Pollen vom Hasel fliegen durch eine Parkanlage.
Interview

Klimawandel und Gesundheit "Die Pollen werden aggressiver"

Stand: 19.11.2022 02:56 Uhr

Der Klimawandel hat weitreichende Folgen für die Gesundheit. Forscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 jeder zweite in Deutschland an einer Allergie leiden wird. Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmann erklärt, was dagegen zu tun ist.

tagesschau.de: Sie haben bei der Weltklimakonferenz COP27 einen Vortrag über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit und Allergien gehalten. Was sind die Ergebnisse Ihrer Forschung?

Claudia Traidl-Hoffmann: Wir beobachten, dass der Klimawandel Allergien befördert. Wir werden in Zukunft Allergiker haben, die noch mehr an Allergien leiden werden. Und wir werden auch generell mehr Allergiker haben. Das passiert, weil der Klimawandel auf Ökosysteme wirkt, wie zum Beispiel auf Pollen. Pollen werden mehr fliegen, sie werden länger fliegen, sie werden auch aggressiver und wir haben auch neue Pollen. Und deswegen ist dieses Thema Klimawandel und Gesundheit, Klimawandel und Allergien so wichtig.

Claudia Traidl-Hoffmann
Zur Person
Claudia Traidl-Hoffmann ist Umweltmedizinerin und forscht vor allem zu den Folgen des Klimawandels auf Umwelt und Gesundheit. Sie ist stellvertretende Direktorin des Zentrums für Klimaresilienz der Universität Augsburg.

tagesschau.de: Warum werden es mehr und vor allem aggressivere Pollen?

Traidl-Hoffmann: Die Pollen fangen im Jahr früher an zu fliegen und sie fliegen auch weiter ins Jahr hinein. Wir sehen gerade, wie warm es jetzt draußen ist. Wir hatten in diesem Jahr sogar eine weitere Gräserpollen-Saison - das ist etwas, was sehr, sehr untypisch ist. Die Pollen werden für uns aggressiver, weil sie mehr von diesem Eiweiß freisetzen, was bei uns die Allergie verursacht.

Gleichzeitig ist CO2 ein Wachstumsfaktor für Pflanzen, weshalb wir noch mehr Pollen pro Tag sehen. Und es kommen neue Pollen zu uns, etwa das Traubenkraut, das auf Brachflächen wächst, dort wo sonst nichts wächst. Das sind kleine Pollen, die auch starke Asthma-Attacken machen.

tagesschau.de: Gibt es Zahlen darüber, wie stark Allergie-Erkrankungen in der Gesellschaft ansteigen werden?

Traidl-Hoffmann: Die Europäische Akademie für Allergie und Klinische Immunologie schätzt, dass im Jahr 2050 jeder zweite in Deutschland in Europa an einer Allergie leidet. Bereits jetzt leiden 30 Prozent unserer Kinder an einer Allergie. Die Tendenz ist weiter steigend.

Claudia Traidl-Hoffmann, Universitätsklinikum Augsburg, über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit

tagesschau24

tagesschau.de: Gibt es eine Möglichkeit Allergien einzudämmen?

Traidl-Hoffmann: Es gibt eine sogenannte spezifische Immuntherapie, damit kann man eine Allergie beseitigen. Aber wir müssen auch Prävention, also Vorsorge betreiben. Ein wichtiger Punkt ist die Neurodermitis, eine Erkrankung, die am Ende die Tür für Allergien öffnet. Neurodermitis macht die Haut undicht, dann kann die Allergie entstehen. Das bedeutet, wir müssen Neurodermitis vernünftig und wirklich nachhaltig behandeln, um die Allergien zu stoppen.

Ernährung gehört auch dazu. Wir wissen, dass wenn wir ein Kind im ersten und dem zweiten Lebensjahr sehr vielfältig ernähren, dann reduziert sich auch die Allergiewahrscheinlichkeit. So können wir also viele Maßnahmen ergreifen, um die Entwicklung von Allergien zu verhindern.

tagesschau.de: Das Themen Gesundheit und Klimawandel spielten auch bei der UN- Klimakonferenz eine Rolle. Es gibt das allererste Mal einen Pavillon zum Thema. Hat sich in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für diese Themen geändert?

Traidl-Hoffmann: Es geht gerade ein richtiger Ruck durch die Gemeinschaft der Ärzte, weil wir einfach verstanden haben, dass wir hier eine Verantwortung haben, nämlich diese Geschichte zu erzählen: Dass der Eisbär zwar gefährdet ist, aber dass vielmehr der Klimawandel eine Gefahr für unsere Gesundheit, für das Leben der Menschheit ist. Und dass deswegen auch jetzt diese Initiativen stattfinden. Der Bayerische Ärztetag hatte das große Thema Klimawandel und Gesundheit. Auf der COP27 gibt es einen ganzen Pavillon, wo klar gemacht wird, wie umfassend der Klimawandel unsere Gesundheit beeinträchtigt und viel mehr gefährdet.

