Ein Rettungsfahrzeug ist mit Blaulicht auf einer Straße unterwegs.

Neue Forschungsergebnisse Wie KI bei der Schlaganfallbehandlung helfen kann

Stand: 14.01.2025 09:15 Uhr

Ein deutsch-britisches Forschungsteam hat eine KI entwickelt, die den Zeitpunkt eines Schlaganfalls doppelt so präzise bestimmen kann wie bisherige Methoden. Das kann die Therapiemöglichkeiten verbessern.

Von Doris Tromballa, BR

Jedes Jahr erleiden 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Nach Herz- und Krebserkrankungen ist der Schlaganfall mit jährlich rund 63.000 Toten die dritthäufigste Todesursache in Deutschland.

Grundsätzlich gibt es zwei Typen von Schlaganfällen: Bei einem ischämischen Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns durch ein Blutgerinnsel von der Blutversorgung abgeschnitten. Die betroffenen Gehirnzellen bekommen keinen Sauerstoff und keine Nährstoffe mehr und sterben ab. Bei einem hämorrhagischen Schlaganfall platzt ein Blutgefäß im Gehirn und Blut tritt in das umliegende Gewebe aus. Etwa 85 Prozent aller Schlaganfälle sind ischämische Schlaganfälle.

Eine neue Studie im Fachmagazin Nature hat gezeigt, dass Künstliche Intelligenz (KI) das Potenzial hat, sehr genau zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt ein Schlaganfall stattgefunden hat. Diese Fortschritte könnten die Behandlung von Schlaganfallpatienten revolutionieren und ihre Überlebenschancen erhöhen.

Bedeutung des Schlaganfallzeitpunkts

Bei Verdacht auf einen ischämischen Schlaganfall ist für die Notfallmediziner von großer Bedeutung, wann genau der Zeitpunkt des Schlaganfalls war. Dafür wird das Gehirn der Patientinnen und Patienten mithilfe bildgebender Verfahren auf Läsionen untersucht, geschädigtes Gewebe.

Daniel Rückert, Medizininformatiker von der TU München, erklärt: "Das Alter eines Schlaganfalls ist wichtig, um verschiedene Behandlungsoptionen zu evaluieren und zu wissen, welche Behandlungsoption für den Patienten optimal geeignet ist." 

Bisher wurde für die Bestimmung des Schlaganfall-Zeitpunktes die "Netto-Wasseraufnahme-Methode" (NWU) benutzt. Dabei wird nach einer Aufnahme im Computertomographen (CT) die Dichte des Gewebes in den betroffenen Bereichen gemessen und mit der Dichte des gesunden Gewebes auf der gegenüberliegenden Seite des Gehirns verglichen.

KI-Software doppelt so präzise wie bisherige Praxis

Rückert entwickelte zusammen mit Forschungskollegen aus Großbritannien ein Computerprogramm, das die Daten aus diesen CT-Bildern von einer speziellen Software interpretieren lässt. Diese Software wurde durch eine künstliche Intelligenz auf bestimmte Bildmerkmale trainiert. Das Modell analysiert eine Vielzahl von Bildmerkmalen, die über die einfache Dichtemessung hinausgehen.

Dazu gehören Textur, Form und andere komplexe Bildmuster, die für das menschliche Auge oft nicht erkennbar sind. Dieses Programm, genannt CNN-R, wurde mit Daten von über 1.900 Patienten getestet und war doppelt so genau wie bisherige Methoden. Rückert ist von den Ergebnissen beeindruckt: "Es hat uns in gewisser Weise schon überrascht, dass es so gut funktioniert."

Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten

Die genaue Bestimmung des Läsionsalters kann die Entscheidung für die geeignete Behandlung erheblich verbessern. Denn für viele Therapieoptionen gibt es nur ein begrenztes Zeitfenster, erklärt die Neurologin Silke Wunderlich vom Klinikum Rechts der Isar in München: "Es gibt die systemische Thrombolyse-Therapie, eine Infusionsbehandlung mit einem Medikament, das das Gerinnsel auflöst. Der beste Effekt: bis viereinhalb Stunden nach Beginn der Symptome. Die zweite Methode ist die Thrombektomie, ein Katheterverfahren, bei dem der Neuroradiologe das Gerinnsel aus dem Gehirn entfernt. Der beste Effekt: bis sechs Stunden nach Beginn der Symptome."

Bei Symptomen: 112 wählen

Doch was tun, wenn man selbst oder jemand in der Nähe Symptome eines Schlaganfalls bemerkt? Häufigste Anzeichen sind Kribbeln in den Fingern, Sprachstörungen, Schwindel oder Lähmungen. Neurologin Wunderlich rät: "Sofort die 112 alarmieren, nicht erst zum Hausarzt gehen, nicht eigenständig ins Krankenhaus fahren, sondern sofort den Rettungsdienst benachrichtigen." Dann könne die gesamte Rettungskette anlaufen und die Betroffenen hätten die besten Chancen auf möglichst wenig Spätfolgen.

Zukunft der KI in der klinischen Praxis

Die neue Schlaganfall-Software ist bis jetzt nur eine wissenschaftliche Errungenschaft - tatsächlich benutzt wird sie noch nicht. Rückerts Forschungskollegen in Großbritannien arbeiten daran, sie dort bald in der Schlaganfall-Diagnose einsetzen zu dürfen. Daher ist der dringende Wunsch des Medizininformatikers Rückert: "Ich glaube, was mein hauptsächlicher Wunsch wäre, dass diese KI-Anwendungen, die jetzt wissenschaftlich möglich sind, auch in die klinische Praxis umgesetzt werden und auch dann den Patienten wirklich zugutekommen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die SWR-Sendung NANO am 04. Juli 2024 um 18:30 Uhr.