Gespräche mit dem Kreml Kauft Indien billiges Öl aus Russland?
Während westliche Länder nach Alternativen zum russischen Öl suchen, wählt Indien einen anderen Weg. Der südasiatische Staat will offenbar ein Dumping-Angebot aus Moskau annehmen.
Es ist ein Vorgehen, das viele Länder verwundert. Inmitten des Ukraine-Kriegs soll Indien nach übereinstimmenden Medienberichten unmittelbar davor stehen, einen neuen Öl-Deal mit Russland zu unterzeichnen. Darin könnte sich Indien kurzfristig verpflichten, etwa 3,5 Millionen Barrel russisches Erdöl zu kaufen. Während westliche Staaten nach Alternativen suchen, scheint Indien von einem Dumping-Angebot Gebrauch machen zu wollen.
Besonders bemerkenswert ist dieser Schritt vor allem, weil Indien in den vergangenen Jahren nur wenig Öl aus Russland bezog. Nur zwei bis drei Prozent des Erdölbedarfs kamen zuletzt von dort. Nun könnte das Land sogar eine längerfristige Kehrtwende vollziehen. Laut dem indischen Erdöl-Minister Hardeep Singh Puri hätte es bereits "gute Gespräche" gegeben. Nur noch wenige Fragen zum Transport des Öls, der Bezahlung und der Versicherung seien zu klären.
Zeitpunkt wirft Fragen auf
Die Menge von 3,5 Millionen Barrel Erdöl ist überschaubar. Sie ist geringer als der tägliche Öl-Bedarf Indiens, der bei geschätzt 5,2 Millionen Barrel liegt. Was heraussticht, ist der Zeitpunkt des Deals. Der Plan untergrabe die Bemühungen westlicher Staaten, die russische Regierung unter Druck zu setzen und wirtschaftlich zu isolieren, so die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, auf einer Pressekonferenz. "Denken Sie darüber nach, auf welcher Seite Sie stehen wollen, wenn dieser Moment in die Geschichtsbücher eingeht", so Psaki.
In Indien wehrt man sich gegen diese Sichtweise. "Es ist nicht nur Indien", titelte die "Times of India", die größte englischsprachige Tageszeitung in Indien. Im Artikel selbst wird aufgelistet, wie viele andere Länder, auch aus Europa, noch immer Öl aus Russland beziehen. "Italien kauft russisches Öl, Frankreich kauft es, Deutschland auch. Die Einzigen, die den Import wirklich gestoppt haben, sind die Vereinigten Staaten. Wo sind denn die ganzen Sanktionen, von denen jeder immer redet?", fragt Narendra Taneja, Vorsitzender des unabhängigen Instituts für Energiepolitik in Neu-Delhi.
Spezieller Zahlungsmechanismus geplant
Dass ein neuer Deal, ausgerechnet jetzt in Kriegszeiten, einen anderen Symbolwert hat, lassen viele Expertinnen und Experten in Indien nicht als Argument gelten. Wie in den meisten Ländern der Welt ist auch in Indien der Ölpreis enorm gestiegen. "Dieser Krieg hat der indischen Wirtschaft schon jetzt, nach gut einem Monat, große Probleme bereitet", sagt Taneja. "Die Preise für Importe sind gestiegen, in fast allen Bereichen. Jede Kriegswoche kostet uns Milliarden von Dollar."
Das Vorhaben, billiges Öl aus Russland zu kaufen, widerspreche nicht den bisherigen Sanktionen, die von den USA auferlegt wurden, sagt die indische Regierung. Zumindest dieser Teilaspekt wird sogar vom Weißen Haus in Washington bestätigt. Um sicher zu gehen, dass man sich an internationale Abmachungen halte, arbeiten Vertreter beider Länder derzeit an einem besonderen Zahlungsmechanismus - einer Rupien-Rubel-Transaktion.
Russland als geopolitischer Partner Indiens
Offiziell begründen beide Seiten das Geschäft mit rein wirtschaftlichen Aspekten. Hinter der neuen Vereinbarung steckt allerdings mehr: ein jahrzehntealtes russisch-indisches Verhältnis, das als eng und stabil gilt. Für Indien ist Russland ein entscheidender geopolitischer Partner, den das Land auf keinen Fall verlieren will. So passt es ins Bild, dass sich Indien bisher nicht an UN-Resolutionen beteiligte, die Russlands Vorgehen in der Ukraine scharf kritisierten.
Manche deuten die neue Vereinbarung als Hinweis darauf, dass sich Indien im Ukraine-Krieg nun auf die Seite von Russland schlagen könnte. Realistisch scheint zurzeit allerdings eher, dass sich Indien möglichst lange alle Optionen offenhalten will. Ein möglicher langfristiger Öl-Deal mit Russland wäre dabei kontraproduktiv.