Umstrittenes Freihandelsabkommen Mit Charme gegen die TTIP-Skepsis
Klarer Punktsieg für die TTIP-Gegner. In der Propagandaschlacht um das Freihandelsabkommen liegen die Gegner des Projekts weit vorn. Die Politik, allen voran die EU-Kommission, ist weit abgeschlagen. Eine Charmeoffensive soll jetzt Boden gut machen.
In der großen Propagandaschlacht um TTIP lassen die NGO, die Nichtregierungsorganisationen, die Politik ziemlich alt aussehen. Besonders deutlich wurde das zuletzt Anfang Dezember vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel. Es war der 60. Geburtstag von Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
"Herr Juncker, hier sind 1,1 Millionen Unterschriften gegen TTIP - das ist ihr Geburtstagsgeschenk. Nehmen Sie das entgegen und hören Sie auf die Sorgen der Menschen und nicht auf die Wünsche der Großkonzerne." Michael Efler ist einer Organisatoren der unbestellten Geburtstagsparty und der ausgesprochen erfolgreichen Kampagne "Stop TTIP". Er kündigt an: "Wir werden mindestens noch eine Million drauf legen, und zwar so lange bis Juncker und auch die Regierungschefs Europas einsehen, dass diese Verträge nicht gut sind für die Demokratie."
Nur eine Angstkampagne?
"Stop TTIP" hat die Unterstützung von mehr als 300 Organisationen aus 24 EU-Ländern. Darunter Verbraucherverbände, Umweltschützer, Gewerkschaften und Bürgerrechtsbewegungen. Als Schaltzentrale in Brüssel agiert "Friends of the Earth Europe". Natacha Cingotti ist die Koordinatorin. "Es ist unglaublich zu sehen, wie die Opposition gegen TTIP praktisch jeden Tag zunimmt. Und im Gegensatz zu dem, was die EU-Kommission hofft: Je mehr Leaks es gibt, um so mehr verstehen die Leute, was da alles auf dem Spiel steht."
Auf dem Spiel stehen nach Überzeugung der TTIP-Gegner die hohen europäischen Standards bei der Lebensmittelsicherheit und im Umweltschutz, auf dem Spiel steht demnach sogar die ganze demokratische Ordnung, weil die Konzerne durch spezielle Schiedsgerichte Regierungsentscheidungen kippen und durch die frühzeitige Einbindung in Gesetzgebungsvorhaben den Parlamenten ihren Willen diktieren könnten.
Für den FDP-Europaabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff ist das alles eine emotional geführte Angstkampagne. "Wir sind besonders in Deutschland nervös. Wir hatten im Frühjahr die Angst vor Chlorhühnchen, das angeblich nach Deutschland kommt, was nicht stimmt. Wir haben jetzt die Angst, die geschürt wird, vor angeblichen Geheimgerichten - und auch das stimmt nicht."
Aber der liberale Frontmann im Europaparlament muss anerkennen, dass die Argumente der TTIP-Gegner derzeit besser ankommen als die der Wirtschaft und der Regierungen. "Die Kampagne liegt vorne, die Unruhe ist groß und die Befürworter müssen sich anstrengen."
Bloß nicht noch mehr Porzellan zerschlagen
Hier muss sich natürlich vor allem die EU-Kommission angesprochen fühlen. Und dort herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. "TTIP kommt bei Google auf mehr Suchanfragen als Christina Aguilera", erinnert Lutz Güllner, der bei der EU-Kommission im Bereich Außenhandel arbeitet. Und er räumt ein: "Die Kommission - und nicht nur die Kommission allein, sondern alle, die Handelspolitik betreiben - waren überrascht von so einer großen Aufmerksamkeit, so einem großen Interesse und so einer breiten Diskussion."
Man merkt, wie vorsichtig Güllner seine Worte wählt. Er ist so etwas wie der Public Relation-Mann der Generaldirektion Handel. Ein Wort wie Angstkampagne würde ihm nie über die Lippen kommen. Man will in Brüssel auf keinen Fall noch mehr Porzellan zerschlagen. Und seit die Schwedin Cecilia Malmström im November den Posten der Handelskommissarin übernommen hat, hat eine regelrechte Charmeoffensive begonnen. "Ich habe die ersten Wochen im Amt damit zugebracht, alle zu treffen: Vertreter der Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften, von Umweltschutzorganisationen. Ich will die Gründe für die Skepsis erfahren. Wo liegt das Problem, was sind die Ängste", so Malmström.
Die Handelskommissarin findet die Ängste zwar legitim, aber unbegründet. Und deshalb will sie aufklären und mehr Dokumente öffentlich zugänglich machen, damit die Leute verstehen, dass es bei den Verhandlungen eben nicht darum gehe, Genfood nach Europa zu bringen oder die öffentlichen Dienstleistungen zu privatisieren. Und sie will weiter viele persönlich überzeugen.
Und was sagen die TTIP-Kritiker dazu? "Man sieht eben, dass die Kommission sehr nervös ist und dass sie versucht, in die Offensive zu kommen. Das gelingt ihr nicht, aber der Versuch ist ganz deutlich", meint Ska Keller. Sie ist Handelsexpertin der Grünen im Europäischen Parlament. Und sie ist überzeugt: Eigentlich hilft nur eins: Die Verhandlungen mit den Amerikanern zu beenden.