Deutsche-Bank-Chefvolkswirt zu S&P "Herabstufung der Euro-Länder gerechtfertigt"
Politiker der EU kritisieren die Ratingagentur S&P heftig für ihre Entscheidung, eine Reihe von Euro-Ländern herabzustufen. Dieser Schritt ist gerechtfertigt, glaubt hingegen der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Mayer. Investoren dürften sich dem Urteil der Ratingagenturen aber nicht sklavisch beugen.
tagesschau.de: Mit Frankreich, Italien und Spanien werden Euro-Länder abgestuft, die wichtige Reformprozesse eingeleitet haben. Sie haben jetzt ein schlechteres Rating als vor Beginn ihres Konsolidierungsprozesses. Wie kommt das?
Thomas Mayer: Zum einen handeln die Ratingagenturen mit Zeitverzögerung. Sie hinken mit ihren Bewertungen den Entwicklungen hinterher. Zum anderen muss man auf die Begründung schauen. Standard & Poor's beklagt die Inkohärenz innerhalb der Europäischen Union bei der Bewältigung der Krise. Nach Einschätzung der Analysten ist auf EU-Ebene kein effektives Krisenmanagement vorhanden.
tagesschau.de: Ist die Kritik berechtigt?
Mayer: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren in der Tat gesehen, dass die EU mit dieser Krise nicht fertig wird. Man hat die Probleme lange unterschätzt und ist den Entwicklungen hinterher gelaufen. Die Kritik ist also durchaus gerechtfertigt.
tagesschau.de: Dennoch hört man den Vorwurf, die Ratingagenturen seien parteiisch. Es handele sich um ein "politisches Rating". Trügt dieser Eindruck?
Mayer: Der Vorwurf wird sehr schnell erhoben. Ich wäre vorsichtig. Die Herabstufung ist nachvollziehbar. Auch die Kritik an der EU-Krisenbewältigung ist zu rechtfertigen. Die Politiker, die beklagen, dass die Herabstufung politisch motiviert ist, wollen eigentlich nur von den Problemen ablenken, für die die Politik selbst verantwortlich ist.
"Die Sorge um die Lebensfähigkeit des Euro wächst"
tagesschau.de: Italien und Spanien sind jetzt auf dem gleichen Bewertungsniveau wie zum Beispiel die Bahamas, Kolumbien und Indien. Ist das wirklich fair?
Mayer: Man muss berücksichtigen, dass ein Land, das in einer Währungsunion ist, keinen Zugang hat zu einer eigenen Notenpresse. Die EZB kann satzungsgemäß weder Italien noch Griechenland und Spanien durch Geld-Drucken vor einem Bankrott befreien. Insofern sind die Risiken eines Zahlungsausfalls größer als bei Ländern mit eigener Währung.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen hat die Herabstufung für die betroffenen Länder?
Mayer: Kurzfristig hat die Herabstufung keine großen Auswirkungen. Der Markt - wir sehen das an den Börsen - hat diesen Schritt auch schon vorweggenommen. Die Entscheidung kam ja auch nicht überraschend, es wurde lange darüber spekuliert. Mittelfristig allerdings wird es die Sorge über die Lebensfähigkeit der Eurozone erhöhen. Und das Urteil von Standard & Poor's wird die Debatte über den EFSF neu anfachen.
tagesschau.de: Wird die Euro-Rettung dadurch schwieriger?
Mayer: Sie wird wesentlich schwieriger. Denn mit der Herabstufung der neun Euroländer war eben auch beim EFSF die Basis für die Bestnote AAA stark geschrumpft. Außerdem verunsichert viele Anleger die Debatte um eine weitere Hebelung des EFSF. Und dann steht noch eine große Emissionstätigkeit des Rettungsschirms an, durch die das Griechenland-Programm finanziert werden muss. Das alles macht die Anleger skeptisch und bedeutet Gegenwind auf den Finanzmärkten.
"Viele Fonds müssen jetzt umschichten - das ist unsinnig"
tagesschau.de: Viele Pensionsfonds haben ihr Agieren auf dem Finanzmarkt an das Urteil der Ratingagenturen gekoppelt. Wie sinnvoll ist das?
Mayer: Bei vielen Fonds und Rentenversicherungen gibt es diese Anlagevorschriften in der Tat. Deren Investitionen sind - mit unterschiedlichen Regelungen - an die Ratings gebunden. Manche berücksichtigen alle drei Ratingagenturen, bei anderen reicht schon die Herabstufung durch eine Agentur, um handeln zu müssen. Einige Fonds müssen jetzt ihre Anlagen umschichten. Das ist problematisch und unsinnig.
tagesschau.de: Verschärfen die Ratingagenturen die Krise mit ihren Abwertungen also nicht noch? Gibt es so etwas wie eine "self-fulfilling prophecy"?
Mayer: Weil die Agenturen immer mit Verzögerung agieren sieht es so aus, als würden sie die Krise noch verschärfen. Wir haben das gesehen bei den Ratings im Privatsektor - also bei den Banken- im Krisenjahr 2008. Jetzt sehen wir den gleichen Prozess gegenüber den Krisenstaaten.
"Wir müssen weg vom starken Einfluss der Ratingagenturen"
tagesschau.de: Müsste man die Macht der Ratingagenturen begrenzen?
Mayer: Ja - unbedingt. In der Finanzregulierung, in der Bankenregulierung, in der Regulierung für die Versicherungen sollte man den Ratings weniger Gewicht geben. Es hat ja auch mit dazu geführt, dass sich die Investoren während der Kreditblase blind auf das Rating der Agenturen verlassen haben. Sie haben sich nicht mehr selbst angeschaut, was sie da gekauft haben. So wurden eben amerikanische Hypothekenpapiere, die sich später als Schrottpapiere herausstellten, gekauft, weil sie mit AAA bewertet waren. Das fatale Ergebnis kennen wir. Wir müssen im Banken- und Versicherungswesen wegkommen von dem starken Einfluss der Ratingagenturen.
tagesschau.de: Hat die Deutsche Bank ihre Praxis in Bezug auf die Ratingagenturen schon geändert?
Mayer: Wir stellen unsere Anlagepraxis immer wieder neu auf den Prüfstand, wir haben uns bei der Anlagepolitik aber nie nur auf die Bewertung der Ratingagenturen gestützt.
tagesschau.de: Wie sinnvoll wäre eine europäische Ratingagentur?
Mayer: Mehr Konkurrenz wäre einerseits wünschenswert. Wenn aber von europäischer Seite eine eigene Agentur installiert wird, die Gefälligkeitsratings abgibt, dann hat das absolut keinen Sinn. Wir sollten nicht über eine neue Ratingagentur nachdenken, sondern dafür sorgen, dass die Anleger sich selbst eine Meinung bilden, statt sich sklavisch auf das Urteil der Ratingagenturen zu verlassen und damit ja auch die Verantwortung für ihre Anlagepolitik abzuwälzen auf eine Institution.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.