Konzerne nach der Atomwende, Teil 4 Vattenfall - Hoffen auf den Wind
Im vierten Teil der tagesschau.de-Serie geht es um Vattenfall: Die Schweden wollen für die Einbußen nach der Atomwende entschädigt werden. Experten erwarten, dass sie Deutschland sogar irgendwann verlassen. Aber es gibt auch gute Nachrichten - aus der Nordsee.
Von Ulrich Czisla, NDR
Atomstrom hat Vattenfall in Deutschland schon seit Jahren nicht mehr produziert. Die beiden Meiler des schwedischen Unternehmens in Brunsbüttel und in Krümmel sind praktisch ohne Unterbrechung seit 2007 vom Netz. Beteiligt ist Vattenfall mit 67 Prozent an Brunsbüttel und 50 Prozent an Krümmel. Bei beiden Reaktoren ist das Unternehmen auch so genannter Betriebsführer. Dazu kommt noch eine 20-prozentige, finanzielle Partnerschaft mit E.ON am Atomkraftwerk Brokdorf.
Gewinn- und Umsatzeinbußen
Der abrupte Ausstieg aus der Kernenergie nach der Katastrophe von Fukushima bedeutet für Vattenfall zunächst einmal milliardenschwere Gewinneinbußen. Operativ fällt das Ergebnis allein im zweiten Quartal nach Vattenfall-Angaben um etwa 1,1 Milliarden Euro niedriger aus. Grund: Der Buchwert der zwei Reaktoren muss verringert und die Rückstellungen für den Abbau der Meiler erhöht werden.
Dazu kommt, dass auch der Umsatz von April bis Juni um fast 20 Prozent zurückgegangen ist. Ursache dafür sei vor allem der Verkauf des Höchstspannungsnetzes in den neuen Bundesländern und Hamburg im Mai 2010 an den belgischen Netzbetreiber Elia und einen australischen Strukturfonds - so das Unternehmen.
Noch keinen Personalabbau angekündigt
Weil betriebsbedingte Kündigungen durch eine Vereinbarung der Tarifpartner bis 2012 ausgeschlossen sind, hat Vattenfall - anders als Mitbewerber E.ON - bisher keinen massiven Stellenabbau bei seinen rund 20.600 Beschäftigten in Deutschland (Stand Ende 2010) bekannt gegeben. Danach - so ist aus dem Unternehmen zu hören - müsse voraussichtlich aber darüber gesprochen werden.
Bisher sind die Personalkosten je Mitarbeiter bei Vattenfall - verglichen mit den anderen drei großen Versorgern in Deutschland - am höchsten. Sie liegen zum Beispiel um knapp ein Drittel über denen von E.ON. Noch stärker als seine Mitbewerber wird Vattenfall in den kommenden Jahren an der Effizienzschraube drehen müssen.
Entschädigungen gefordert
Im Gespräch beklagt Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka vor allem die Richtungswechsel in der deutschen Energiepolitik. Sie machten es den großen Versorgern in Deutschland sehr schwer, ihre Investitionen langfristig zu planen. Auch deshalb fordert Vattenfall eine angemessene Entschädigung für die finanziellen Verluste durch den Atomausstieg: "Wir erwarten eine faire Behandlung und eine faire Entschädigung für unsere Verluste aufgrund der Regierungsentscheidung", erklärte Unternehmenschef Øystein Løseth im Juli.
Das Unternehmen erkenne den politischen Mehrheitswillen zum Kernenergieausstieg an, sagte der Manager. Man vertraue aber auch darauf, dass die deutsche Politik die volle Verantwortung für ihre Entscheidung übernehme. Vattenfall habe in den vergangenen Jahren rund 700 Millionen Euro in Krümmel und Brunsbüttel investiert.
Strompreiserhöhung kommt
Ob diese beanspruchten Entschädigungen jemals fließen werden, ist jedoch noch völlig unklar. Einstweilen denken alle Stromkonzerne - nicht nur Vattenfall - über höhere Preise nach. Ein Aufschlag von zehn Prozent wäre eigentlich nötig, ist aus dem schwedischen Konzern zu hören.
Am Markt durchzusetzen sind solche massiven Verteuerungen aber wohl nicht. Schon vor einigen Jahren musste Vattenfall den Verlust von rund 250.000 Kunden hinnehmen, als eine schlecht kommunizierte Preiserhöhung von acht Prozent für erhebliche Verstimmung sorgte. Diesen Fehler wird das Unternehmen nicht noch einmal machen, auch weil dafür die Wechselbereitschaft der Verbraucher mittlerweile zu hoch ist.
Deutschland-Engagement auf dem Prüfstand?
Sollte die Rendite für das in Deutschland eingesetzte Kapital nach den internen Konzernvorgaben dauerhaft zu niedrig bleiben - so wird spekuliert - ist es auch möglich, dass sich Vattenfall von seinem Deutschland-Engagement trennt. Der Energieexperte Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung hält das jedenfalls für möglich: "Vattenfall wird wahrscheinlich über kurz oder lang Deutschland den Rücken kehren."
In anderen Ländern handelt der Konzern bereits entsprechend und verkauft Unternehmensbeteiligungen. Unter anderem ging das Geschäft in Belgien für 157 Millionen Euro an das italienische Energieunternehmen Eni. In allen Ländern, in denen massive Investitionen nötig seien, um am Markt eine wichtige Rolle zu spielen, werde man sich von seinen Beteiligungen trennen, sagt Vattenfall Europe-Chef Hatakka. "Konzentration auf die Kernmärkte" heißt die Devise.
Probleme mit Moorburg und CCS
Aber auch in diesen Kernmärkten gibt es zurzeit einige Probleme. Noch immer verläuft der Ausbau des Kraftwerkes Moorburg bei Hamburg eher schleppend. Es soll laut Planung rund 90 Prozent des Strombedarfs der Hansestadt decken und zudem Ersatz für die stillgelegten AKW Krümmel und Brunsbüttel sein. Schwierigkeiten mit den Schweißnahtverbindungen der Kessel könnten die Kosten weiter in die Höhe treiben. Die Fertigstellung des Kohlekraftwerks verzögert sich nach dem letzten Stand noch einmal um mehrere Monate.
Und auch bei einem anderen Zukunftsprojekt der Schweden hakt es: Der Bundestag hat im Juli das seit Jahren umstrittene Gesetz zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid beschlossen. Zwar kann die Technik trotz des Widerstands zahlreicher Bürgerinitiativen probeweise eingesetzt werden - allerdings haben die Bundesländer umfangreiche Rechte, um das sogenannte CCS (Carbon Capture and Storage) auf ihrem Gebiet zu untersagen.
Dies Gesetz mache es Vattenfall auf Jahre hin unmöglich, seine Technologie in Deutschland voranzutreiben, kritisierte Vattenfall-Vorstand Europe Mining and Generation, Hartmuth Zeiß. Bisher gilt Vattenfall weltweit als Technologie-Führer für die unterirdische C02-Verpressung.
Es bleibt der Wind
Eine Erfolgsmeldung bleibt Vattenfall immerhin: Deutschlands erster Nordsee-Windpark "alpha ventus" produziert nach mehr als einem Jahr Laufzeit mehr Strom als erwartet. Das Gemeinschaft-Projekt von EWE, E.ON und Vattenfall war in den vergangenen Monaten an 98 Prozent aller Tage einsatzbereit.