Mehrere Menschen vom Gesundheitspersonal transportieren ein Corona-Opfer in Jammu.
FAQ

Neue Corona-Mutation Wie gefährlich ist die indische Variante?

Stand: 28.04.2021 07:55 Uhr

Mehr als 300.000 Corona-Neuinfektionen täglich - die Lage in Indien ist dramatisch. Welche Rolle spielt eine dort aufgetauchte neue Mutation und wie gefährlich ist sie? Die wichtigsten Punkte zur sogenannten indischen Variante.

Von Anja Martini, ARD-aktuell

In Indien steigen die Infektionszahlen rasant - liegt das an der neuen Virusvariante?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen darauf hin, dass viele Faktoren für die dramatische Infektionslage in Indien eine Rolle spielen: Viele Menschen leben auf engstem Raum zusammen - häufig unter hygienisch schwierigen Bedingungen. Zudem gibt es in weiten Teilen des Landes keine Kontaktbeschränkungen. So kamen bei religiösen Ritualen immer wieder viele Menschen ungeschützt zusammen. Auch bei Wahlkampfveranstaltungen wurden häufig keine Masken getragen. Aber natürlich könnte auch die neue Virusvariante B.1.617 für die hohen Neuinfektionszahlen mit verantwortlich sein.

Ist die neue Variante besonders gefährlich?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die in Indien aufgetauchten Corona-Variante B.1.617 noch nicht als "besorgniserregend" eingestuft. Die Organisation beobachtet die Virusvariante und warnt vor voreiligen Schlüssen. Bislang sei nicht klar, in welchem Ausmaß die Variante für den rapiden Anstieg der Fälle in Indien mitverantwortlich ist. Außerdem sei unklar, ob sie mehr schwere Krankheitsverläufe auslöse und damit zu höheren Todeszahlen führe.

Als "besorgniserregend" - also als "Variant of Concern" - hat die WHO bislang neben der sogenannten britischen Variante (B.1.1.7) die in Südafrika entdeckte Variante (B.1.351) und die in Brasilien entdeckte Variante (P.1) eingestuft. Voraussetzung für diese Einstufung ist, dass sich die Variante leichter ausbreitet, schwerere Krankheiten verursacht, dem Immunsystem entgeht - also eine sogenannte Escape-Variante ist - das klinische Erscheinungsbild verändert oder die Wirksamkeit der bekannten Instrumente verringert.

Wie hat sich das Virus verändert?

Die mutmaßlich aus Indien stammende Variante weist gleich mehrere Veränderungen auf. Dementsprechend schwierig ist es, sie einzuschätzen. Dies betont der Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel, Richard Neher, im Gespräch mit tagesschau.de.

Zwei Dinge seien besonders bemerkenswert: einerseits die Veränderungen im Spike Protein an der Position 452, die bereits von einer Virusvariante aus Nordamerika bekannt ist. Und andererseits eine geänderte Position 484, die ähnlich aus Südafrika und Südamerika bekannt ist. Beide liegen in der Region des Oberflächen-Proteins Spike, mit dem sich das Virus an die menschliche Zelle andockt. Die beiden Mutationen sind der Grund, warum B.1.617 auch als Doppelmutante bezeichnet wird.

Was ist an der neuen Mutation bedenklich?

Besonders die Veränderung auf der Position 484 kann dafür verantwortlich sein, so Neher, dass sich Menschen, die bereits eine Corona-Infektion hatten, noch einmal infizieren. Manche Antikörper, die bei der Infektion gebildet wurden, erkennen die neue Virusvariante nicht. Das nennen die Wissenschaftler eine Immune-Escape-Variante. Übersetzt könnte man sagen: eine Flucht vor der Immunantwort des Körpers. Aber wie oft das der neuen Variante gelingen kann, müsse noch erforscht werden, betont Neher.

Gleiches gilt für die Ausbreitung der Variante: Auch dazu gebe es bislang zu wenig Daten, betont Carsten Walz gegenüber tagesschau.de. Er leitet den Forschungsbereich Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Man müsse zunächst genau schauen, wie sich die Variante weltweit durchsetze. Watzl geht davon aus, dass sich die indische Variante etwas schneller verbreiten kann als der Corona-Wildtyp. Er geht aber nicht davon aus, dass sie ansteckender ist als die britische Variante.

Könnte sich die indische Variante weltweit durchsetzen?

Das lässt sich momentan nur schwer einschätzen. Laut Robert Koch-Institut wurden in Deutschland bislang etwa 21 Fälle festgestellt. Auch in anderen Ländern haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die indische Virusvariante bereits nachgewiesen, unter anderem in Großbritannien, den USA und Australien.

Alle Varianten sollten genau beobachtet werden, betont Biophysiker Neher. Zudem müsse die genetische Überprüfung, also das Sequenzieren des Virusgenoms, vorangetrieben werden. Nur so lasse sich besser verstehen, wie sich die neuen Varianten ausbreiten - und wo es zu neuen Mutationen kommt.

Wirken die Impfungen bei der neuen Mutante?

Die Impfstoffe, die bisher in der EU zugelassen sind, scheinen auch bei der sogenannten indischen Variante gut zu funktionieren. Die Immunantwort sei so breit, dass sie auch gegen diese Variante schütze, betont Watzl. Dies zeigen auch erste Studien.

Es sei wichtig, die Zahl der Neuinfektionen zu senken, erklärt Neher mit Blick auf immer weitere Mutationen. Zudem müsse so schnell wie möglich einen breiter Covid-19-Impfschutz aufgebaut werden. Nur so könne man die Ausbreitung des Virus und die Varianten unter Kontrolle bekommen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 28. April 2021 um 07:50 Uhr.