Ein Mensch greift Hanteln in einem Fitnessstudio.

Mehr als Power und Pumpen Muskulatur ist die beste Medizin

Stand: 17.07.2024 07:13 Uhr

Muskeln sind der Motor des Körpers, aber sie haben auch einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Sie können das Risiko für Erkrankungen des Gehirns verringern und Alterungsprozesse verlangsamen.

Von Katrin Focke, BR

Auf das Volumen bezogen ist die Muskulatur das größte Organ unseres Körpers, sie macht etwa 30 bis 40 Prozent unseres Gewichts aus. Ohne Muskeln kann keinerlei Bewegung stattfinden, umgekehrt gibt es keine Muskelkraft ohne Bewegung. Jede Aktivität erfordert also Muskelarbeit.

Unsere Muskeln können aber viel mehr als nur unseren Körper in Bewegung zu setzen. Sie sind nicht nur dazu da, dass wir rein physisch gestützt durchs Leben gehen oder attraktiv auf andere wirken. Neue Forschungen belegen, dass gesunde und trainierte Muskeln auch für unseren Stoffwechsel, unser Immunsystem und viele Organe wichtig sind.

Muskelmasse als Organ

"Früher betrachtete man Muskeln nur als Kraftmaschinen. Heute wissen wir, dass die gesamte Muskelmasse ein Organ ist, das mit allen anderen Organen im Körper kommuniziert. So werden auf zellulärer Ebene unterschiedlichste Heilprozesse angestoßen", erklärt die Sportmedizinerin Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln.

Mein Körper meine Muskeln
Dokumentation ARD Wissen

Die Doku ARD Wissen "Mein Körper. Meine Muskeln. Mehr als Power und Pumpen" sehen Sie am 17. Juli 2024 um 22.55 im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.

Wunderpille Muskel

Diese Kommunikation geschieht über Botenstoffe, die eine dänische Forscherin entdeckt hat. Bente Klarlund Pedersen machte 2007 bei einer Studie eine bahnbrechende Entdeckung. Um zu untersuchen, welchen Einfluss Sport auf das Immunsystem hat, nahm sie Probanden nach Trainingseinheiten Blut ab. Darin fand sie erhöhte Mengen einer Substanz namens Interleukin-6.

Man wusste zu dem Zeitpunkt, dass sie bei Entzündungsreaktionen im Körper hilft, aber normalerweise von den Immunzellen produziert wird. Klarlund Pedersen und ihr Team fanden heraus, dass auch Muskelzellen diesen Stoff herstellen und dann im Körper verteilen. Die Forscherin gab der Gruppe dieser Substanzen den Namen "Myokine" - abgeleitet von den griechischen Wörtern für "Muskel" und "Bewegung". 

Heute weiß man, dass Myokine nicht nur bei entzündlichen Prozessen helfen. "Diese Botenstoffe kommunizieren mit dem kompletten Rest unseres Körpers", erklärt Wilhelm Bloch. Der Sportmediziner erforscht Myokine an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Das ist auch der Grund, warum Myokine im ganzen Körper und auf jedes einzelne Organ wirken." 

Aktive Muskeln können bestimmte Erkrankungen verringern

Die hormonähnlichen Botenstoffe beeinflussen unsere zentralen Organe wie Gehirn, Leber, Herz und Darm direkt. Bauen wir Muskeln ab, können diese Organe erkranken oder Stoffwechselfunktionen, wie beispielsweise Diabetes entstehen. Aktive Muskeln können dagegen das Risiko für Erkrankungen des Gehirns wie Demenz oder Alzheimer verringern und Alterungsprozesse verlangsamen.

Myokine wirken bei den größten Zivilisationskrankheiten. Sobald sich Muskeln bewegen, werden sie zu kleinen Apotheken.

Sophia trainiert mit Gewichten an einer Langhantel.

Fitnessbloggerin Sophia Thiel beim Trainieren mit Gewichten. Sportmediziner sagen, dass trainierte Muskeln unter anderem für das Immunsystem wichtig sind.

