Blick in eine Textilfabrik
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Verlagerte Textilproduktion Nordafrika statt "Made in China"

Stand: 28.07.2024 15:05 Uhr

Deutsche Textilunternehmen verlagern ihre Produktion von Asien nach Nordafrika. Grund ist unter anderem die viel größere Nähe. Experten sehen einen langfristigen Trend.

Im Eingangsbereich der Textilfabrik von Christian Suleiman am nordöstlichen Rand von Kairo sind Strickwaren in große, weiße Säcke gepackt. Ein paar Männer wuchten sie erst auf ihre Schultern und dann auf die offene Ladefläche eines kleinen Lastwagens.

"Kleidung für ägyptische Kunden", sagt der ägyptisch-deutsche Chef. Jahrelang hat Suleiman mit seinen Strickwaren vor allem den ägyptischen Markt beliefert, nun produziert er auch für ausländische Kunden. Aus Deutschland bekomme er immer mehr Anfragen. "Hätten wir eine vier- oder fünfmal so große Fabrik, hätten wir kein Problem damit, Kunden für diese Fabrik zu beschaffen", sagt Suleiman.

Zuletzt elf Prozent mehr Kleidung aus Ägypten

Seit über 30 Jahren produzieren deutsche Unternehmen Kleidung in Ägypten. Doch seit 2021 gibt es einen deutlichen Anstieg: Im vergangenen Jahr hat Deutschland elf Prozent mehr Bekleidung aus Ägypten importiert.

Damit zählt das Land laut dem Modeverband German Fashion, der rund 350 Firmen der deutschen Modeindustrie repräsentiert, zu den großen Gewinnern. Nicht nur Ägypten, auch andere Länder Nordafrikas wie Tunesien und Marokko. "Viele Unternehmen wollen näher an Europa produzieren", sagt Verbandssprecherin Tanja Croonen. "Besonders nach der Corona-Zeit, in der asiatische Länder in Bezug auf Logistik unsicher geworden sind, haben sich viele Unternehmen nun strategisch auf nähere Produktionsorte ausgerichtet."

Mitarbeiter in einer Textilfabrik

Kleidung "made in Egypt" wird auch in Deutschland immer beliebter.

Kürzere und sichere Handelsroute nach Nordafrika

Von Nordafrika nach Europa - einmal übers Mittelmeer - der Weg ist vergleichsweise kurz und günstig. Denn Schiffe, die Ware aus Asien bringen, sehen sich derzeit oftmals gezwungen, statt übers Rote Meer die deutliche längere und teurere Route vorbei an Südafrika und dem Kap der guten Hoffnung zu nehmen. Denn die mit der Hamas verbündeten Huthi aus dem Jemen beschießen immer wieder Frachter im Roten Meer.

Die ägyptische Textilindustrie ist im Aufwind, nicht nur aufgrund der Nachfrage aus Deutschland und Europa, sondern vor allem auch der USA. Ägypten sei bereit für noch mehr, meint Marie Louis Bishara, Vorsitzende des ägyptischen Rats für Bekleidungsexport. Zum einen hätte das Land noch mehr Kapazitäten, die Auslastung läge bei 60 Prozent, zum anderen hätte Ägypten in qualifiziertes Personal investiert.

"Wir haben viel an unserer Ausbildung gearbeitet, auch an Weiterbildungen. Wir haben Leute unterschiedlichen Alters, die in den letzten drei bis vier Jahren zu Facharbeitern wurden", sagt Bishara. Zudem würden viele Unternehmen auf ägyptische Baumwolle zurückgreifen, denn die Lieferketten seien oftmals kurz.

Rückzug aus Asien im Zuge von "De-Risking"

Noch immer liegen China, Bangladesch und Vietnam an der Spitze der weltweiten Kleidungsherstellung. Aus diesen Ländern sowie aus der Türkei importiert auch Deutschland die meisten Textilien. Doch in all diesen Ländern wurden in den letzten Jahren weniger Textilien für den deutschen Markt produziert.

Diese Teilverlagerung von Asien nach Nordafrika liegt nicht nur an kürzeren Transportwegen, sondern auch daran, dass deutsche Unternehmen ihr Risiko verteilen wollen, indem sie in unterschiedlichen Weltregionen produzieren.

China möchte die Billiglohnindustrie loswerden

Es sei üblich, dass die Bekleidungsindustrie von Land zu Land ziehe, sagt Matthias Freise, Professor für Lieferketten-Management und Einkauf an der Hochschule Reutlingen. "Wenn Länder sich weiterentwickeln und höherwertige Technologien zur Verfügung haben, dann gehen dort Industrien hinein, die die Bekleidungsindustrie förmlich verdrängen", so Freise.

Volkswirtschaftlich ergebe diese Weiterentwicklung für die Länder Sinn. Vietnam, Indonesien oder auch China befinden sich derzeit in diesem Prozess: "China hat sich nahezu zum Hightech-Land entwickelt und die chinesische Regierung sagt sehr offiziell, dass sie diese Billiglohnindustrie nicht mehr haben möchte", erklärt Freise. China versuche derzeit, die Bekleidungsindustrie ganz gezielt aus dem Land heraus zu verlagern.

Klein angefangen, jetzt vor der Expansion

Christian Suleiman in Ägypten weiß, dass er einer der Profiteure dieser Entwicklung sein kann. Vor 17 Jahren hat er angefangen - mit zwei Mitarbeitern und zwei Maschinen auf Kredit. Heute beschäftigt er rund 150 Ägypterinnen und Ägypter an 25 Maschinen. Sie stricken Stoffteile aus Garn und nähen sie später einzeln zusammen.

Für ein paar Maschinen gäbe es hier noch Platz, aber Suleiman ist noch unentschlossen, ob er noch weiter wachsen will. "Das wären sehr große Investitionen", sagt er - und ist in jedem Fall froh, dass seine Geschäfte und insgesamt der Export der ägyptischen Textilindustrie derzeit gut laufen.

Mehrere Mitarbeiter bei der Arbeit in einer Textilfabrik

Vor 17 Jahren gründete Christian Suleiman sein Unternehmen und fing klein an. Heute beschäftigt er 150 Mitarbeitende.

Exporte helfen geschwächter ägyptischer Wirtschaft

"Exporte sind grundsätzlich sehr wichtig für uns, nicht nur im Bekleidungssektor. Weil wir auch ein Handelsdefizit haben, das unsere Währung geschwächt hat. Exporte tragen am Ende zu mehr Wohlstand in der Bevölkerung bei", weiß der Unternehmer. Diesen Wohlstand braucht Ägypten dringend. Denn die Wirtschaft ist am Boden, die Textilindustrie ist einer der wenigen Zweige, die dringend benötigte ausländische Devisen ins Land bringen.

Auch dank der Exporte konnte Suleiman die Löhne seiner Arbeiter vor Kurzem erhöhen, um über 20 Prozent. Das sei nicht einfach gewesen, aber nötig, sagt Suleiman. Die Inflation in Ägypten fresse die Löhne auf. Im April teilte die ägyptische Regierung mit, die Inflation innerhalb eines Jahres belaufe sich auf 33 Prozent. Christian Suleiman will, dass es seinen Arbeitern gut geht, sagt er. Er weiß, seine Auftragsbücher sind gefüllt - und dank deutscher Nachfrage könnten sie mittelfristig noch dicker werden.

Viktoria Kleber, ARD Kairo, tagesschau, 24.07.2024 11:21 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Juli 2024 um 05:49 Uhr.