Geschäfte mit Indien Wie russisches Öl noch den deutschen Markt erreicht
Wegen des westlichen Ölembargos gegen Russland steuern viele Tanker nun Indien an. Experten gehen davon aus, dass Kraftstoff auf Umwegen auch nach Europa gelangt.
Es ist eine schwer vorstellbare Menge: 2,2 Millionen Ölfässer entspricht ungefähr 10.000 Tanklastwagen. Das ist die Menge an Rohöl, die Indiens Häfen aus Russland erreicht - und zwar an jedem einzelnen Tag.
Das Öl habe die beiden Länder wirtschaftlich eng zueinander gebracht, sagt Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. "Unser Handelsvolumen betrug vor dem Ukraine-Konflikt jährlich circa zwölf bis 14 Milliarden Dollar. Letztes Jahr waren es schon 40 Milliarden."
Das Geschäft läuft gut
Durch das Einfuhrverbot der EU für Russisches Öl und die von den G7 festgelegte Preisobergrenze ist Russland gezwungen, neue Abnehmer zu finden. Dafür muss es sein Öl auf dem Weltmarkt deutlich billiger anbieten als die Konkurrenz aus Saudi-Arabien oder dem Irak.
Indien muss seinen Energieverbrauch zum allergrößten Teil über Importe abdecken und profitiert von dieser Entwicklung: Das Land kann seine Energiekosten senken und seine bisherige Abhängigkeit vom Nahen Osten verringern, wie Praveen Martis von der Energiewirtschaftsberatung Max Consulting vorrechnet: "Der russische Anteil an Indiens Ölimporten steigt signifikant und stellt immer neue Rekorde auf. Er hat nun sogar den Mittleren Osten überholt. Inzwischen sind wir bei 40 Prozent russischem Anteil; vergangenes Jahr war es noch 20 und im Jahr davor gerade mal zwei Prozent."
Die Sanktionen der EU und der G7 gegen russisches Öl betreffen den Seeweg. Die Öltanker einer Reederei etwa aus Hamburg dürfen zwar weiterhin russisches Öl in alle Welt verschiffen, aber nur, wenn es unterhalb des vom Westen festgelegten Preisdeckels gehandelt wird - 60 Dollar pro Fass. Und das Geschäft läuft gut: Jeder dritte Öltanker, der russische Häfen verlässt, hat einen europäischen Besitzer.
"Dunkle Flotte" von Tankern
Wem die anderen zwei von drei Schiffen gehören, ist schwierig zu sagen. "Die dunkle Flotte" werden solche Schiffe genannt, die aus Russland nach Indien, China oder in die Türkei aufbrechen und sich alle Mühe geben, dabei nicht gesehen zu werden: indem sie ihre Positionsdaten manipulieren, Transmitter abschalten oder das transportierte Öl so oft umladen und mit anderem Öl vermischen, bis niemand mehr genau sagen kann, woher es ursprünglich kam und zu welchem Preis es gehandelt wurde.
Experten schätzen diese "dunkle Flotte" auf einen Umfang von 600 Tankern weltweit - allein für Rohöl. Die meisten dieser Schiffe dürften russischen Unternehmen gehören - oder zumindest ihnen nahestehenden Geschäftsleuten, zum Beispiel aus Dubai, Hongkong, Singapur oder Indien.
Das Öl, das Indien auf diesem Weg aus Russland erhält, lande am Ende trotzdem häufig in Europa, sagt Ölhandelsexperte Martis; zum Beispiel als Heizöl, Benzin oder Diesel. "Indiens Raffinerie-Kapazitäten übersteigen die Nachfrage aus dem Inland. Indische Raffinerien, immerhin die viertgrößten der Welt, haben deshalb Diesel, Benzin und Kerosin nach Europa exportiert, als die Preise noch attraktiv waren", so Martis. "Erst kürzlich hat die Regierung den privaten Raffinerien dann sogenannte Binnenmarktverpflichtungen auferlegt. Mit Benzin und Diesel muss jetzt erst das Inland ausreichend versorgt sein, bevor der Brennstoff exportiert werden darf."
Wunsch nach Diversifizierung
Nach Angaben des indischen Handelsministeriums verkaufte Indien allein im April Kraftstoff im Wert von etwa einer Milliarde Dollar an die EU - viermal so viel wie vor dem Krieg. Das ärgert die EU-Kommission, aber es entspricht ihren eigenen Regeln, daran erinnert der indische Außenminister die Europäer bei seinem Besuch Mitte Mai in Brüssel: "Wenn russisches Rohöl in einem Drittland substanziell verarbeitet wird, ist es nicht mehr als russisches Öl zu betrachten. Ich empfehle Ihnen dazu einen Blick in die EU-Verordnung des Rates Nummer 833/2014."
Dass Indien sich inmitten des Krieges gegen die Ukraine Russland zuwendet, dazu steht die indische Regierung selbstbewusst. Man strebt sogar ein Freihandelsabkommen an. Das nunmehr bevölkerungsreichste Land der Erde möchte handelspolitisch unabhängiger werden und seine Geschäfte diversifizieren. Und es will vermeiden, in jede Art von Blockbildung zu geraten.
Deutsche U-Boot-Technik wird eingekauft
Seit Indien den Vorsitz der G20 übernommen hat, legt es besonderen Wert auf Glaubwürdigkeit. Es stellt deshalb weniger kontroverse Themen in den Vordergrund wie den Klimaschutz, Gesundheit oder Entwicklungshilfe. Und neben russischem Öl, Getreide und Dünger kauft Indien auch französische Kampfflugzeuge und deutsche U-Boot-Technik.
Seinen neuen politischen Marktwert als begehrter Zweckbündnispartner zwischen den geopolitischen Polen hat die Regierung in Neu-Delhi längst erkannt.