Sportmedizin Wie zyklusbasiertes Training funktioniert
Trainingspläne im Sport basieren häufig auf Studien mit Männern. Die sind aber nur zum Teil auf Frauen anwendbar. Viele Athletinnen trainieren inzwischen nach ihrem Menstruationszyklus.
Im Juli treffen sich in Paris wieder mehr als 10.000 Sportlerinnen und Sportler zu den Olympischen Sommerspielen. Zum ersten Mal in der Olympia-Geschichte werden an den Wettkämpfen gleich viele Frauen wie Männer teilnehmen. Bei den ersten Olympischen Spielen in Paris, im Jahr 1900, waren nur 22 der 997 Teilnehmenden weiblich.
Klar ist: Die Rolle von Frauen im Leistungssport nimmt stetig zu. Doch die trainingswissenschaftliche Forschung habe nicht Schritt gehalten, sagt Johannes Kirsten, kommissarischer Leiter der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin am Universitätsklinikum Ulm. Die aktuelle Trainingslehre beruhe hauptsächlich auf Studien mit Männern.
Das Versprechen des zyklusbasierten Trainings
Doch immer mehr Profisportlerinnen trainieren mittlerweile zyklusbasiert. Das heißt, sie folgen einem maßgeschneiderten Trainingsplan, der sich an den Phasen ihres Menstruationszyklus orientiert. Das Versprechen: optimale Leistungsfähigkeit und Effizienz im Training, weniger Verletzungen und auch weniger psychische Belastung.
Denn die hormonelle Situation bleibt bei Frauen nicht 28 Tage lang gleich. Stattdessen schwanken weibliche Hormone in den Phasen des Menstruationszyklus relativ vorhersehbar. Vor nicht allzu langer Zeit war es allerdings noch kaum vorstellbar, dass eine Sportlerin mit ihrem Trainer oder ihrer Trainerin komplett offen über ihren Zyklus spricht. Die Periode war auch im Sport lange ein Tabuthema.
Die Logik hinter dem zyklusbasierten Training
Die Phasen des Menstruationszyklus - Menstruation, Follikelphase, Ovulation und Lutealphase - haben jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf den Körper. Basierend auf diesen Phasen kann das Training angepasst werden. Veränderungen bei Kraft, Leistung und Erholung, die während des Menstruationszyklus auftreten, könnten auf die Schwankungen der Hormone Östrogen und Progesteron zurückzuführen sein - so zumindest die Vermutung. Östrogen gilt als anabol - das heißt, es kann den Muskelaufbau fördern -, während Progesteron mit dem Eiweißabbau - auch Muskelabbau genannt - in Verbindung gebracht wird.
So sollte das Training gestaltet sein
Am Anfang des Zyklus - also in der frühen Follikelphase - sind der Östrogen- und Progesteronspiegel niedrig. Hier findet bei den meisten Frauen die Periode statt, und es können niedrigere Energieniveaus sowie eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit auftreten. Daher kann es angenehm sein, das Training eher langsam anzugehen und sich auf Regeneration zu konzentrieren.
In der späten Follikelphase steigt der Östrogenspiegel an, und die Östrogenkonzentration wird im Verhältnis zum Progesteron deutlich höher. Damit steigt auch das Energieniveau, sodass sich Sportlerinnen hier meist leistungsfähiger fühlen und intensiver trainieren können.
Während des Eisprungs bleibt der Östrogenspiegel hoch, sodass sich viele Frauen auch hier besonders leistungsfähig fühlen. In der Lutealphase beginnt dann aber der Östrogenspiegel zu sinken, während der Progesteronspiegel steigt. Progesteron habe, so Johannes Kirsten von der Sportmedizin Ulm, anti-östrogene Effekte. Das heißt, es hebt die Wirkung des Östrogens wahrscheinlich teilweise auf. Insofern ist die Lutealphase für intensives Training nicht mehr so günstig. Eher empfiehlt sich in der frühen Lutealphase Ausdauer-Training.
In der späten Lutealphase - also kurz vor der Menstruation - sinken Östrogen und Progesteron, sodass dann eher das regenerative Training angestrebt werden kann.
Die wissenschaftliche Evidenz dahinter
Die Wirkung der hormonellen Schwankungen innerhalb des Zyklus auf die Kraft der Frauen wird sehr kontrovers in der Literatur diskutiert. Unterschiedliche Ergebnisse lassen sich dabei jedoch oft auf unterschiedliche Methodik und auf individuelle Abweichungen des Östrogen- und Progesteronspiegels bei Frauen zurückführen.
Um Klarheit zu schaffen, sind noch weitere Studien erforderlich. Bisher gibt es viele Argumente für zyklusbasiertes Training und kaum ein Argument dagegen. Es bietet sich nicht nur für Leistungssportlerinnen an, ihren Zyklus zu tracken. Der weibliche Menstruationszyklus ist nämlich ein guter gesundheitlicher Indikator dafür, falls irgendetwas nicht stimmt - etwa, wenn er unregelmäßig ist oder ausbleibt.
Was dabei aber wichtig ist: Das Training am Menstruationszyklus auszurichten, funktioniert nicht, wenn man hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille nutzt. Wer hormonell verhütet, kann seinen Zyklus allerdings so steuern, dass die Periode zum Beispiel nicht ins Wettkampfwochenende fällt. Ob aber die Pille die sportliche Leistung steigert oder eher verringert, ist ebenfalls noch zu wenig erforscht. Bei Fragen zu Zyklus und Sport ist in der Wissenschaft also noch viel Nachholbedarf.