Festivalbesucher feiern zum Abschluss des Wacken Open Air vor den Bühnen.
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Kosten von Musik-Events Welche Zukunft hat die Festival-Branche?

Stand: 17.08.2024 15:55 Uhr

Megastars geben riesige Konzerte - während kleinere Festivals Pleite gehen. Gleichzeitig drängen Finanzinvestoren auf den Markt. Was bedeutet das für die Musikbranche und Nachwuchsbands?

Von Melanie Böff, ARD-Finanzredaktion

In diesem Sommer gibt es wieder Konzerte der Superlative in vielen großen Städten Deutschlands - ob Beyoncé, Adele oder Taylor Swift. Die Auftritte lassen nicht nur bei den Megastars selbst die Kasse klingeln, sondern auch bei den Unternehmen vor Ort. Hotels, Geschäfte und Restaurants profitieren mit. Zusätzlich werden Jobs geschaffen rund um diese Veranstaltungen - man braucht verstärkt Menschen, die in der Security arbeiten, im Eventmanagement und auch für die Logistik und das Catering. 

Ähnliches gilt für viele Festivals in Deutschland. Und da ist aktuell Hochsaison. Häufig sind es Zehntausende Besucherinnen und Besucher, die auf die Festivalgelände strömen.  

Gleichzeitig ist in der Branche selbst von einem Festivalsterben die Rede. Nicolas Ruth von der Hochschule für Musik und Theater in München sagt, vor allem kleinere Festivals hätten es schwieriger, ihre Fangemeinschaft an sich zu binden, weil sie noch keine so große Marke seien. Aber sie seien eine wichtige Kraft in der Musikszene. 

Weil Nachwuchsbands, Musikerinnen und Musiker angewiesen sind auf diese kleinen Festivals, die häufig ehrenamtlich organisiert sind und mit Freiwilligen durchgeführt werden - und jungen Artists eine Plattform bieten. Wenn das wegfällt, ist das sehr schade.“ 
Nicolas Ruth, Hochschule für Musik und Theater in München

Wer allerdings schon mehrere Hundert Euro für ein Konzert oder Festival ausgegeben hat, gibt im Zweifel nicht noch mehr Geld für weitere Konzerte aus. Zumal aktuelle Konsumzahlen in Deutschland nach wie vor zeigen, dass die Menschen ihr Geld eher zusammenhalten und genau darauf achten, was sie sich leisten.  

Fristen also weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler auch bei den Einnahmen für ihre Auftritte in ein Schattendasein? "Ich glaube, es hat aber auch einen positiven Faktor, weil diese ganzen Megakonzerte die Aufmerksamkeit erhöhen für die Live-Musikbranche", sagt Experte Ruth. 

Konkurrenz mit Mega-Events

Durch Social Media bekomme man zusätzlich Einblicke in diese Konzerte und Festivals, auch hinter die Kulissen. "Viele Menschen sind auch auf Konzerte von Taylor Swift gegangen, die vorher vielleicht gar nicht so große Konzertgänger waren. Und die erleben dann, was das für ein tolles Event sein kann, und denken sich: Ach, ich könnte mal wieder mehr auf Kulturveranstaltungen gehen."   

Künstlerinnen und Künstler, die noch am Anfang ihrer Karriere stünden, hätten es trotzdem schwer, mit solchen Mega-Events zu konkurrieren. Da müsse man kreativ werden, etwa Konzerte in kleineren Clubs umsetzen. 

Kleinere Festivals sterben aus

Kreativität reicht aber offenbar nicht immer. Denn von den kleineren Festivals geben einige auf. Das TabulaRaaza etwa in der Nähe von Oldenburg musste bereits vergangenes Jahr Insolvenz anmelden. Das Melt-Festival in Sachsen-Anhalt hat nach 27 Jahren zum letzten Mal stattgefunden. Und auch beim HipHop-Open in Stuttgart sollte im August zum letzten Mal gefeiert werden - aber dann kam Anfang Juli die Nachricht, dass es dazu schon gar nicht mehr kommen werde.  

Die Gründe sind vielfältig. Einerseits sparen viele in Zeiten von generell hohen Preisen. Der Veranstalter des HipHop-Open schrieb in einem Social-Media-Post, dass die wirtschaftliche Lage und die Situation auf dem Festivalmarkt dazu geführt hätten, dass insgesamt zu wenig Tickets verkauft wurden. 

Begehrlichkeiten wachsen für Finanzinvestoren

Dazu kommt: Die Kosten der Veranstalter sind gestiegen, und die lassen sich nicht unbegrenzt an die Festivalbesucher weitergeben. Aber hohe Ticketpreise sind nicht generell ein Faktor, der die Leute abschreckt. Im Gegenteil, es kommt auf das Angebot an. Große Marken, wie Rock am Ring oder das Wacken Open Air sind trotz Ticketpreisen von mehreren Hundert Euro immer noch Besuchermagnete. "Die wissen genau, was die Fans wollen und gehen darauf ein", so Ruth. 

