Merkels Informationspolitik "Es geht um die Zukunft der Koalition"
Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy haben über die Euro-Krise beraten. Ganz bestimmt gehe es dabei nicht um Eurobonds, ließ die Kanzlerin vorab verlauten. Das sei völlig unglaubwürdig, sagt ARD-Korrespondent Werner Sonne. Und doch gebe es aus Sicht der Kanzlerin Gründe, so etwas zu behaupten. Denn nicht nur die Märkte sind bei dem Thema hochnervös, sondern auch die Koalition intern: Die Angst vor der europäischen "Transferunion".
tagesschau.de: Merkels Regierungssprecher behauptet einfach, in Paris werde heute über Eurobonds nicht gesprochen. Wie glaubwürdig ist das? Weshalb legt er sich überhaupt so fest?
Werner Sonne: Der Regierungssprecher wird das nahtlos mit der Bundeskanzlerin abgestimmt haben. Er würde hier keinen unabgestimmten Satz von sich geben, der nicht ganz klar die Regierungslinie darstellt.
tagesschau.de: Auch wenn die Kommunikation mit der Kanzlerin abgestimmt war - wie glaubwürdig ist diese Aussage?
Sonne: Das ist eine ganz andere Frage. Dass das Thema heute in Paris intern gar nicht besprochen wird, das kann sich niemand vorstellen - beim besten Willen nicht! Man kann ja heute schon in einer Reihe von Zeitungen lesen, dass das Thema Eurobonds sehr wohl hinter den Kulissen in der Bundesregierung diskutiert wird. Allerdings kann ich mir angesichts der innenpolitischen Diskussion hier in Berlin nicht vorstellen, dass Merkel und Sarkozy nach ihren Besprechungen sagen werden, dass die Eurobonds doch kommen.
tagesschau.de: Wenn es so ist, wie Sie sagen - dass in Paris doch über Eurobonds gesprochen wird: Warum meint die Bundesregierung am Vortag behaupten zu müssen, dass dies nicht der Fall sein wird?
Sonne: Jedes Wort der Politik kann zurzeit Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben. Darum geht es eigentlich: Den Märkten eine Richtung anzugeben oder sie zumindest zu beruhigen. Da ist das politische Signal aus Berlin, dass man sich auf Eurobonds nicht einlassen will. Hätte der Regierungssprecher etwas anderes gesagt, etwa intensive Andeutungen in die Richtung gemacht, hätten die ausgesprochen volatilen Märkte darauf reagiert.
tagesschau.de: Merkel befürchtet, dass sich die Krise verschlimmert durch zu offene Worte?
Sonne: Sie will keine öffentliche Diskussion zu dem Thema. Merkel hat sich in die Sommerpause mit der klaren Linie verabschiedet, zur Euro-Krise im Kern nichts weiter zu sagen - außer dass man darauf baut, dass die am 21. Juli auf europäischer Ebene gefällten Entscheidungen ausreichend sind. Und dass es darauf ankommt, sie zügig in dem geplanten Zeitrahmen umzusetzen. Bis Ende September will sie die Beschlüsse ja durch das deutsche Parlament "durchpeitschen" - wie einige in der Union es nennen.
tagesschau.de: Merkel spielt also im Kommunikationsverhalten den Gegenpart zu Sarkozy, der schon Märkte bewegt, weil er verfrüht aus dem Urlaub zurückkehrt - und nun auch das Thema Eurobonds forciert?
Sonne: Der hat ja auch eine ganz andere Interessenlage: Er hat eine Wirtschaft, die stagniert und eine hohe Schuldenlast, die Frankreich nicht so systematisch wie Deutschland abbaut. Er hat eine nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit, vor allem bei den Jugendlichen. Und es gibt Spekulationen um die Bonität seines Landes. Deshalb steht er unter einem ganz anderen Druck als Merkel, die ein solides Wachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen hat. Sie hat nur ein Interesse: Ruhe auf den Märkten, damit die sich stabilisieren - und das deutsche Wirtschaftswunder fortsetzen.
tagesschau.de: Schaut man sich Merkels Kommunikation in der Euro-Krise an, musste sie sich mehrfach sehr stark revidieren. Kriegt sie damit nicht nachträglich ein Glaubwürdigkeitsproblem? Sie kann vorab zwar behaupten, Eurobonds seien kein Thema - und damit die Märkte beruhigen. Aber danach hat sie vielleicht ein Problem mit den Wählern, die sie als wankelmütig empfinden.
Sonne: Das hat sie schon jetzt auf diesem Gebiet. Wenn man die Entwicklung seit Beginn der Euro-Krise betrachtet, musste sie sich in der Tat mehrfach korrigieren. Aber jetzt geht es um den alles entscheidenden Punkt der Eurobonds. Damit würde sie den letzten Schritt Richtung Transferunion tun. Wenn diese letzte Bastion fallen würde, dann wäre Merkels Glaubwürdigkeit endgültig dahin. Und hier geht es dann auch - machen wir uns nichts vor - um die Zukunft der Koalition. Es gibt ja inzwischen genügend kritische Stimmen auch in ihrer eigenen Partei - und das weiß sie natürlich auch.
tagesschau.de: Auch von höchster Stelle des Parlaments ist wachsender Druck spürbar - von ihrem Parteifreund Norbert Lammert, dem amtierenden Bundestagspräsidenten. Der mahnt bereits, der Bundestag müsse stärker einbezogen werden. Hat Merkel also nicht nur ein Kommunikations- und Glaubwürdigkeitsproblem, sondern auch noch ein demokratiepolitisches?
Sonne: Absolut. Hier geht es um eine sehr grundsätzliche Kritik. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass er sich dazu äußert. Das zeigt, wie groß die Unruhe im Parlament insgesamt - quer durch alle Fraktionen - ist. Das kann die Kanzlerin nicht auf Dauer ignorieren. Die Art und Weise, wie sich dieser führende CDU-Politiker gegen die CDU-Vorsitzende und vor allem gegen die eigene Kanzlerin stellt, ist ohne Beispiel.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de