etwa 125.000 Betriebsübergaben in den nächsten fünf Jahren fehlt und deshalb die Nachfolge nicht klappt", so ein Sprecher des ZDH.
Handwerkspräsident Ehlert erwartet von der Politik eine klare Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung. "Viele Entscheidungsträger haben zum Glück mittlerweile erkannt, dass es hier substanzielle Verbesserungen braucht. Auch die neue Bundesregierung hat sich einiges vorgenommen. Jetzt müssen den Worten auch Taten folgen", so Ehlert. "Denn jedem muss klar sein: Ohne dual ausgebildete Fachkräfte aus dem Handwerk laufen viele Pläne der Ampel ins Leere - vom Wohnungsbau, über die Klimaziele bis zur Glasfaserversorgung."
Am Ende gehe es auch zu Lasten des Kunden, sagt Geschäftsführer Henseler aus Bornheim. Neukunden könne er kaum noch guten Gewissens aufnehmen, es werde immer schwieriger, termingerecht zu planen. Um irgendwie an Nachwuchs zu kommen, begibt er sich nun auf neues Terrain. Er wirbt inzwischen mit Facebook und TikTok Videos für die Ausbildung in seinem Betrieb. So hofft er, den Job für die Jugendlichen spannender zu machen