Umbruch in der Industrie Autobranche vor unsicheren Zeiten
Die deutsche Autoindustrie steht vor dem größten Wandel ihrer Geschichte. Zulieferer wie Bosch und ZF Friedrichshafen haben schon Jobabbau angekündigt. Experten zufolge könnte die Transformation 2024 voll durchschlagen.
Wer einen einfachen Schraubendreher sucht oder einen Bohraufsatz für die heimische Bohrmaschine, ist bei der Werkzeugfabrik der Paul Horn GmbH in Tübingen wohl eher falsch. Die Firma, die mit Verzahnungsfräsen, Gewindewirbeln und Wälzschälsystemen wirbt, ist eher sowas wie der Baumarkt für die Industrie. Seit 1969 stellt Paul Horn Präzisions- und Spezialwerkzeuge her, häufig Sonderanfertigungen für ganz bestimmte Arbeitsschritte in der Fabrik.
Ihr wichtigster Kunde ist die Autoindustrie. Das Jahr 2023 wird Geschäftsführer Matthias Rommel nicht so schnell vergessen: "Das war ein Wahnsinnsjahr." Rommel meint das im Sinne von wahnsinnig turbulent. "Wir hatten in der Branche einen fulminanten Start mit einem sehr guten ersten Halbjahr."
Die vergangenen Monate dagegen seien beschwerlich gewesen. Es fehlte an Aufträgen, die Inflation machte sich auch in der Werkzeugfabrik bemerkbar. "Für mich war es ein Jahr der extremen, ungeplanten und teilweise chaotischen Kostensteigerungen", sagt Rommel.
Es geht um Zehntausende Arbeitsplätze
Die Stimmung im Autoland Deutschland ist getrübt: Während die deutschen Autobauer Volkswagen, Mercedes und BMW für Januar bis September 2023 Umsatzsteigerungen verkünden, die Auto-Exporte und -Neuzulassungen wieder steigen, klagen Zulieferer über Produktionsrückgange und streichen massenhaft Stellen im Automotive-Sektor.
"Es wird jetzt einfach spürbarer, was diese Transformation wirklich bedeutet", sagt der Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Die Ankündigung des weltweit größten Autozulieferers Bosch, der künftig 1.500 Stellen in den Bereichen Entwicklung, Verwaltung und Vertrieb einsparen will, überrascht den Experten nicht. Ebenso wenig die geplante Schließung eines ganzen Werks des Autozulieferers ZF Friedrichshafen.
"Wenn Elektromobilität an Bedeutung gewinnt, dann hat das Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der gesamten Branche", so Bratzel, der mit bis zu 160.000 Jobs rechnet, die durch die Transformation wegfallen. Diese Prognose aber sei nicht neu. "Die haben wir auch schon vor fünf Jahren gestellt." 2024, glaubt Bratzel, werde sich dieser Trend aber noch weiter verschärfen.
Autobauer müssen Kulturwandel lernen
Klassische Autobauer müssten sich viel mehr in Richtung Softwareunternehmen entwickeln, betont der Automobil-Professor aus Bergisch Gladbach: "Software wird ein wesentlicher Bestandteil der neuen Wertschöpfung sein. Die gesamte Unternehmenskultur muss sich dahingehend ändern. Und da tun sich die etablierten Autobauer enorm schwer."
Das liege zum einen daran, dass über viele Jahre zwei Geschäftsmodelle bedient werden mussten: Neben der Verbrennersparte die neue Elektromobilität. Zum anderen müssten große, etablierte Unternehmen wieder lernen, voranzugehen. "Ganz Deutschland befindet sich jetzt quasi in dieser Transformation. Jahrelang wurde die deutsche Automobilindustrie verfolgt, jetzt muss die Branche aber selbst wieder angreifen", so Bratzel.
Konkurrenz aus Asien
Die Konkurrenz lauere vor allem in Asien, ist sich der Branchenexperte sicher. Auch eine aktuelle Untersuchung der Unternehmensberatung Roland Berger mit der Investmentbank Lazard kommt zu dem Schluss, dass asiatische Hersteller und Zulieferer zu den Gewinnern im Markt gehören.
Sie profitieren demnach "von der Elektrifizierung des Antriebsstrangs sowie der Digitalisierung - Technologien, auf die sich Hersteller in Asien bereits länger konzentrieren und die dort stärker nachgefragt werden als in anderen Regionen", heißt es in der "Global Automotive Supplier Study". Die Autoren sind überzeugt, dass der Zulieferermarkt ein Wachstumsgeschäft bleibe, "jedoch mit anderen Komponenten, bei anderen Kunden und für andere Zulieferer als heute".
"Wir folgen unseren Kunden"
Auch die Werkzeugfabrik Paul Horn aus Tübingen beobachtet den Markt genau und investiert inzwischen verstärkt im Ausland, weil etwa die Produktion von Teilen für Autos mit Verbrennermotoren nach Osteuropa wandert. "Wir folgen unseren Kunden", sagt Geschäftsführer Rommel.
"Wir sind im Moment in Deutschland mit vielen Aufholprozessen beschäftigt", betont Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management. "Wenn wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren wieder erfolgreicher werden wollen, müssen wir wieder vor die Welle kommen."
Dafür müsse man fokussierter investieren. Gute Chancen sieht der Experte etwa beim Thema automatisiertes und autonomes Fahren. Hier seien deutsche Hersteller schon heute vorne mit dabei.
Bei der Werkzeugfabrik Paul Horn rechnet man mit einer angespannten Lage auch im Jahr 2024. Wenn der Umsatz nicht weiter sinkt, ist Geschäftsführer Matthias Rommel schon zufrieden. "Wir bleiben Zwangsoptimisten", so Rommel.