Karriere bei Rheinmetall Rüstungsindustrie zieht mehr jüngere Bewerber an
Früher Tabu, heute Boombranche: Der Rüstungskonzern Rheinmetall freut sich über steigende Bewerberzahlen. Und die braucht das Unternehmen, um die wachsende Nachfrage zu bewältigen.
Auf dem Schreibtisch von Julia Merz stehen zwei leere Hüllen Panzermunition, daneben eine Tasse in den ukrainischen Farben blau-gelb mit der Aufschrift "Tanke schön", ein Dankeschön aus der Ukraine. Die 27-Jährige bearbeitet Aufträge für Rüstungslieferungen in das Kriegsgebiet. Der Konflikt ist in der Hauptzentrale von Rheinmetall in Düsseldorf näher als man denkt.
Sie selbst hat in der Corona-Pandemie angefanten, im Unternehmen zu arbeiten. Damals ging es um die Beschaffung von Masken und Beatmungsgeräten. Jetzt, so sagt sie, ist es wie eine Wende um 180 Grad. Es gehe um den Einsatz von Waffen und Munition direkt im Gefecht.
Fast schon zu viel Aufmerksamkeit
Sie selbst habe das bisher nicht in einen Gewissenskonflikt gebracht, sagt Merz. Diskussionen mit anderen führe sie immer wieder. Aber sie spüre einen Wandel: "Früher ist mein Job nicht immer gut angekommen, weil die Rüstung lange Zeit in der Schmuddelecke der Industrie verortet war." Heute mit der Zeitenwende sei das anders. Jetzt bekomme sie fast schon zu viel Aufmerksamkeit.
Sie selbst gehöre zu einer Generation, die im Frieden in Europa geboren und aufgewachsen ist. "Aber jetzt befinden wir uns in Europa in einer Kriegssituation, in diesem Ausmaß zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Das ist für meine Generation völlig neu. Dass eine wehrhafte Demokratie verteidigt werden muss, ist bei uns Rheinmetallern präsenter denn je."
"Immer ein Mensch in der Verantwortung"
Nicht bei allen im Unternehmen ist die Kriegssituation so greifbar wie bei Julia Merz. Im Technologie Center von Rheinmetall sieht es aus wie in einem Start-up. An großen Bildschirmen forschen Jonas Felser und Robin Zatta an der Automatisierung von Systemen, am autonomen Fahren und an Robotik. All das, was das Ingenieur-Herz von Jonas Felser höher schlagen lässt, wie er gerne zugibt, und deswegen habe sich der 32-Jährige für den Job entschieden.
Doch auch Robin Zatta kennt die Gespräche mit Freunden und Bekannten und die kritischen Rückfragen. Er hat seine Vorstellungsgespräche mitten in der Phase des Kriegsbeginns geführt. Man müsse sich selbst kritisch hinterfragen, was man mache, sagt er. Und er habe seinen Schluss gezogen: "Natürlich agieren wir mit Waffen und Waffensystemen wie auch mit Technologien für den zivilen Bereich. Am Ende steht immer ein Mensch in der Verantwortung."
Bewerberzahlen mehr als verdoppelt
Viele junge Menschen haben offenbar ihr Interesse an der Rüstungsindustrie entdeckt. Im Recruiting-Center von Rheinmetall gingen allein im vergangenen Jahr 108.000 Bewerbungen ein. Im Jahr 2018 waren es noch 45.000. Für das Unternehmen kommt das steigende Interesse zur rechten Zeit. Rheinmetall wächst, die Auftragsbücher sind voll. Allein aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen erwartet das Unternehmen 38 Milliarden Euro für neue Aufträge.
Neue Produktionsstandorte werden aufgebaut wie derzeit in Weeze am Niederrhein, wo künftig Rumpfmittelteile für das Kampfflugzeug F-35 gebaut werden. Allein dafür sollen in den kommenden zwei Jahren 400 Stellen neu besetzt werden. Im Recruiting-Center in Düsseldorf werden ständig Vorstellungsgespräche geführt. Jeder der 50 Mitarbeiter hat im vergangenen Jahr rund 80 Stellen neu besetzt.
Rüstungsaktien verkaufen sich besser als früher
Aber auch auf dem Börsenparkett hat man die Berührungsängste mit der Rüstungsindustrie verloren, sagt Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance and Management. Waren früher Aktien von Rüstungsunternehmen in Fonds eine Seltenheit, gehören sie jetzt dazu.
Im März vergangenen Jahres ist Rheinmetall in den DAX aufgestiegen, und die Aktie ist im Aufwind. Das sei für die ganze Branche ein Signal. "Wenn Rüstung an der Börse funktioniert, heißt das, die Stimmung ist positiv, und insoweit dürfte man das auf alle Rüstungsbetriebe übertragen können."
Veränderte Wahrnehmung in vielen Bereichen
Entscheidend für diesen Imagewandel war wohl die ausgerufene Zeitenwende von Bundeskanzler Olaf Scholz. Und er hat es nicht bei einer Bundestagsrede belassen. Die Politik habe sich ganz anders zu der Rüstungsindustrie verhalten, als es in den Jahren zuvor der Fall gewesen sei, sagt Rheinmetall-Personalvorstand Peter Sebastian Krause. Noch im Februar war Scholz selbst beim Spatenstich für die neue Munitionsfabrik in Unterlüß in Niedersachsen.
"Der Bundeskanzler hat dort wörtlich formuliert: 'Sie arbeiten zum Wohl unseres Landes!'. Das ist eine Aussage, die uns enorm gut getan hat," so Krause. "Und ich glaube, das spricht Bände über die veränderte Wahrnehmung, die wir in der Öffentlichkeit erfahren." Tatsächlich schlage sich das direkt in Vorstellungsgesprächen nieder, so die jüngsten Erfahrungen. Die Kandidaten wären viel unbefangener, sich auf eine Stelle einzulassen.