Transfusionsmedizin Gibt es bald künstliches Blut aus dem Labor?
Viele Menschen sind wegen Krankheiten oder Unfällen angewiesen auf Blutspenden. Aber daran mangelt es häufig, gerade bei seltenen Blutgruppen. Wäre künstliches Blut aus dem Labor die Lösung dafür?
Von Daniela Remus, NDR
Blut wird dringend gebraucht: Rund drei Millionen Transfusionen mit roten Blutkörperchen, den sogenannten Erythrozyten, werden jährlich in Deutschland benötigt, sowie 500.000 Transfusionen mit Blutplättchen, den sogenannten Thrombozyten.
Nach Chemotherapie oder Unfällen benötigt
Diese beiden festen Blutbestandteile schwimmen, neben anderen Komponenten, im flüssigen Blutplasma und können von manchen Menschen nicht mehr ausreichend gebildet werden. Ursache dafür kann beispielsweise eine Tumorbehandlung sein, mit Chemotherapie oder Bestrahlung, wie Torsten Tonn, Transfusionsmediziner von der TU in Dresden mit einem Beispiel erklärt: "Patienten nach einer Hochdosis-Chemotherapie, wie sie bei Leukämien eingesetzt wird, haben oft selber gar keine Blutplättchen mehr."
Für die Phase der Blutbildungsstörung müssen diese Menschen dringend mit passenden Blutprodukten versorgt werden. Und dazu sind pro Patient und Patientin oft mehrere Hundert Bluttransfusionen nötig. Darüber hinaus sind Menschen mit bestimmten Erkrankungen des Blutes, wie zum Beispiel der Sichelzellenanämie auf regelmäßige Blutspenden angewiesen.
Blut wird darüber hinaus auch oft nach schweren Unfällen oder manchen Operationen gebraucht. Denn ohne Erythrozyten gelangt kein Sauerstoff in die Organe und Gefäße des Körpers, ohne Thrombozyten heilen Wunden und Verletzungen nicht, weil das Blut nicht gerinnt. Deshalb arbeiten Forschende seit Jahren und mit Hochdruck daran, diese Blutbestandteile im Labor künstlich herzustellen.
Zellen ohne Zellkern
Erythrozyten und Thrombozyten unterscheiden sich von anderen Körperzellen dadurch, dass sie keinen Zellkern haben. Das macht sie geschmeidig und elastisch und ermöglicht es, dass sie bis in die kleinsten Blutgefäße gelangen. Für die Forschenden aber stellt diese biologische Besonderheit bei der Züchtung der Zellen eine große Hürde dar, erklärt Transfusionsmediziner Tonn. Denn es ist "sehr schwierig, das in der Zellkultur außerhalb des Körpers abzubilden. Weil das Herausschmeißen des Zellkerns sehr komplex ist."
Während ihrer Entwicklung im Knochenmark durchlaufen die Blutzellen verschiedene Reifungsphasen. In der letzten verlieren sie ihren Zellkern.
Nachahmung möglich?
Es ist verschiedenen Teams bereits gelungen, diesen Prozess im Labor nachzuahmen, aber nur in sehr geringen Mengen. In Dresden beispielsweise hat das Team um Tonn dabei etwa einen Fingerhut voll Erythrozyten herstellen können. Das ist nicht mehr als etwa ein Prozent einer herkömmlichen Bluttransfusion.
Und auch international ist die Herstellung künstlicher Blutprodukte noch nicht sehr effizient. Ein Team an der Universität Bristol hat im Herbst 2022 zwei Patienten künstlich hergestellte Erythrozyten verabreicht. Es kam weder zu Abstoßungsreaktionen noch zu anderen Nebenwirkungen, aber die Menge des übertragenen Blutes passte gerade mal auf zwei bis drei Teelöffel.
Blut ist nicht gleich Blut
Dabei könnte die Herstellung künstlicher Blutzellen für die Versorgung vieler Patientinnen und Patienten ein Ausweg aus ihrer Notlage sein, so die Dresdner Forschenden: Denn zwischen Spender und Empfänger müssen die Blutgruppen und viele andere Merkmale zueinander passen, damit eine Transfusion medizinisch sinnvoll ist. Könnte es gelingen, mithilfe der Gentechnik Blutprodukte im Labor passgenau herzustellen, könnte dieses Problem gelöst werden, so die Forschenden.
Die bisherigen Ansätze, Erythrozyten und Thrombozyten im Labor zu entwickeln, waren nur mäßig erfolgreich. Deshalb verfolgen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt einen anderen Forschungsschwerpunkt. In Dresden beispielsweise arbeitet Tonn mit seinem Team daran, die Vorläufer- oder Mutterzellen der roten Blutkörperchen zu züchten. So bezeichnet man die Zellen, aus denen sich dann später die ausgereiften Blutzellen entwickeln.
Diese Zellen verfügen noch über ihren Zellkern, die Idee der Forschenden dabei ist: Den letzten Schritt, das Herauswerfen des Zellkerns, dem Organismus zu überlassen. Also die Entwicklung der Zellen abzukürzen und Blutzellen zu übertragen, die noch nicht voll ausgereift sind. Dann entfiele der Schritt der Entkernung als Herausforderung für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Forschung an Vorläufern von Thrombozyten
Ein Team von der Medizinischen Hochschule in Hannover züchtet die Vorläuferzellen der Thrombozyten, erklärt Transfusionsmediziner Rainer Blasczyk: "Wir können zwar Thrombozyten herstellen, aber es ist einfacher, die Vorläuferzellen der Thrombozyten, die sogenannten Megakaryozyten - auf deutsch etwa Riesenkernzellen - zu züchten. Und unsere Idee ist es, die zur Grundlage von Transfusionen zu machen, statt der Blutplättchen."
Dem Forschungsteam aus Hannover ist es bereits gelungen, solche künstlichen Vorläufer- beziehungsweise Riesenkernzellen zu entwickeln, ergänzt Constanza Figueiredo vom Institut für Transfusionsmedizin in Hannover. Und zwar "in kleinem Maßstab und auch in großen Bioreaktoren. Und deswegen können wir auch genug dieser Zellen produzieren, die für eine Transfusion nötig wären."
In Tierversuchen konnte das Team aus Hannover bereits zeigen, dass dieser Ansatz funktioniert. Dass der Organismus die Vorläuferzellen also in Thrombozyten weiterbildet. Jetzt bereiten die Forschenden erste klinische Studien vor.
Bis künstlich hergestelltes Blut tatsächlich verfügbar ist, wird es vermutlich noch ein paar Jahre dauern. Regelmäßige Blutspenden aus der Bevölkerung sind deshalb unverzichtbar, um die Versorgung mit Blut für die Betroffenen bestmöglich zu sichern.