Machtkampf bei VW "Winterkorn bleibt beschädigt"
Auf den ersten Blick scheint VW-Chef Winterkorn einen Triumph im Machtkampf errungen zu haben. Doch der Automobil-Experte Seeba warnt im tagesschau.de-Interview: Die Entscheidung könnte selbst bei einer Vertragsverlängerung nur vertagt sein - das gab es bei VW schon einmal.
tagesschau.de: Winterkorn darf VW-Chef bleiben - ist das ein Sieg auf ganzer Linie?
Hans-Gerhard Seeba: Die Entscheidung des Aufsichtsrats ist auf den ersten Blick eine Überraschung und man könnte meinen, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende Piëch nicht durchsetzen konnte. Andererseits sind die Verträge von Vorstandsvorsitzenden bei VW auch in der Vergangenheit verlängert worden, waren aber mit einem vorzeitigen Rücktritt verbunden. Insofern kann man jetzt noch keine abschließende Bewertung des Machtkampfs treffen.
tagesschau.de: Sie spielen auf den Fall Pischetsrieder an.
Seeba: Pischetsrieders Vertrag wurde im Frühjahr 2006 trotz eines öffentlichen Streits um ihn vorzeitig um fünf Jahre verlängert. Ende 2006 wurde sein vorzeitiges Ausscheiden bekannt gegeben. Aber Pischetsrieder fiel nicht tief - seine Bezüge liefen bis Vertragsende weiter. Deswegen kann man Piëch auch nicht vorwerfen, dass er sein Führungspersonal brutal abserviert.
tagesschau.de: Winterkorn werden in der Erklärung des Aufsichtsrats prächtige Kränze gewunden. Kann man jemanden, den man so lobt, nach kurzer Zeit doch vor die Tür setzen?
Seeba: Möglicherweise hat angesichts der unterschiedlichen Interessen im Aufsichtsrat die Zeit nicht gereicht, um bis zur Hauptversammlung im Mai eine Entscheidung herbeizuführen. Deshalb musste vermutlich auch nur der Anschein einer Führungslosigkeit bei Volkswagen vermieden werden. Hätte man Winterkorn nur halbherzig das Vertrauen ausgesprochen, wäre seine Autorität auch im engeren Führungszirkel beschädigt gewesen. Wenn eine Entscheidung gegen Winterkorn nicht möglich war, musste eine sehr klare Entscheidung für ihn fallen.
Komplexe Entscheidungsprozesse
tagesschau.de: Welche Lager stehen sich denn im Aufsichtsrat gegenüber?
Seeba: Es gibt fünf Fraktionen: Auf der Kapitalseite stehen im Wesentlichen die Eigentümerfamilien Piëch und Porsche und das Land Katar. Durch die VW-Satzung hat auch das Land Niedersachsen zwei Sitze und eine Sperrminorität in der Hauptversammlung. Und dann sind natürlich paritätisch die Arbeitnehmer vertreten. Diese Vielzahl an Interessengruppen macht die Entscheidungsfindung nicht sehr einfach.
tagesschau.de: Und Entscheidungen müssen reichlich getroffen werden, denn schließlich steht der Konzern vor erheblichen Problemen.
Seeba: In der Summe sind die Ergebnisse des Konzerns sehr gut - sowohl was den Absatz, Umsatz und Gewinn als auch die Zahl der Arbeitsplätze und die Investitionen anbelangt. Hier hat sich der Konzern in der Amtszeit von Winterkorn herausragend entwickelt. Aber: Die Rentabilität der Kernmarke VW ist - fast schon traditionell - unbefriedigend. Die Frage ist auch, ob VW als Marke richtig positioniert ist. Die einen meinen, Volkswagen müsste eine Marke sein, für die Kunden einen Premium-Preisaufschlag zahlen. Andere meinen, Volkswagen müsste sich wesentlich preisgünstiger positionieren. Dieser Streit ist ungeklärt.
tagesschau.de: Auch das US-Geschäft verläuft unbefriedigend.
