Praktiken der 1N Telecom GmbH Tausende Beschwerden bei Verbraucherzentralen
Zahlreiche Verbraucher haben irrtümlich einen Vertrag mit der Telekommunikationsfirma 1N Telecom abgeschlossen. Trotz Widerrufen erhalten sie Rechnungen und Mahnungen. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Bei Berthold Frei aus Weil am Rhein fing alles mit einem Brief an. Darin ein Angebot für einen 24-Monats-Vertrag für einen DSL- und Telefonanschluss - günstiger als sein bisheriger Tarif. Für den 75-Jährigen ein verlockendes Angebot. Er war bisher Kunde der Deutschen Telekom und geht davon aus, dass es sich um ein Angebot dieses Unternehmens handelt, dort in einen anderen Tarif zu wechseln.
Erst Wochen später, als ihm die Deutsche Telekom mitteilt, ihr liege ein Wechselwunsch vor, wird ihm klar: Er hat keinen Tarifwechsel veranlasst, sondern einen neuen Vertrag abgeschlossen: mit der 1N Telecom GmbH. Den möchte er rückgängig machen, versucht, das Unternehmen telefonisch zu erreichen. Doch vergebens, niemand sei zu erreichen gewesen, berichtet er.
Mahnungen trotz Widerrufs
Berthold Frei lässt nicht locker. Per Einschreiben schickt er einen Widerruf. Doch kurz darauf seien seine neuen Internet- und Telefonzugangsdaten gekommen. Mit diesen habe er weder telefonieren noch das Internet nutzen können. Dennoch schickt ihm die 1N Telecom GmbH Rechnungen; in der Folge sogar Mahnungen. Inzwischen hat das Unternehmen ein Inkassoverfahren eingeleitet.
Bei den Verbraucherzentralen haben sich bundesweit mehr als 11.000 Betroffene gemeldet. Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale in Stuttgart erhält fast täglich Kenntnis von neuen Fällen. Während anfangs vor allem ältere Personen ungefragt angeschrieben wurden, die Kunden der Deutschen Telekom sind, bekämen mittlerweile sogar Minderjährige Zahlungsaufforderungen, so Buttler.
Versuchen die unfreiwilligen Kunden, vom Vertrag zurückzutreten, fordert die 1N Telecom GmbH Schadensersatz. Meist 419,88 Euro. Inzwischen bereitet der Bundesverband der Verbrauchzentralen eine Sammelklage gegen die 1N Telecom GmbH vor. Anwalt Benjamin Stillner vertritt die Verbraucherschützer vor Gericht. Der Experte für gewerblichen Rechtsschutz geht unter anderem gegen die Schadensersatzklausel und die Inkassotätigkeit vor. Eine Entscheidung steht noch aus.
Bundesnetzagentur stoppt Wechsel
Auch die Bundesnetzagentur reagiert. Im vergangenen Jahr hat sie rund 15.000 Wechsel von Verbrauchern zur 1N Telecom GmbH vorläufig gestoppt. Das Verwaltungsgericht Köln hat diese Maßnahme für rechtens erklärt. In dem Beschluss heißt es: "Es bestehen (…) genügend Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei der Antragstellerin [1N Telecom GmbH] organisatorische Defizite bei der Verarbeitung von Widerrufen und Anfechtungen bestanden."
Weil Betroffene wegen des nicht funktionierenden Telefonanschlusses über eine längere Zeit keine Notrufe hätten absetzen können, sieht das Gericht zudem eine erhebliche Gefahr für Gesundheit und Leben. Schwere Vorwürfe - was sagt die Firma selbst dazu? Per Telefon landen Anrufer in einer Dauerschleife. Auf schriftliche Anfragen reagiert das Unternehmen nicht.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Mittlerweile ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen des Geschäftsgebarens der 1N Telecom GmbH. Der Behörde liegen Strafanzeigen aus dem gesamten Bundesgebiet vor.
Was können Betroffene tun, die einen Vertrag von der 1N Telecom GmbH unterschrieben haben, aber nie zu dem Anbieter wechseln wollten? Verbraucherschützer Buttler rät, den Vertrag innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen, am besten per Einschreiben. Denn die 1N Telecom GmbH behauptet in fast allen Fällen, keine Post erhalten zu haben, so der Verbraucherschützer. Auch Berthold Frei hat Widerspruch eingelegt, den Forderungen der 1N Telecom GmbH und der Inkassofirma widersprochen. Das Unternehmen besteht allerdings weiter auf seinen Forderungen.