Rede zur Verkündung des Nobelpreises für Medizin. Auf einer Leinwand sind Victor Ambros und Gary Ruvkun zu sehen.

Entdecker der microRNA Zwei US-Genforscher erhalten Medizin-Nobelpreis

Stand: 07.10.2024 15:40 Uhr

Der Nobelpreis für Medizin geht an Victor Ambros und Gary Ruvkun. Die US-Wissenschaftler werden für die Entdeckung der microRNA ausgezeichnet. Ihre "bahnbrechende Entdeckung" eröffne eine völlig neue Dimension der Genregulation, so das Komitee.

Victor Ambros und Gary Ruvkun erhalten in diesem Jahr den Nobelpreis in der Kategorie Physiologie oder Medizin. Das teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit. Der US-Biologe Ambros und der US-Genetiker Ruvkun werden damit für ihre Beiträge zur Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der posttranskriptionellen Genregulation ausgezeichnet.

MicroRNA sind spezielle RNA-Moleküle, die eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Gen-Aktivitäten spielen. Die Forschung sei wichtig, weil sie wichtige Rückschlüsse auf die Entwicklung und Funktion von Organismen zulasse. Das Nobelpreis-Komitee sprach von einer "bahnbrechenden Entdeckung", die eine völlig neue Dimension der Genregulation eröffne.

"Zellen ohne microRNAs entwickeln sich nicht normal"

Die in den Chromosomen gespeicherte Information könne mit einer Gebrauchsanweisung für alle Zellen des Körpers verglichen werden, erklärt das Komitee. Jede Zelle enthalte dieselben Chromosomen und damit denselben Satz von Genen. Verschiedene Zelltypen wie Muskel- und Nervenzellen hätten trotzdem sehr unterschiedliche Eigenschaften. Dafür spielten Mechanismen der Genregulation eine Rolle, wie sie von Ambros und Ruvkun beschrieben wurden.

"Dieser Mechanismus hat die Evolution von immer komplexeren Organismen ermöglicht. Aus der Genforschung wissen wir, dass sich Zellen und Gewebe ohne microRNAs nicht normal entwickeln", erklärte das Komitee. Eine abnorme Regulierung durch microRNA könne etwa zu Krebs beitragen.

Boris Fehse, Klinik für Stammzelltransplantation UKE, über Genforschungen

tagesschau24

Mögliche Basis für Krebstherapien

"Jede Zelle hat ihr eigenes Muster an Proteinen, die dann wiederum die Zellfunktionen steuern können", erklärte Boris Fehse, Molekular- und Zellbiologe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im tagesschau-Interview. Mit der microRNA sei eine weitere Ebenen der Steuerung entdeckt worden. Die Regulierung der Proteine sei enorm wichtig: Es brauche die richtige Menge an Proteinen in der Zelle - "nicht zu viel und nicht zu wenig". Sonst könne es zu Krankheiten kommen.

In Zukunft werde man auf Basis dieser Forschung neue Therapien entwickeln, sagte Fehse. Bereits jetzt werde microRNA als Erkennungsmerkmal eingesetzt, um Krebs zu charakterisieren. "Man kann die Menge an microRNAs im Blut bestimmen, und das ist dann eine Möglichkeit, um zum Beispiel vorauszusagen: Hat der Krebs schon gestreut? Und aus welchem Gewebe kommt der Krebs überhaupt?"

Gary Ruvkun, daneben seine Frau Natasha Staller und seine Tochter Victoria Ruvkun, spricht mit dem anderen Nobelpreisträger Victor Ambros von der University of Massachusetts Medical School in Worcester per Telefon in seinem Haus in Newton, Massachusetts.

Gary Ruvkun, daneben seine Frau Natasha Staller und seine Tochter Victoria Ruvkun, spricht mit Victor Ambros per Telefon in seinem Haus in Newton, Massachusetts.

Große Freude bei den Preisträgern

Preisträger Ruvkun äußerte sich im schwedischen Radiosender SR überwältigt, nachdem er mitten in der Nacht den Anruf des Nobelpreiskomitees bekommen hatte: "Das ist eine große Sache. Wirklich groß. Es ist ein Erdbeben", sagte der 72-Jährige, der Professor an der Harvard Medical School ist.

Ambros konnte das Nobelpreiskomitee nicht erreichen - es war schließlich ein SR-Reporter, der ihn ans Telefon bekam und dem 70-Jährigen die Nachricht überbrachte. "Wow, das ist unglaublich! Das wusste ich gar nicht", so die Reaktion des Professors an der Medical School der University of Massachusetts.

Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen

Der Nobelpreis gilt international als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Er ist mit elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) dotiert. Sie geht je zur Hälfte an die beiden Forscher. 

Im vergangenen Jahr waren die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó und der US-Immunologe Drew Weissman für ihre Leistungen in der mRNA-Forschung ausgezeichnet worden. Sie hatten damit die Grundlage für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 gelegt.

Nobelpreise für Physik und Chemie folgen

Am morgigen Dienstag wird bekannt gegeben, wer den diesjährigen Nobelpreis für Physik erhält. Am Mittwoch folgt Chemie, am Donnerstag die Literatur. Für Freitag ist die Verkündigung des diesjährigen Friedensnobelpreises geplant. Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember.

Zurück gehen die Auszeichnungen auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896). Seit dem ersten Preis im Jahr 1901 wurden insgesamt 227 Menschen mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet, darunter 13 Frauen.