Rentensysteme in Europa im Vergleich Große Unterschiede, ähnliches Risiko
Auf den ersten Blick sind die Rentensysteme in der EU sehr unterschiedlich. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Die hohe Alterungsrate wird zur Herausforderung für alle Staaten.
Farid Borsali ist auf dem Weg ins Gewerkschaftscafé "Café des Syndicats". Er ist 56 Jahre alt und arbeitet in einer Peugeot-Fabrik bei Paris. Hier treffen sich die Kollegen, um zu den Demonstrationen gegen die französische Rentenreform aufzubrechen. "Wir machen Schichtarbeit, wir arbeiten in der Nacht. Unmöglich, dass wir bis 64 arbeiten", sagt Farid. Er ist engagierter Gewerkschafter. Mit ihm werden an diesem Tag mehr als eine Million Franzosen auf die Straße gehen.
Arbeiten bis 64 statt 62, das sieht die Rentenreform vor, die die Gewerkschaften auf gar keinen Fall hinnehmen wollen. In Deutschland wird das Renteneintrittsalter allerdings gerade bis auf 67 angehoben. Und für die Franzosen ist schon 64 unvorstellbar? Was für die Franzosen ein Albtraum ist, dürfte für Deutsche ein Wunschtraum sein, auf den ersten Blick. Aber: Wo steht Deutschland eigentlich im europäischen Vergleich?
Sehr unterschiedliche Systeme
Die Systeme seien sehr unterschiedlich, meint Rentenexpertin Monika Queisser von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Eines aber ist fast überall gleich: "Erstens sind die Geburtenraten gefallen und zweitens erhöht sich die Lebenserwartung. Und jetzt muss man sehen, wie man diese zusätzliche Belastung eben so auf die Schultern verteilen kann, dass man nicht nur die Jungen belastet. Aber das muss eben finanziert werden."
Ein europäischer Rentenvergleich hat manche Tücken. Viele Vergleiche hinken, dennoch hier ein grober Überblick. Drei Kriterien sind besonders entscheidend: die öfentlichen Ausgaben, also wie teuer ist ein System? Zudem ist wichtig, wie viel Rente man überhaupt bekommt. Und schließlich: Ab wann kann man in Rente gehen?
Niederländer arbeiten mit am längsten
Mit am längsten arbeiten die Niederländer, die gesetzliche Rente beginnt erst mit etwa 66 Jahren. Dennoch hören die meisten schon früher auf, mit etwa 63. Auch Deutsche gehen derzeit mit etwa 63 in Rente. Die gesetzliche Frist liegt aktuell bei fast 64, wird aber jedes Jahr höher. Italiener gehen im Schnitt mit fast 62 Jahren in Rente, die Griechen mit knapp 60, die Franzosen mit knapp 61.
Aber Achtung: Besondere Branchen- oder Tarifverträge können davon gravierend abweichen. Der tatsächliche und übliche Renteneintritt liegt aber gar nicht so weit auseinander. Und: Einige Länder erhöhen das Eintrittsalter in den kommenden Jahren. In Frankreich ist es noch relativ niedrig, aber auch dort müsse man schon knapp 42 Jahre Beiträge gezahlt haben, um mit 62 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen zu können, so Queisser.
Wie viel Prozent bekommen man vom letzten Netto?
Aber wie viel bekommen Rentner überhaupt im europäischen Vergleich? Die OECD-Forscher vergleichen dafür die sogenannte "Nettoersatzrate", also: Wie viel Prozent bekommen man vom letzten Netto? Niederländer können mit 89 Prozent ihres letzten Nettogehaltes rechnen. Griechen mit 84, Italiener mit 82. Franzosen immerhin mit 74 Prozent. Deutsche Rentner können nur mit etwas mehr als der Hälfte rechnen. Die Litauer bekommen noch weniger.
Monika Queisser meint: "Wenn man das Kriterium 'beste Rente' zugrunde legt, dann gibt es sicherlich einige südeuropäische Länder, die immer noch relativ hohe Ersatzraten versprechen." Genau jene Länder aber geben im Vergleich auch einen deutlich größeren Teil ihrer Wirtschaftsleistung für die Renten aus. Geld, das woanders fehlt.
Italien und Griechenland geben fast 16 Prozent der Wirtschaftsleistung für Renten aus, Frankreich 13,4 und Deutschland 10,4. Dagegen geben die Niederlande gerade einmal fünf und die Iren nur gut drei Prozent aus. Trotzdem bekommt jeder, der seit seinem 15. Lebensjahr in den Niederlanden wohnt oder arbeitet, eine Mindestrente von 1218 Euro. Viele Branchen sind verpflichtet zudem Betriebsrenten anzubieten. Allerdings wird die Altersgrenze auch in den Niederlanden immer weiter angehoben.
Hohe Alterungsrate in Deutschland
Gemischte Systeme mit mehreren betrieblichen und privaten Finanzierungssäulen wie in den Niederlanden gibt es auch in Dänemark oder Schweden und funktionieren gut, findet Queisser. Und auch das deutsche System sei nicht schlecht, "aber Deutschland sieht sich eben jetzt schon mit einer starken Alterung konfrontiert".
In Frankreich sei das lange etwas anders gewesen, die Not zur Reform nicht ganz so groß. Aber die Lage hat sich geändert. Farid und mehr als eine Million Demonstranten wollen dennoch nicht später aufhören zu arbeiten. "Zwei Jahre mehr arbeiten heißt zwei Jahre weniger Leben", ruft Farid während der Demonstration. Frankreich wird sich noch auf größere Proteste einstellen müssen.