Allergien sind ein Punkt. Und natürlich ist Hitze das große Thema. Wir müssen Anpassungsstrategien entwickeln. Unser Körper ist nur begrenzt anpassungsfähig. Und deswegen müssen wir eben sowohl anpassen als auch den Klimawandel abmildern, denn sonst ist das Überleben der Menschheit gefährdet.

tagesschau.de: Was bedeutet das, dass der Mensch nur bedingt anpassungsfähig ist?

Traidl-Hoffmann: Wenn wir wirklich wochenlange Hitzeperioden haben, können wir das nicht überstehen. Die Hitze tagsüber kann eventuell zu Herz-Kreislauf-Versagen führen oder man wird vermehrt krank, weil man durch die Hitze nachts auch nicht mehr schlafen kann. Und darunter leiden natürlich gerade diese sogenannten vulnerable Gruppen. Das sind kleine Kinder und alte, kranke Menschen und dann kommt es zu Todesfällen. 42 Grad Körpertemperatur sind einfach nicht mehr mit dem Leben vereinbar. Das heißt also, wir müssen uns tatsächlich anpassen und wir brauchen wirklich die Eindämmung des Klimawandels, weil sonst ganze Bereiche der Welt einfach unbewohnbar werden.

tagesschau.de: Was würden denn Medizinerinnen und Mediziner wie Sie fordern, damit wir das hinbekommen? Brauchen wir Notfallpläne?

Traidl-Hoffmann: Wir brauchen Frühwarnsysteme - kombinierte Warnsysteme, für Hitze, Schadstoffe und Pollen. Wir müssen die Menschen über diese kombinierten Umweltgefahren, die auf uns zukommen, informieren. Wir brauchen natürlich auch Hitzeschutzpläne und Hitzebeauftragte für Krankenhäuser. Wenn es dauerhaft heiß wird, dann haben wir natürlich auch das Problem, dass unsere Not-Ambulanzen überfüllt sind mit Menschen, die mit Erkrankungen rein drängen. Dafür brauchen wir Notfall-Einsatzpläne, die eben genau das organisieren.

Und Notfallpläne brauchen wir nicht nur in Krankenhäusern, sondern gleichzeitig auch in den Kommunen. Die Franzosen haben uns das wunderbar vorgemacht. Die haben seit dem sehr heißen Sommer 2003 einen Hitzeschutzplan für die Nation. Und genau das brauchen wir unbedingt in Deutschland, damit wir Menschenleben retten.

tagesschau.de: Nun ist dieser Appell ja nicht ganz neu. Es gibt zu dem Thema sogar eine Studie des Fachmagazins "The Lancet", die genau darauf hinweist. Sind wir ein bisschen zu langsam oder haben wir die Augen verschlossen?

Traidl-Hoffmann: Ich frage mich auch immer wieder, wie es sein kann, dass wir das verschlafen haben. Der "Lancet Countdown" sagt, dass wir unbedingt drei Dinge machen müssen, wenn wir an Klimawandel und Gesundheit denken. Das erste ist, Versorgungsstrukturen schaffen, was die Ernährung anbetrifft. Und natürlich eine Ernährung, die nachhaltig ist, also eine pflanzenbasierte Ernährung.

Der zweite Punkt ist die Reduzierung der Schadstoffe in der Außenluft. Und das schaffen wir auch, wenn wir unsere Energie aus sauberen Quellen generieren, dann können wir die Schadstoffe reduzieren.

Und das dritte ist, dass wir eben unsere Gesundheitssysteme auch nachhaltig gestalten müssen, weil der Gesundheitssektor selbst für fünf Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich ist. Der wichtige Punkt ist: Das meiste CO2 wird produziert vor dem Krankenhaus, also Transporte ins Krankenhaus, Medikamente, die geliefert werden, aber natürlich auch die Menschen, die sich mit dem Auto zur Arbeit begeben und eben nicht die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen.


Das heißt also, wir haben eine Riesenmöglichkeit, wenn wir diese drei Punkte, die der "Lancet Countdown" hier angesprochen hat, angehen. Dann können wir diese wunderbare doppelte Gewinnsituation schaffen für unsere Gesundheit, für das Überleben der Menschheit und natürlich auch für die Gesundheit des Planeten. Und wenn wir uns das wirklich bewusst machen, dann kommen wir auch in das Handeln und dann hoffentlich auch in die Energiewende, die wir so bitter nötig haben in Deutschland, in Europa und in der Welt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. November 2022 um 12:45 Uhr.