Sitzungsmarathon zur Schuldenkrise Hektik, Streit und viele Gerüchte
Die Finanzminister der Euro-Zone und der EU veranstalten einen wahren Sitzungsmarathon in Brüssel - und der zeugt von wenig Einigkeit. Klar ist nur, dass Griechenland noch mehr Geld braucht und dass die Banken sich stärker beteiligen sollen. Doch über die Details wird laut gestritten - auch vor den Türen.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Es reiht sich eine Ministerrunde an die andere: erst die Finanzminister aller 27 EU-Staaten, dann noch einmal ungeplant die Minister nur der Eurozone. Am Nachmittag kamen auch die EU-Außenminister zusammen. Am Abend wollen sich dann die Bundeskanzlerin und der französische Staatschef mit einigen Auserwählten treffen - um den Durchbruch zu schaffen im schier undurchlichen Gestrüpp der Eurokrise.
Der britische Finanzminister George Osborne machte mit drastischen Worten deutlich, dass die Geduld der Nicht-Euro-Partner zu Ende geht: "Die Krise in der Euro-Zone richtet großen Schaden an in Großbritannien und vielen anderen europäischen Volkswirtschaften. Wir haben genug von kurzfristigen Maßnahmen, genug davon, Pflaster draufzukleben, die uns nur durch die nächsten paar Wochen bringen. Europa muss die Ursachen für die Krise angehen."
So langsam schälen sich einige Entscheidungen heraus. Die europäischen Banken sollen wohl verpflichtet werden, ihr Kapitalpolster um 100 Milliarden Euro aufzustocken. Das soll sie fit machen für die zu befürchtenden Ausfälle bei den Staatsanleihen der Eurokrisenstaaten.
Das zusätzliche Geld sollen sich die Banken dabei selbst besorgen, nur im Notfall sollen die Regierungen einspringen. Völlig zurecht, meint der schwedische Finanzminister Anders Borg: "Banken können nicht die Steuerzahler aussaugen, sie müssen selbst Verantwortung übernehmen."
Klar ist auch, dass das zweite Hilfspaket für Griechenland noch einmal deutlich aufgestockt werden muss. Konkrete Zahlen gibt es noch nicht. Aber die Troika von EU und IWF zeichnet ein ausgesprochen düsteres Bild. Das Land breche unter seinen Schulden zusammen.
Ein "substantieller Schuldenerlass" müsse her, meint daher der schwedische Finanzminister. Die privaten Gläubiger müssten wohl auf 50 bis 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten, wenn die griechische Schuldenlast auf ein einigermaßen erträgliches Niveau sinken solle, meint etwa der belgische Finanzminister Didier Reynders.
Aber da fährt ihm der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker in die Parade: "Es ist ja eine freiwillige Privatgläubigerbeteiligung. Insofern muss mit den Banken verhandelt werden. Es macht wenig Sinn, wenn einige Minister jetzt nach außen tragen, was unsere Wunschvorstellung ist."
Auf jeden Fall müsse nämlich vermieden werden, so Juncker, dass Griechenland für zahlungsunfähig erklärt wird. Das hätte kaum vorhersehbare Folgen. Deshalb sind etliche Eurostaaten gegen eine größere Umschuldung. Aber auch Juncker sagt, dass bei den Verhandlungen mit den Banken zumindest mehr herauskommen müsse, als die im Juli vereinbarten 21 Prozent Forderungsverzicht.
Am Nachmittag machte dann Bundesaußenminister Westerwelle noch eine weitere Front auf. Ein Managen der Krise reiche nicht aus, die ganze Konstruktion Europas müsse geändert werden. Er werde für Deutschland die Notwendigkeit von Vertragsänderungen noch einmal unterstreichen, kündigte Westerwelle an. "Der Stabilitätspakt muss gestärkt werden, damit Europa eine wirkliche Stabilitätsunion wird."
Unter anderem will Westerwelle die Souveränität der Länder einschränken, die europäische Hilfe in Anspruch nehmen: "Zum Beispiel, indem sie zulassen, dass in ihre Haushalte nicht nur hineingesehen wird, sondern dass es notfalls auch ein Hineinwirken in ihre nationalen Haushalte gibt."
Beliebt mach sich der deutsche Außenminister mit solchen Forderungen nicht. Sogar Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs, der wahrscheinlich ein europäisches Durchgriffsrecht als allerletzter fürchten muss, fuhr Westerwelle umgehend in die Parade: "Wir brauchen jetzt Entspanner, keine Einpeitscher. Wir müssen in dieser Frage sehr geschickt vorangehen, damit wir keine zweite Front aufbauen."
Und Asselborn holte zur Generalkritik an Deutschland aus: "Es kann nicht sein, dass die innenpolitischen Überlegungen und die innenpolitischen Prozeduren auch des größten Landes in der Europäischen Union alles überwiegen." Auch am Abend vor dem Gipfel gilt weiter: viel Streit, viel Hektik, viele Gerüchte - der Weg aus dem Chaos ist noch nicht erkennbar.