Wohnungsbau tief in der Krise "Das ist sozialer Sprengstoff"
Die Wohnungsbaubranche ist weiter auf Talfahrt - und das, obwohl der Mangel immer größer wird. Experten und Verbändevertreter warnen vor den wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen.
Ralf Stockschläder geht über den Hof seines Baustoffbetriebes JASTO im Norden von Rheinland-Pfalz. Bis Ende 2022 wurden in seinem Betrieb fast den ganzen Tag über Pflaster- und Betonsteine für Ein- und Zweifamilienhäuser produziert, erzählt der Firmenchef. "Der Betrieb war jahrelang voll ausgelastet, weil der Bau boomte. Seit Anfang 2023 ist unsere Produktion um 80 Prozent eingebrochen. Wir sind ein Krisenbarometer für die ganze Branche", erklärt Stockschläder. Seit fast 30 Jahren führt er die Firma, aber er sagt: "So einen schnellen und massiven Einbruch habe ich noch nie erlebt."
Stockschläder musste damals - im Frühjahr des vergangenen Jahres - schnell handeln, um seine Mitarbeiter zu halten. Die Produktion der Steine musste reduziert werden - von drei Schichten auf nur noch eine. Die Angestellten sind seitdem im Bereich Gartenbau tätig, einer weiteren Sparte von JASTO. "Im Gartenbau investieren unsere Privatkunden bis zu 30.000 Euro aus ihren Ersparnissen. Das läuft gut. Fast niemand will noch hohe Kredite für einen Hausbau aufnehmen. Die Leute sind zutiefst verunsichert", so der 57-jährige Firmenchef.
Hauptgrund sei die Politik der Bundesregierung. "Gesetze werden plötzlich geändert, Förderprogramme gestrichen oder viel zu knapp bemessen", so Stockschläder. Durch immer neue Auflagen und Bürokratie sei der Neubau von Ein- und Mehrfamilienhäusern im Ergebnis praktisch unbezahlbar. "Die Firma kann über den Gartenbau die Krise überbrücken. So halten wir auch unser Fachpersonal. Eine nennenswerte Zahl von neuem Wohnraum in Deutschland sehe ich erstmal nicht", zieht Stockschläder eine ernüchternde Bilanz. Die Rahmenbedingungen seien einfach zu schlecht.
Baubranche ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor
Die Einschätzungen aus der Praxis werden von einer neuen Studie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) untermauert. Die Wissenschaftler haben die Analyse für den Deutschen Wohnungsbautag erstellt. Der Titel: "Die Wirtschaftskraft hinter dem Wohnungsbau". Danach ist dieser Bereich seit 2021 rückläufig. Für dieses Jahr errechnet das DIW sogar einen drastischen Einbruch von 5,4 Prozent.
Die Krise am Bau werde daher auch Folgen für Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik insgesamt haben, denn die Bauwirtschaft habe ein ähnliches volkswirtschaftliches Gewicht wie die Automobilbranche. Im vergangenen Jahr hatte die Baubranche noch knapp 537 Milliarden Euro erwirtschaftet. Etwa jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland stehe mit der Wohnungsbaubranche in Verbindung. Auch die Folgen für die Steuern seien enorm: Kommt es zu dem erwarteten Einbruch, würde das für den Staat gegenüber dem Vorjahr ein dickes Minus von fast fünf Milliarden Euro bei den Steuereinnahmen bedeuten.
Ökologische und soziale Bedeutung der Branche
Die Studie beleuchtet auch die ökologische Verantwortung der Branche in Bezug auf das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045. Der Baubereich nehme hier eine Schlüsselrolle ein. Nötig seien umfassende Sanierungen wie bessere Energienutzung, Dämmung, Gebäudesteuerung sowie den Wechsel zu emissionsfreien Energieträgern wie etwa Photovoltaik. Laut Prognosen sei hierfür eine jährliche Sanierungsrate von mindestens 1,8 Prozent des Wohnungsbestandes notwendig - ein Niveau, das in den vergangenen Jahren nicht erreicht wurde und auch absehbar nicht zu schaffen sei.
Auch soziale Fragen behandelt die Studie. Als Folge des Einbruchs beim Wohnungsbau würden die Mieten weiter steigen. Jeder sechste Mieterhaushalt (3,1 Millionen) zahle schon jetzt mehr als 40 Prozent nur für die Bruttokaltmiete: Die Hälfte davon müsste sogar 50 Prozent oder mehr fürs Wohnen ausgeben. Die steigenden Nebenkosten wie Heizen und Energie kämen noch hinzu. Da auch in den kommenden Jahren die Bevölkerungszahl in Deutschland zunehmen werde, sei von einer weiteren Verschärfung auszugehen.
Das DIW kommt zu einem alarmierenden Ergebnis: "Setzt sich dieser Trend fort, wird der Wohnungsbau seiner sozial ausgleichenden Funktion in der Zukunft nur ungenügend nachkommen können." Derzeit liegt der Bedarf in der Bundesrepublik bei mehr als 800.000 Wohnungen. So das Ergebnis einer weiteren Studie, die das Bauforschungsinstitut ARGE auf dem Wohnungsbautag vorlegt.
Wohnungsmangel bedeutet Fachkräftemangel
Robert Feiger ist Bundesvorsitzender der IG Bau. Die Industriegewerkschaft gehört dem Verbändebündnis an, das den Wohnungsbautag veranstaltet. Feiger sorgt sich auch um die langfristigen Folgen für den Arbeitsmarkt: "Wir haben Fachkräftemangel und brauchen also Arbeitskräfte. Aber die kommen nur, wenn sie eine Wohnung finden, die sie sich auch leisten können. Und daran scheitert im Moment alles", so der Gewerkschaftschef. "Egal, ob Fachkräfte aus Deutschland oder Zuwanderer aus dem Ausland: Wer in den Großstädten und Ballungsräumen arbeiten will, hat kaum eine Chance auf eine bezahlbare Wohnung."
Als Hauptgrund für die Krise nennt der IG-Bau-Boss einen enormen Preisanstieg in den vergangenen vier Jahren. Seitdem seien die Kosten um 42 Prozent gestiegen. Preistreiber sei vor allem die Technik in den Gebäuden: Heizung, Lüftung, Sanitär- und Elektrotechnik. Die gesetzlichen Standards müssten daher gesenkt werden, damit einfacher gebaut werden könne.
Das allein werde aber nicht reichen. "Der Wohnungsbau braucht insgesamt 23 Milliarden Euro Sofort-Förderung pro Jahr - nämlich 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen. Und zusätzlich acht Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen", so Feiger und bezieht sich dabei auf die Studie des Bauforschungsinstitutes ARGE. Der Mangel sei groß: Bereits jetzt lebten 9,3 Millionen Menschen in Deutschland in überbelegten Wohnungen. Besonders betroffen seien Menschen mit geringem Einkommen, Alleinerziehende, Singles und Rentner. Der Gewerkschaftschef spricht von einer Spaltung der Gesellschaft und mahnt die Politik: "Das ist sozialer Sprengstoff."