Neue Studie Wie Gen-Tests werdende Eltern beeinflussen können
In Australien könnten Paare bald kostenlos testen lassen, ob sie eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein krankes Kind haben. Dieses Wissen hätte einer Studie zufolge Einfluss auf ihre Entscheidung für oder gegen das Kind. Ethiker haben Bedenken.
In einem Infovideo sitzt ein Paar auf einem grauen Sofa. Sie schauen ernst, während sie über die Forschungsinitiative “"Mackenzie's Mission" sprechen. "Die Studie wurde nach unserer Tochter Mackenzie benannt", sagt Rachael Casella. "Sie starb im Alter von sieben Monaten an einer Erbkrankheit, die Spinale Muskelatrophie heißt."
Jonathan und Rachel Casella tragen beide eine Kopie eines veränderten Gens in sich, in Kombination führten sie zu der tödlichen Erkrankung ihrer Tochter. Bei einer Spinalen Muskelatrophie werden Nerven zerstört, die für die Bewegung der Muskulatur gebraucht werden. Dass sie ein erhöhtes Risiko in sich trugen, diese Erkrankung weiterzugeben, davon wussten die Casellas bis zur Diagnose ihrer Tochter nichts. So geht es vielen Eltern von Kindern mit Erbkrankheiten.
Selbstbestimmte Familienplanung als Ziel
Man könnte Paare vorab auf diese und andere genetische Erkrankungen testen. Doch in Australien, wo Familie Casella lebt, wird das wie in Deutschland auch, nicht von den Krankenkassen bezahlt. Deshalb haben sich Mackenzies Eltern nach dem Tod ihrer Tochter politisch engagiert: Sie wollten, dass andere Eltern nicht so sehr von der Diagnose ihres Kindes überrascht werden. Gleichzeitig schlugen auch Fachleute vor, ein solches Screening von Elternpaaren zu erforschen. Gemeinsam entstand "Mackenzie‘s Mission", gefördert von der australischen Regierung.
"Das Ziel des Projekts ist es, die reproduktive Selbstbestimmung der Paare herzustellen", sagt Edwin Kirk, Professor für klinische Genetik am Sydney Children's Hospital. Bisher hätten werdende Eltern und Paare mit Kinderwunsch keine Wahlmöglichkeiten, weil sie nichts von ihren genetischen Veranlagungen wussten. Ein kostenloses Screening vor oder zu Beginn der Schwangerschaft könnte das ändern.
In einer neuen Studie, die jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, untersuchte das Forschungsteam um Kirk, welche Auswirkungen eine solche Reihenuntersuchung hätte. Bei etwa 9.000 Paaren wurde im Rahmen der Studie geschaut, ob sie zusammen - ohne es zu wissen - eine Kombination von Auffälligkeiten in bestimmten Genen aufwiesen, die die Wahrscheinlichkeit für verschiedene, schwere Erbkrankheiten erhöht.
Künstliche Befruchtung und Schwangerschaftsabbruch nach Diagnose
Bei den meisten Paaren gab es bei der Untersuchung keine Auffälligkeiten. Bei 175 Paaren wurden die Forschenden jedoch fündig. Drei Viertel der Paare, die noch nicht schwanger waren, entschieden sich daraufhin, eine künstliche Befruchtung durchzuführen und die Gene des Embryos vor der Verwendung untersuchen zu lassen.
Von den bereits Schwangeren entschieden knapp zwei Drittel der Paare, den Embryo im Bauch genetisch untersuchen zu lassen. In fünf Fällen bestätigte sich der Verdacht einer Erbkrankheit, vier der betroffenen Paare beendeten daraufhin die Schwangerschaft.
Aber, und das ist für den Studienautor Edwin Kirk wichtig zu betonen: Nicht alle Paare reagierten gleich. Einige hätten sich entschieden, nichts weiter zu unternehmen - das sei eine legitime Option, die Paare wählen könnten. "Wir unterstützen das sehr. Wenn die Paare die Informationen haben, können sie entsprechend ihrer Werte entscheiden, wie sie damit umgehen wollen."
Ergebnisse der Studie
Insgesamt änderten drei Viertel der Paare mit einem erhöhten Risiko etwas an ihre bisherigen Familienplanung.
Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften von der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, sieht durchaus Vorteile bei einem solchen genetischen Test von Eltern: "Er kann ein zusätzliches Werkzeug sein - insbesondere im Kontext von Kinderwunschbehandlungen."
Schon jetzt würden Embryonen vor der Einpflanzung einer Auswahl unterzogen, der Embryo könnte genetisch untersucht werden. "Führt man aber den Trägertest ganz zu Beginn der Behandlung - also vor dem Herstellen der Embryonen - durch, kann so die Belastung für die werdenden Mütter in einem ohnehin belastenden Verfahren reduziert werden." Ein Risiko hingegen sei, dass bei einem solchen Verfahren falsche Ergebnisse produziert würden oder Laborfehler passieren könnten. Das könne zu unnötigen Belastungen für die potenziellen Eltern werden.
