Ein Mitarbeiter des Kabelherstellers Lapp kontrolliert das Aufrollen eines Kabels
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Familienunternehmen Schmerzen im Rückgrat der Wirtschaft

Stand: 25.04.2024 09:02 Uhr

Familienunternehmen spielen für die deutsche Wirtschaft eine wichtige Rolle. Doch sie kämpfen mit Standort-Problemen - von Fachkräftemangel bis zu hohen Energiekosten. Kann der Kanzler helfen?

Wenn Marie-Christine Ostermann bei den Feierlichkeiten zum 75. Jubiläum ihres Verbandes "Die Familienunternehmer" in Wiesbaden auf Bundeskanzler Olaf Scholz trifft, könnten ihre Erwartungen kaum größer sein. "Auf den Kanzler kommt es jetzt an", betont die Verbandspräsidentin. "Von ihm erwarten wir jetzt, dass er Wirtschaftspolitik in dieser schwierigen Zeit, in der sich seine Regierung auch gerne streitet, zur Chefsache macht und Führung zeigt." In einer wirtschaftlich schwierigen Lage sei das für den deutschen Mittelstand dringend notwendig.

Die 46-Jährige ist selbst geschäftsführende Gesellschafterin beim Lebensmittelgroßhandel Rullko Großeinkauf in Hamm, der vor allem Seniorenheime, Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen mit Lebensmitteln aller Art beliefert. Ihr Familienunternehmen mit 200 Mitarbeitenden ist stolze 101 Jahre alt. Ostermann führt es bereits in vierter Generation. "Meine Urgroßmutter war für mich ein inspirierendes Vorbild, ich durfte sie als Kind noch kennenlernen", erzählt sie.

Durch die Corona-Pandemie hatte Rullko "extrem hohe Umsatzeinbußen", wie Ostermann sagt. Doch seitdem sei die Entwicklung positiv. Das Unternehmen musste kein Personal entlassen, im Gegenteil: "Wir haben seitdem die Anzahl unserer Ausbildungsplätze verdoppelt." Allerdings gebe es immer weniger qualifizierte Bewerber. Der Fachkräftemangel verschärfe sich für die Unternehmen generell immer weiter.

Kostendruck im internationalen Wettbewerb

Die meisten der 6.500 Mitglieder im Verband der Familienunternehmer bekommen die angespannte wirtschaftliche Lage noch deutlich stärker zu spüren. Der Grund dafür ist simpel: "Mein Unternehmen Rullko steht nicht im internationalen Wettbewerb. Wir konkurrieren also nur mit Unternehmen in Deutschland, die mit den gleichen Standortkosten konfrontiert sind wie wir", sagt Ostermann. "Die große Mehrheit unserer Mitglieder sagt, dass sie gerade in den letzten zwei Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat", so die Verbandspräsidentin. Die Produktionskosten, vor allem für Energie, sind de facto in anderen Ländern deutlich geringer.

In der jüngsten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zur industriellen Standortqualität liegt Deutschland im internationalen Vergleich von 45 Ländern bei den Kosten auf dem vorletzten Platz. "Dort, wo das Preisschild hängt, sind wir immer teurer geworden", sagt IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt. Diese Kosten müssten von den Unternehmen erst einmal erwirtschaftet werden. "Das fällt schwer. Das erklärt auch, warum wir, was Investitionen angeht, so langsam vorankommen." Gesamtwirtschaftlich befinde sich Deutschland seit 2019 in einer Stagnation. Es mangele an Wachstum und Investitionsfreude.

Frust und Zukunftsängste

Mit dem Haushaltsgerätehersteller Miele hat ein familiengeführtes Traditionsunternehmen im Februar beschlossen, die Produktion aller Haushaltswaschmaschinen ab 2027 nach Polen zu verlagern. "Natürlich ist das schade, wenn Unternehmen Standortentscheidungen gegen Deutschland treffen", sagt Familienunternehmerin Ostermann. "Wir sind hier am Standort verwurzelt und wollen auch hier bleiben. Aber wir können ja nicht von Luft und Liebe leben, genauso wenig wie von Patriotismus." Investitionen müssten sich wirtschaftlich rechnen. Und das tun sie aktuell nicht.

Die aktuelle Lage "stimmt mich besorgt, um nicht zu sagen traurig", sagt auch Rüdiger Behn vom Getränkegroßhändler und Spirituosenhersteller Behn, der in 90 Ländern bekannte Marken wie "Kleiner Feigling" vertreibt. "Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen und frage mich, ob es eigentlich gut ist, dass ich das Unternehmen bald meinem Sohn und meiner Nichte übergebe", so der 66-jährige Firmenchef.

Grund dafür sei auch die überbordende Bürokratie. "Das ist eine Situation, die ich so bisher noch nie erlebt habe. Was uns derzeit aus Brüssel, aber auch aus Berlin aufgetragen wird - von ESG-Berichterstattung bis zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz -, das ist nicht mehr beherrschbar." Auch Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaftet weist darauf hin, dass mittelständische Familienunternehmen noch stärker "unter den Bürokratielasten" litten als "die großen Unternehmen". 

"Das komplizierteste Steuerrecht von allen"

Aus der Sicht von Rüdiger Behn ist die Kernaufgabe der Politik jetzt, "sich von Gesetzen zu verabschieden" oder sie zumindest zu verschlanken. Deutschland habe etwa "das komplizierteste Steuerrecht von allen", auch die Finanzämter seien überfordert. Von Olaf Scholz wünscht er sich beim Festakt zum 75. Jubiläum des Verbands der Familienunternehmen im Wiesbadener Kurhaus, dass der Bundeskanzler ernst nehme, was die Unternehmer sagen. "Er muss dafür sorgen, dass diese vielen Restriktionen, die wir haben, entfesselt werden", appelliert Behn an Scholz.

Hohe Steuern und steigende Sozialabgaben belasteten den Mittelstand zusätzlich, kritisiert Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann. Sie hat drei Kernforderungen an den Bundeskanzler: eine Senkung der Unternehmenssteuer, eine marktwirtschaftlichere Energiepolitik und eine Reform der Sozialversicherung. Es brauche dringend Entlastungen. Immerhin erwirtschafteten die vielen Familienbetriebe "gemeinsam mit unseren Mitarbeitern nach wie vor Rekordsteuereinnahmen für den Standort Deutschland". Das werde aber nicht so bleiben, "wenn die Regierung nichts verbessert", so Ostermann.  

Ihre Enttäuschung über Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ist riesig. "Beim Wirtschaftsminister spüren wir aktuell nicht, dass er Wirtschaftsminister auch für uns ist, für den Mittelstand", kritisiert sie. Daher sei es umso wichtiger, dass der Verband der Familienunternehmer mit Kanzler Scholz sprechen könne. Er müsse nun dafür sorgen, dass seine Regierungskoalition die richtigen Entscheidungen treffe. "Wir hoffen wirklich auf den Kanzler", sagt Ostermann, "und dass er die Wirtschaftspolitik ernster nimmt als der Wirtschaftsminister".