Seeba: Der US-Markt boomt, insbesondere der Markt für leichte Nutzfahrzeuge wie Pick-Ups und SUVs. Dieser Boom geht an VW weitgehend vorbei, weil es erst 2016 einen eigenen Pick-Up auf den Markt bringt. Auch im Niedrigpreissegment, das in den wachsenden Märkten wie Südostasien wichtig ist, hat VW es nicht geschafft, ein entsprechendes Fahrzeug anzubieten. Hoffnungen auf eine Partnerschaft mit Suzuki haben sich zerschlagen.
Zu groß für rasches Handeln
tagesschau.de: Spielt da auch die Größe des Konzerns eine Rolle?
Seeba: Jedenfalls reagiert VW als größtes Unternehmen Deutschlands immer recht langsam und nicht so schnell wie ein mittelständisches Unternehmen. Und die Führungsstrukturen, die sehr zentralistisch sind, fördern das. Sämtliche Produktentscheidungen werden durch den Vorstand getroffen. Möglicherweise kann man sich das in dem schnellen, globalisierten Geschäft gar nicht mehr erlauben.
tagesschau.de: Der Betriebsrat hat sich sehr schnell hinter Winterkorn gestellt. Stärkt das seine Position in den anstehenden Veränderungsprozessen?
Seeba: Möglicherweise fühlte sich der Betriebsrat durch den Piëch-Vorstoß düpiert und befürchtete, mit einer Zustimmung zu einer schnellen Ablösung das Gesicht zu verlieren. Außerdem ist der Betriebsrat zufrieden mit Winterkorn, denn die Zahl der Arbeitsplätze und die Entlohnung steigt.
tagesschau.de: Die Familie Porsche hat Winterkorn gestützt - für wie tief halten sie den Riss im Aufsichtsrat?
Seeba: Die Familie Porsche fühlte sich offenbar durch die Piëch-Äußerung übergangen. Sie hat deshalb die Einlassung Piëchs als dessen Privatmeinung bezeichnet - aber nicht, dass sie falsch wäre.
Schaden für Piëch überschaubar
tagesschau.de: Wie steht Piëch selbst dar? Beschädigt ihn die Entwicklung?
Seeba: Auf den ersten Blick könnte man meinen, er habe eine krachende Niederlage erlitten. Aber er ist weiter im Amt. Er kann VW weiterhin personell und inhaltlich neu ausrichten. Eine Niederlage wäre es gewesen, wenn er sich gezwungen gesehen hätte, den Vorsitz niederzulegen.
tagesschau.de: Trotzdem fragt man sich, wie Aufsichtsratschef und Vorstandsvorsitzender weiter miteinander zusammenarbeiten werden.
Seeba: In den Führungsgremien geht es ohnehin kühl und sachlich zu, und man bemüht sich, Persönliches und Geschäftlich-Berufliches zu trennen. Nach außen hin wird die Fassade gewahrt.
Wer folgt Piëch nach?
tagesschau.de: Piëch ist nicht mehr der Jüngste und wird in absehbarer Zeit den Aufsichtsratsvorsitz abgeben. Winterkorn wird er kaum als Nachfolger sehen, ein anderer steht derzeit nicht bereit. Eine weitere Baustelle im Konzern?
Seeba: Piëch selbst will, dass seine Nachfolge bis 2017 geregelt ist. Bislang galt als ausgemacht, dass er an Winterkorn übergibt. Beim heutigen Statement geht es aber nur um eine mögliche Verlängerung des Vertrags als Vorstandsvorsitzender. Diese Frage bleibt also offen und kann damit weiter so geregelt werden, wie es sich Piëch vorstellt. Möglicherweise kam es ihm genau darauf an.
tagesschau.de: Wie handlungsfähig ist Winterkorn nun?
Seeba: Winterkorn war lange Zeit sehr führungsstark. Er wird, wesensbedingt, eine hohe Motivation haben, das Beste für den Konzern zu erreichen. Auf seine engere Führungsmannschaft kann er sich stützen, auf den Rückhalt der Arbeitnehmerschaft bauen. Das verschafft ihm für eine gewisse Zeit Handlungsfreiheit. Aber er ist beschädigt.
tagesschau.de: War es ein guter Tag für VW oder ein schlechter Tag?
Seeba: Es war ein interessanter Tag für Volkswagen. Er bedeutet Zeitgewinn, um die offenkundig vorhandenen Führungsprobleme lösen zu können.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de