Italiens Tourismusbranche Das Geld kam mit den Russen
Die Menschenmengen in Roms Ausgehviertel Trastevere deuten kaum auf eine Tourismuskrise in Italien hin. Doch Wochenend-Trips in Städte machen nicht das große Geschäft aus. Das Geld brachten bislang die Russen.
Im Jahr 2019 besuchten 1,7 Millionen Urlauberinnen und Urlauber aus Russland das "Belpaese" und ließen fast eine Milliarde Euro im Land. Sie gelten in Italien neben Amerikanern und Chinesen als besonders konsumfreudig. Auf sie hatten sich die Hoffnungen der schwer angeschlagenen italienischen Tourismusbranche gerichtet. Die Aussicht auf einen Neustart im Frühjahr hatte viele Betriebe am Leben erhalten. Eigens für diese Klientel lockerte die Regierung schon im Februar die Corona-Regeln: Wer mit dem russischen Vakzin Sputnik geimpft war, durfte einreisen und schon mit einem einfachen Schnelltest alle Freizeit- und Gastro-Angebote nutzen.
Stornierungen von Gästen aus aller Welt
Der Krieg lässt nun alle Träume auf Erholung von Mailand bis Rimini platzen. Der Bade- und Vergnügungsort an der Adria steht auf Platz eins in der Gunst der russischen Kundschaft und macht allein 15 Prozent des Tourismus-Geschäfts aus. An zweiter Stelle kommt Rom, danach Venedig mit neun Prozent. Nach einer Prognose des Hotelverbands "Federalberghi" wird allein die Hauptstadt in diesem Jahr rund 150 Millionen Euro an Umsatz verlieren.
Russische Jachten und ihre finanzstarken Besitzer zog es eher an die Costa Smeralda Sardiniens. Doch die meisten haben die Insel überstürzt verlassen, um dem Zugriff der italienischen Finanzpolizei zu entgehen. Die Guardia di Finanza konfisziert im Rahmen der EU-Sanktionen gegen Russland sehr konsequent russische Luxusgüter, darunter Villen und Jachten.
"Ich weiß, dass Sanktionen und kommerzielle Vergeltungsmaßnahmen auf europäischer Ebene unvermeidlich sind, aber wir hatten gerade auf diese Touristen, die mit Sputnik geimpft sind und nun einreisen dürfen, gehofft", sagt Ivana Jelinic, Präsidentin des Branchenverbands "Fiavet-Confcommercio". 80 Prozent Umsatzeinbruch in zwei Pandemie-Jahren waren für die italienische Tourismusbranche kaum zu verkraften. Aus Sorge vor einer Ausweitung des Krieges stornieren jetzt auch Amerikaner und Europäer ihre Reisen nach Italien.
"Geschichten der Verzweiflung"
"Unser Sektor befindet sich in seiner größten Krise. Die Unternehmen haben keine Liquidität mehr und sind nicht einmal in der Lage, die Vorteile aus dem Wiederaufbaufonds zu nutzen, wie zum Beispiel Steuergutschriften für Investitionen", sagt Jelinic. Sie befürchtet, dass viele Betriebe ein weiteres Krisenjahr nicht mehr durchhalten können. "Ich weiß, es mag zynisch erscheinen, von wirtschaftlichen Folgen zu sprechen, aber die Auswirkungen auf das Leben der Menschen sind enorm". In der Branche steigen die Selbstmordzahlen. "Jeden Tag sammeln sich bei uns Geschichten der Verzweiflung".
Die Hoteliers und Luxusläden in Mailand und Bologna hatten auf das orthodoxe Osterfest gesetzt. Im Durchschnitt kommen in dieser Zeit 175.000 Übernachtungsgäste aus Russland und geben etwa 20 Millionen Euro aus. Damit rechnet dieses Jahr niemand mehr. Auch das Fest der Auferstehung wird der Tourismusbranche in Italien nicht helfen.
Roms Hotels helfen ukrainischen Flüchtlingen
Mit einem Anteil von 13 Prozent am Bruttoinlandprodukt bis zum Beginn der Pandemie ist der Sektor systemrelevant. Italiens Wirtschaft hat sich unter Ministerpräsident Mario Draghi ganz langsam von ihren Altlasten und vergangenen politischen Fehlentscheidungen erholt. Mit beachtlichen 6,6 Prozent Wachstum stand das Land im vergangenen Jahr als Musterschüler in Europa da und konnte wichtige Reformen umsetzen. Der Krieg in der Ukraine kann das alles wieder zunichtemachen.
Zunächst helfen die Hotels in Rom aber erstmal, die vielen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen. Bis zu einer Million Menschen werden in Italien erwartet. Einige sollen in leerstehenden Hotelzimmern unterkommen. Die in der Flüchtlingshilfe engagierte Kirchengemeinschaft Sant'Egidio übernimmt für den Anfang die Hotelkosten von 40 geflüchteten Familien.