Interview zum Streit um Post-Mindestlohn "Springer hat sich verspekuliert"
Mit schweren Vorwürfen hat der Springer-Verlag sein Engagement bei PIN beendet: Die Politik sei schuld am Scheitern des Post-Konkurrenten. Doch war der Mindestlohn das einzige Problem von PIN? Der Post-Experte Axel Funhoff sagt im Interview mit tageschau.de: Springer hat den Markt falsch eingeschätzt.
Mit schweren Vorwürfen hat der Springer-Verlag sein Engagement bei PIN beendet: Die Politik sei schuld am Scheitern des Post-Konkurrenten. Doch war der Mindestlohn das einzige Problem von PIN? tagesschau.de sprach darüber mit Axel Funhoff, Analyst der ING-Bank.
tagesschau.de: War der Mindestlohn tatsächlich das größte Problem der PIN?
Axel Funhoff: Ja. Das Geschäftsmodell der PIN-Gruppe war von Anfang an, mit sehr großem manuellem Aufwand und sehr geringen Lohnkosten Briefe zu verteilen und so in absehbarer Zeit einen Gewinn zu erzielen. Die Pin-Gruppe war bislang verlustbringend. Aber mit größeren Volumina hätte sie es wahrscheinlich geschafft, Gewinne zu erzielen.
tagesschau.de: War dieser große manuelle Aufwand nicht ein entscheidender Nachteil gegenüber der Post AG, die ja über moderne Maschinen verfügt?
Funhoff: Nicht unbedingt. Eine Investition in ein modernes Sortiergerät ist sehr teuer – wir sprechen hier über einige Millionen Euro. Zum anderen ist es sinnvoller, ein geringes Briefvolumen von Hand zu sortieren als drei Millionen Euro für eine Sortiermaschine auszugeben. Das wird erst dann zum Nachteil, wenn man ein erhebliches Briefvolumen hat. Aber so weit war die PIN-Gruppe noch nicht. Sonst hätte sie diese Investition getätigt.
Höhere Kosten, geringere Gewinne
tagesschau.de: Waren denn die Lohnstückkosten geringer als bei der Post?
Funhoff: Sie waren durch den manuellen Aufwand viel höher als bei der Post. Nach meinen Schätzungen liegt der Lohnkostenanteil bei der Post pro Brief bei etwa 16 Cent. Bei PIN beträgt er etwa 29 Cent.
tagesschau.de: Das ist fast das Doppelte.
Funhoff: Wenn jetzt die PIN per Gesetz verpflichtet wird, seine Lohnkosten noch einmal um 30 Prozent anzuheben, ist die erwartete Gewinnmarge mit einem Schlag weg. Dann müsste man vom einen Tag auf den anderen ein noch viel größeres Briefvolumen transportieren, um einigermaßen profitabel zu sein. Das ist schon jetzt schwierig. Nach der Marktliberalisierung im kommenden Jahr aber dürfte es für die PIN noch schwieriger werden. Die Post darf dann nämlich größere Stückzahlen für Großkunden flexibel bepreisen. Dadurch wird es schwieriger, der Post Marktanteile wegzunehmen.
Kaufpreis "nicht nachvollziehbar"
tagesschau.de: Springer hat für PIN eine halbe Milliarde Euro bezahlt – für ein junges Unternehmen, das gegen einen Platzhirschen antritt. War dieser Preis angemessen?
Funhoff: Es ist sehr schwierig, diesen Preis nachzuvollziehen. Die PIN-Gruppe war in erheblichem Maße verlustbringend. Springer hat diesen hohen Preis gezahlt, als das Umfeld sehr unsicher war. Alle sprachen vom Mindestlohn – die Post, die SPD. Die Gefahr bestand, dass diese Mindestlöhne eingeführt würden. Es war auch klar, dass die Post ab 2008 flexibler an Großkunden herantreten konnte. In diesem Umfeld eine halbe Milliarde Euro für ein unprofitables Unternehmen auszugeben, ist für mich unverständlich.
tagesschau.de: Hatte der Springer-Vorstand zu wenig Ahnung vom Post-Geschäft?
Funhoff: Man hat wahrscheinlich gehofft, dass sich das Umfeld ändern würde – und zwar nicht im Sinne der Post. Dabei hat man sich verspekuliert.
Axel Funhoff ist Analyst bei der ING-Bank in Brüssel und beschäftigt sich u.a. mit den Wettbewerbern auf dem Post-Markt.
tagesschau.de: Wenn Springer die Risiken des Marktes hätte klar sein können, versucht das Unternehmen dann nun, der Politik den schwarzen Peter zuzuschreiben?
Funhoff: Das kann man so sehen. Springer hat beim Kauf darauf spekuliert, dass die Politik den Wettbewerb möchte. Der Konzern hat vermutet, dass ein befreiter Markt für die Politik wichtiger ist als der Mindestlohn. Dabei konnte man die Seriosität, mit der die Debatte über den Mindestlohn geführt wurde, unmöglich überhören. Springer hat ein erhebliches Risiko in Kauf genommen und auf die falsche Karte gesetzt.
Keine Konkurrenz für die gelbe Post
tagesschau.de: Ist der Postmarkt mit den Mindestlöhnen für kleine, neue Anbieter tot?
Funhoff: Nein. Aber es ist wesentlich teurer geworden, am Postmarkt Fuß zu fassen. Man braucht viel größere Investitionen, man braucht Volumina um profitabel zu sein. Ich nehme an, dass die Post in den kommenden Jahren keinen ernsthaften Konkurrenten neben sich haben wird.
tagesschau.de: Das war nicht der Sinn der Liberalisierung des Post-Marktes.
Funhoff: Das stimmt. Man muss aber auch sehen: Die Post ist wesentlich effizienter als die Wettbewerber. Und es kann nicht Sinn der Sache sein, den Wettbewerb zuzulassen unter der Voraussetzung, dass die Angestellten schlecht bezahlt werden. Der Wettbewerb auf dem Post-Markt war nur möglich, weil die Angestellten der Wettbewerber deutlich weniger verdient haben als bei der Post.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de