Und das haben längst auch Finanzinvestoren gemerkt. Kürzlich kaufte der US-Investor KKR den Veranstalter Superstruct, der wiederum die meisten Anteile am Wacken Open Air hält. Für Investoren biete das Live-Musik-Geschäft viele Einnahmequellen, erklärt Konzertexperte Ruth: "Weil es sich ja nicht nur auf die Ticketpreise beschränkt, sondern eben auch Merchandising, Sponsoring und exklusive Partnerschaften ermöglicht."

Dabei bleibt es nicht. Schon länger kann man in der Branche beobachten, dass große Player wie Eventim und Livenation an der ganzen Wertschöpfungskette partizipieren wollen - also nicht mehr nur Tickets vertreiben, sondern auch Konzerthallen gleich selbst bauen. Dadurch haben die Veranstalter mehr Kostenkontrolle, können aber auch ihre eigene Qualität sichern.

Aber für Künstler und Künstlerinnen befürchte ich, dass da eine größere Abhängigkeit entsteht, weil eben viele Artists und auch Veranstalter nicht die Möglichkeit haben, in diese großen, selbstgebauten Konzerthallen reinzukommen.“ 
Nicolas Ruth, Hochschule für Musik und Theater in München

Die Musik- und Eventbranche wandelt sich. Auch beim Thema Nachhaltigkeit wächst der Druck auf Veranstalter. Großveranstaltungen haben oft eine schlechte Klimabilanz.

Wirtschaftlich und nachhaltig - geht das?

Es gibt an vielen Stellen in Deutschland schon Versuche, Festivals klimafreundlicher zu machen. In Hamburg zum Beispiel gab es dieses Jahr ein Open-Air-Festival, das möglichst klimaschonend und komplett energieautark ablaufen sollte. Das heißt: Der Strom sollte vollständig auf dem Festival-Gelände erzeugt werden - durch Solarenergie, "grünen" Wasserstoff und Muskelkraft. Fans strampelten auf Fahrrädern, um einen Teil des Stroms zu produzieren. Mitgesponsort wurde dieses Festival aber auch von der Hamburger Umweltbehörde. Wie kann es also umweltfreundlicher ablaufen und dabei wirtschaftlich bleiben? 

Sarah Lüngen von der Agentur The Changency arbeitet daran, die Musikindustrie in Deutschland nachhaltiger zu gestalten: "Nachhaltigkeit muss einfach attraktiver gemacht werden, weil wenn Dinge teurer, anstrengender oder komplizierter sind, dann funktioniert es leider nicht."  

Sie warnt aber auch davor, dass Tickets perspektivisch noch viel teurer werden könnten, wenn Nachhaltigkeit nicht in den Fokus rücke. "Wir sehen ja jetzt schon, dass viele Festivals abgebrochen werden aufgrund von Unwettern, von Waldbränden, und das verursacht extreme Kosten, die natürlich auf die Tickets umgelagert werden." Sie empfiehlt Veranstaltern, 50 Cent bis einen Euro pro Ticket für das eigene Nachhaltigkeitsbudget einzuplanen und eigene Maßnahmen umzusetzen.  

Anreise verursacht viele Emissionen

Auf großen Festivals gibt es häufig schon "Green-Camping"-Bereiche, in denen mehr recycelt und auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Trotzdem sieht man nach vielen Sommerfestivals immer noch verwüstete Areale - zerrissene Zelte, Stühle und Grills sind überall verteilt, genau wie Dosen und einer Menge Müll.

Das ist allerdings nur der offensichtliche Teil, weiß Lüngen, es gehe um mehr: Energie, Mobilität und Ernährung sind auch wichtige Themen. Vor allem die Anreise der Fans mache den Unterschied, Mobilität könne 60 bis 90 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen.

Anreize, mehr auf Nachhaltigkeit zu achten, könnten ganz verschieden aussehen, so die Expertin: "Beispielsweise könnte man sagen, man zeichnet das klimafreundlichste Gericht, also pflanzenbasierte Gericht aus, bietet das vielleicht günstiger an, oder man belohnt eine nachhaltige Anreise. Also wer mit der Bahn kommt, darf früher aufs Gelände oder bekommt Rabatte beim Merchandise."  

Zusammen mitsingen, tanzen und feiern - darauf können sich Fangemeinde und Veranstaltungsbranche wohl leicht einigen. Hohe Ticketpreise, hohe Kosten für die Konzert- und Festivalmacher und der Kampf ums Rampenlicht zwischen den Megastars der Welt und eher unbekannteren lokalen Bands und Festivals - all das bleiben Herausforderungen für die Veranstaltungsbranche. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 20. Juni 2023 um 16:37 Uhr.