Folgen der Kriegswirtschaft Was der Rubel-Verfall für Russland bedeutet
Neue Sanktionen gegen Russland haben den Rubel weiter an Wert verlieren lassen. Auch sonst kämpft die russische Wirtschaft mit den Folgen des Krieges, der das Land enorme Summen kostet.
Bevor Russland die Ukraine im Februar 2022 auf breiter Front angegriffen hat, war die russische Wirtschaft zwar kein Musterbeispiel für klugen und nachhaltigen Aufbau. Durch dauerhaften Export von Rohstoffen funktionierte sie aber stabil. Der Dollar kostete vor dem Großangriff 78 Rubel. Aktuell müssen dafür 106 Rubel bezahlt werden. Zwar ist die russische Volkswirtschaft mittlerweile weitgehend auf sich gestellt. Ohne Welthandel spielt der Kurs der heimischen Währung nur eine untergeordnete Rolle. Der abgestürzte Rubel ist aber eines von vielen Zeichen für einen Staat, der unter seinem eigenen Angriffskrieg ächzt.
Als Auslöser des Verfalls der Währung gelten neue Sanktionen der Vereinigten Staaten. Die letzte große russische Bank, die Gazprom-Bank, darf kein internationales Geschäft mehr machen. Damit wird es noch schwieriger, für legale Exporte Geld ins Land zu bekommen. Und Tarngeschäfte, die Sanktionen umgehen, werden ohne stabile Möglichkeit der Geldüberweisung noch aufwändiger als zuvor.
Einnahmen aus Öl- und Gasgeschäft gesunken
Russland hat es über Jahrzehnte nicht geschafft, konkurrenzfähige Industrie, leistungsstarke Dienstleistungen oder eine exportorientierte Landwirtschaft aufzubauen. Konsum von Staat und Bürgern wurde dauerhaft durch Export von Öl, Gas und anderen Rohstoffen finanziert. Zur Freude des Internationalen Währungsfonds (IWF) gelang es dem Staat auch, beachtliche Rücklagen aufzubauen. "Die Fonds neigen sich dem Ende zu", sagt Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Wegen des westlichen Öl-Embargos - Reaktion auf den Angriff auf die Ukraine - ist Russland nun in schlechter Verhandlungsposition. Es muss Öl für geringe Preise an China und Indien verkaufen. "Die Geldquellen sprudeln nicht mehr", kommentiert Volkswirt Langhammer. Wurde 2022 noch 80 Dollar pro Barrel erzielt, schätzte das russische Ministerium für Wirtschaftsentwicklung 2023 Einkünfte von 63,40 Dollar pro Barrel und hoffte, den Preis bei mehr als 70 Dollar stabilisieren zu können.
Hohe Ausgaben für Militär
Gleichzeitig steigt der Bedarf der Rüstungsindustrie und des Militärs. Jenseits gelegentlicher Erfindungen, die mehr oder minder zufällig auch zivil brauchbar sind, belastet der Militärsektor jede Volkswirtschaft. Soldaten kosten viel Geld und erwirtschaften nichts. Im Krieg werden Menschen getötet oder verletzt, während teure Rüstungsgüter massenweise zerstört werden.
Ein Land im Krieg veröffentlicht nur wenig Daten über sein Militär. Der britische Osteuropa-Professor Julian Cooper hat das russische Militär vor einem Jahr in einer Studie für das weltweit führende Militärforschungsinstitut Sipri in Stockholm untersucht. Danach gingen 21 Prozent des russischen Staatshaushalts in die Rüstung. Für das laufende Jahr war eine Steigerung auf 29 Prozent geplant. Die enormen Ausgaben seien mit optimistischen Annahmen über Ölexporte unterlegt.
Daten der Statistikbehörde "Rosstat" und der russischen Zentralbank ermöglichen Einblicke in dramatische Verschiebungen seit Beginn des großen Angriffs vor fast drei Jahren. Die Behörden versuchen nicht, Geheimhaltung zu kaschieren und geben sorgfältige Hinweise auf Lücken bei Daten aus dem Militär. Abgleiche zwischen verschiedenen Quellen und Vergleiche zeigen, dass die verfügbaren Daten seriös sind. Es geht um konkrete Arbeit, Beschäftigung und echtes Geld.