Wahrscheinlichkeiten als Herausforderung
Für Edwin Kirk und die Initiatoren von "Mackenzie's Mission" ist die Wahlfreiheit der werdenden Eltern und Paare mit Kinderwunsch ein großer Wert.
Doch damit Menschen in der Lage sind, eine solche Entscheidung gut zu treffen, müssen sie die Situation richtig erfassen. Das Wichtigste bei einem solchen Screening sei deshalb die Kommunikation mit den Paaren, sagt Edwin Kirk: Vor den Tests und natürlich auch wenn das Ergebnis vorliegt. Aufgrund der großen Zahl an Paaren, die getestet werden sollen, sei es aber nicht möglich, alle durch eine Fachperson beraten zu lassen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Australien bauten daher eine Informationswebsite auf, auf der die Paare im Vorhinein alle Informationen erhalten konnten. Nur, wenn ein Paar ein erhöhtes Risiko für eine der ausgewählten Erkrankungen aufwies, erhielten sie eine Beratung mit einer Spezialistin oder einem Spezialisten.
Doch selbst mit geschultem Personal kann es schwierig sein, zu erklären, was die Ergebnisse bedeuten, sagt Christian Schaaf, Ärztlicher Direktor des Instiuts für Humangenetik an der Universitätsklinik Heidelberg. Je nach Bildungsstand könnten Menschen auch besser oder schlechter mit solchen Informationen umgehen. Aber: "Selbst für Menschen mit hohem oder höchsten Bildungsständen ist der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten immer noch eine Herausforderung."
Sorge vor Eugenik bei Screening der Eltern
Es stecke außerdem ein gesellschaftliches Risiko in diesem Verfahren, sagt der Ethiker Nils Hoppe von der Universität Hannover: "Wenn dieses angewendet wird, um möglichst gesunde Kinder zu produzieren. Das bringt uns dann gesellschaftlich in eine Eugenik-Debatte."
Es sei möglich, dass ein solches Screening dazu führe, bestimmte Erkrankungen und Behinderungen "aussortieren zu wollen" - auch wenn das nicht das Ziel der Initiatoren sei, so Fachleute.
Christian Schaaf von der Universitätsklinik Heidelberg sagt, dass die notwendige Diskussionen zu diesem Thema in Deutschland noch nicht ausreichend geführt wurde, um solche Reihenuntersuchungen einzuführen: "Wir müssen uns damit beschäftigen, ob wir uns mehr und mehr einem System des Utilitarismus annähern, wo wir sagen: Für die gesamte Volksgesundheit ist es gut, wenn wir bestimmte schwere Krankheiten vermeiden können oder ob wir sagen wollen: Wir versuchen die Krankheiten, die existieren, rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln." Man müsse als Gesellschaft aber ohnehin akzeptieren, dass man nie alle Krankheiten vermeiden könne.
Schaaf untersucht an der Uniklinik Heidelberg aktuell im sogenannten New Lives Projekt, ein mögliches Neugeborenen-Screening, das in Deutschland umgesetzt werden könnte. Dabei würden Kinder kurz nach Geburt auf genetische Erkrankungen getestet, damit sie frühzeitig behandelt werden können. Ein Aussortieren stünde damit überhaupt nicht zur Diskussion "und das ist auch gut so", so der Humangenetiker Schaaf.
Keine Garantie für gesunde Kinder
Besonders kontrovers wurde im Vorfeld der Studie diskutiert, nach welchen Erkrankungen man in einem solchen Screening suchen sollte, erklärt der australische Genetiker Kirk. Welche Erkrankungen schwerwiegend genug seien, damit man vorab davon wissen wolle - das sei eine sehr individuelle Entscheidung. Am Ende einigten sich die Forschenden auf eine Liste von über 1.200 Genen.
Doch viele krankmachende Mutationen entstünden spontan, also erst bei der Entstehung der Ei- oder Samenzelle, sagt Humangenetiker Schaaf von der Uniklinik Heidelberg. Außerdem trage jeder Mensch eine Vielzahl von Genveränderungen in sich, die die Wahrscheinlichkeit erhöhten, dass die eigenen Kinder eine genetische Erkrankung hätten. Das sei ganz normal, und nicht alle davon finde man mit einem solchen Screening. "Wir können noch so viel sequenzieren, wir werden nie gesunde Kinder garantieren können", so Schaaf.
Gerechtigkeit durch kostenloses Screening?
Auch Edwin Kirk sagt: Es sei wichtig, keine falschen Versprechen zu machen. Doch aktuell könnte man sich solche Tests nur von kommerziellen Anbietern kaufen und die seien teuer - im Moment hätten also nur wohlhabendere Menschen Zugang zu solchen Informationen. Kirk hofft, der australischen Regierung bereits im kommenden Jahr einen Vorschlag für ein entsprechendes Screening vorlegen zu können, damit diese in Zukunft die Tests für alle werdenden Eltern und Paare mit Kinderwunsch finanziert.