Myokine und Krebs

Derzeit erforscht Bloch, wie Myokine Krebs bekämpfen können. Dazu radeln Probanden auf Fahrrad-Ergometern in verschiedenen Intensitäten. Anschließend wird ihnen Blut abgenommen und das Blutserum, in dem sich die Myokine befinden, extrahiert. Das Blutserum wird dann auf verschiedene Tumorzellen aufgetragen. Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen: Es wirkt.

In seinem Projekt habe er herausgefunden, dass Myokine das Wachstum, die Teilung und die Bewegung von Krebszellen beeinflussen. Sport, so Bloch, könne Medikamente zwar nicht ersetzen, aber die Prognose von Krebspatienten könne sich durch regelmäßiges Krafttraining deutlich verbessern: "Je nach Tumorart kann das Fortschreiten der Krankheit oder ein Rückfall bei Genesenen um 10 bis 40 Prozent reduziert werden", erklärt Bloch. 

Ran an die Hantel

"Wann ich immer gefragt werde: Was soll ich eigentlich trainieren? Auch für meine Gesundheit, für meine Lebensqualität. Dann sage ich immer: Laufen ist die eine Miete. Auf der anderen Seite brauche ich dringend das Muskeltraining." Laut Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln ist es nie zu spät, mit dem Krafttraining zu beginnen.

Im Gegenteil: Vor allem im Alter ist das Muskeltraining besonders wichtig, um Sarkopenie, also dem degenerativen altersbedingten Abbau der Skelettmuskulatur vorzubeugen. Menschen mit Sarkopenie haben eine geringe körperliche Leistungsfähigkeit, eine höhere Neigung zu Stürzen und damit zu Knochenbrüchen. Zudem verschlechtert sich die Lebensqualität und es droht der Verlust der Selbstständigkeit.

"Die Frage stellt sich wirklich immer wieder, wenn ich ein gewisses Alter erreicht habe, lohnt sich dann zum Beispiel noch Muskeltraining zu machen. Gute Botschaft: Es ist nie zu spät", sagt Froböse.

Die Waage ist nicht das klügste Messinstrument

Bei jüngeren Menschen sind optische Gründe oft der ausschlaggebende Grund, ins Gym zu gehen. Während bei Männern schon immer ein muskulöser Rücken als ästhetisch galt, hat sich mit Social Media-Trends durch Fitfluencerinnen auch bei den Frauen etwas getan, sagt Sportwissenschaftler Tilo Petersdorf vom Fitnessstudio MTMT in München.

"Das Thema Muskeln und Frauen wird besser. Früher war es wirklich schlimm, weil da einfach ganz andere Schönheitsideale herrschten. Mittlerweile ist so, dass man als Frau durchaus auch ein bisschen mehr haben darf, also mehr Muskulatur. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Waage deswegen als wichtigstes Messinstrument der Schönheit ausgedient hat. Das ist ein bisschen schade, denn Muskeln wiegen halt einfach ein bisschen mehr."

"Wenn man Muskeln haben will, muss man sie benutzen"

Genauer gesagt wiegt ein Liter Muskeln etwa 15 Prozent mehr als ein Liter Fett. Das bedeutet, dass das Gewicht durch Training zwar gleichbleibt oder sogar steigt. Was das Gewicht auf der Waage aber nicht zeigt: die Qualität der Körperzusammensetzung verändert sich durch Krafttraining, d.h. mehr Muskulatur, weniger Fett. Und das wiederum ist viel wichtiger für die Gesundheit als eine bestimmte Zahl auf der Waage. "Wenn man Muskeln haben will, muss man sie benutzen", sagt Petersdorf.

"Allein schon mit zwei Stunden strukturiertem Krafttraining in der Woche, was die Gelenke nicht kaputtmacht und mit genügend Regeneration, kann man eine ganze Menge erreichen. Und das hilft einem eben dieses System Muskeln am Laufen zu halten und dementsprechend auch gesund alt zu werden. Simple but not easy. Man muss es halt nur machen."

Die Doku von ARD Wissen "Mein Körper. Meine Muskeln. Mehr als Power und Pumpen" läuft am 17. Juli 2024 um 22.55 im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.