Arbeitskräfte sind knapp
In der wenig automatisierten Wirtschaft des Landes werden viele Arbeitskräfte benötigt. Russland leidet unter einer drastisch älter werdenden Bevölkerung. Immer weniger Menschen sind im arbeitsfähigen Alter. Die amtliche Statistik "Russia 2024" zeigt, dass dieses Jahr das Arbeitskräftepotenzial um 1,3 Millionen Menschen erhöht wurde, indem die Lebensarbeitszeit um ein Jahr heraufgesetzt wurde. In Russland herrscht praktisch Vollbeschäftigung. "Russia 2024" gibt die Arbeitslosenquote mit 3,2 Prozent an.
Russland ist führender Partner der Staatengemeinschaft BRICS. Deren neueste Statistiken zeigen, dass die Beschäftigung nur im Bereich "Services" steigt. Er umfasst Dienstleistung, Bildung, Wissenschaft und eben das Militär. Seit Beginn des Angriffskriegs hat die Beschäftigung hier um 2,2 Millionen Menschen zugenommen. Das müssen nicht alles neue Soldaten sein - aber es illustriert den Umfang der Aufrüstung. Der Personalbedarf des Militärs geht auf Kosten der produzierenden Wirtschaft, zumal das Militär hohen Sold zahlt. Die Beschäftigung in der Industrie stagniert.
Inflation dürfte weiter steigen
Trotz Personalknappheit scheint es in Russland zu gelingen, die Produktion zu steigern. Das zeigt das umfangreiche russische Statistische Jahrbuch, das zuletzt 2023 erschien und auch die Daten aus "Russia 2024". Während der Export sinkt, steigt die Produktion auch von zivilen Gütern. Den größten Zuwachs erzielten aber Hersteller von Metallbearbeitungs-Maschinen, auf die die Rüstungsindustrie angewiesen ist (2023: plus 40,6 Prozent). Russland wirkt wie eine Kriegswirtschaft, die versucht, den Zivilsektor am Laufen zu halten.
Durch hohen Sold und gute Löhne in der Rüstungsindustrie steigen die verfügbaren Einkommen. Durch ausbleibende Importe und begrenzte zivile Inlandsproduktion fehlt das Angebot. Die Preise steigen. Die russische Zentralbank hofft, die Inflation dieses Jahr auf höchstens 8,5 Prozent begrenzen zu können. Eine aktuelle Studie der Zentralbank zeigt, dass die gefühlte Inflation in der Bevölkerung viel höher ist. Noch wichtiger sind Umfragen bei Unternehmen: Sie rechnen im nächsten Vierteljahr mit 26 Prozent Inflation. Das wird wiederum zu höheren Verkaufspreisen führen.
Die Zentralbank-Statistik zu überfälligen Darlehen offenbart, dass die Krise in Privatwirtschaft und Bevölkerung angekommen ist. Am 1. November 2023 betrachteten russische Banken Kredite für Bürger und Privatwirtschaft über 88,6 Billionen Rubel als notleidend. Die neuste Zahl stammt vom 1. Oktober 2024: Der Betrag der "faulen" Kredite ist auf 111,2 Billionen Rubel gestiegen.
Zins-Dilemma für die Notenbank
Um die heiße Konjunktur zu bremsen und die massiv gestiegene Geldmenge zu reduzieren, hat die Zentralbank die Zinsen erhöht. Der wichtigste Leitzins steht bei 21 Prozent, eine weitere Steigerung wird erwartet. Was das für den Kreditmarkt bedeutet, illustriert die Zentralbank-Statistik zu Privatkrediten. Für kurzfristiges Geld müssen Bürgerinnen und Bürger im Durchschnitt 26,54 Prozent Zins zahlen. Wenn das Darlehen länger als 3 Jahre läuft, sind es immer noch 18,59 Prozent.
Während Rüstungsunternehmen subventioniert werden, verhindern hohe Zinsen, dass die zivile Industrie investieren kann. Die Russische Union der Industriellen und Unternehmer (RSPP) hat deswegen an die Regierung appelliert: Sie solle die noch unabhängige Zentralbank anweisen, die Zinsen zu senken. Alexandra Prokopenko vom "Carnegie Russia Eurasia Center" in Berlin gibt in einem aktuellen Kommentar zu bedenken: Das Beispiel der Türkei illustriere, dass politischer Druck auf Zentralbanken zu enormen wirtschaftlichen Verwerfungen führen könne. Bei politisch verordnetem niedrigem Leitzins werde die Inflation ungebremst steigen.